Als das Fliegen in Oerlinghausen die Freiheit verlor

Oerlinghausen. Es herrschte Aufbruchstimmung um 1930 an den Fliegerkuppen: Junge Flugbegeisterte aus Bielefeld, Detmold, Herford und Oerlinghausen tummelten sich in der Stadtsenne und katapultierten an sonnigen Tagen die selbstgebauten Segelflugzeuge mit wagemutigen Piloten in die Luft. Der Verein &bdquo;Sturmvogel“, in dem viele Jugendliche der Bergstadt erste Flugerfahrungen sammelten, fand immer mehr Zulauf. 1933 kam die große Wende.

Als die Nazis die Macht übernahmen, war Schluss mit der freien Fliegerei, das Segelfliegen wurde &bdquo;gleichgeschaltet“. Luftsport als Hobby und ohne staatliche Lenkung zu betreiben, war vorbei. Segelflieger mussten der SS, der SA, dem Nationalsozialistischen Fliegerkorps oder der Flieger-HJ (Hitlerjugend) angehören.

&bdquo;Ab 1937 war das Fliegen in Deutschland nur noch im Rahmen des NS-Fliegerkorps möglich, dessen Aufgabe es war, die Luftwaffe mit fliegerisch vorausgebildetem Personal zu versorgen“, schreibt der Lemgoer Autor Konrad Soppa in einer Dokumentation über die Anfänge der militärischen Nutzung des Segelflugplatzes.

Die Luftwaffe brauchte vor allem viel mehr Fläche. Den fand sie auf dem sogenannten Windenschlepplatz, etwa 1,5 Kilometer südlich der Fliegerkuppen, dem heutigen Segelflugplatz. Die Luftwaffe kaufte immer mehr Areale auf oder pachtete Gelände dazu. Der ganze große Platz wurde in kürzester Zeit für die Start- und Landebahnen eingeebnet.

Der Segelflughistoriker Uwe Molck berichtet: &bdquo;Die Luftwaffe übernahm 1936 vollständig den Platz, auch um eine Außenlandemöglichkeit für den Detmolder Flugplatz zu erhalten“. Doch das Militär erkannte schon bald die Grenzen. Molck: &bdquo;Wegen des nahe gelegenen Hangs des Teutoburger Waldes erwies sich der Platz für große und schnelle Kampfflugzeuge ungeeignet.“ Es starteten und landeten nur Flugzeugtypen, die eine kürzere Startbahn benötigen, wie die Kampfflugzeuge HE 111 von Heinkel, die DO 17 von Dornier und die JU 52 von Junkers.

Im großen Stil allerdings begann das NS-Fliegerkorps durch das Segelfliegen den Nachwuchs für einen späteren Kriegseinsatz zu trainieren. Neben der bereits 1934 eröffneten Segelflugschule baute man weitere Hallen und Schulungsgebäude. Konrad Soppa erläutert: &bdquo;Mit Kriegsbeginn 1939 wurde die fliegerische Ausbildung in Oerlinghausen deutlich intensiviert.“ Der wachsende Umfang des Schulungsbetriebes führte immer wieder zu Platzproblemen. Daher wurden die Jugendherberge auf dem Tönsberg und das Naturfreundehaus, das nach der Enteignung &bdquo;Adolf-Hitler-Heim“ hieß, in den Lehrbetrieb der Flugschule integriert.

Unter der Regie des Oerlinghauser Platzes standen auch die Segelflug-Übungsstelle in Barntrup-Herborn sowie Segelflugplätze nahe Höxter und Bückeburg. Soppa: &bdquo;Das Barntruper Gelände konnte zudem mit der Besonderheit aufwarten, dass hier in begrenztem Umfang auch Anfängerschulungen für Frauen stattfanden, obwohl eine anschließende Übernahme in die Luftwaffe gar nicht ohne weiteres möglich war“.

Bis zum Kriegsende fanden in Oerlinghausen Schulungen mit Tausenden von Starts statt. Sogar als die Alliierten längst die Lufthoheit über Deutschland besaßen, zog man noch Segelflugzeuge in die Höhe.

Ein spektakulärer Fall war ein ungleicher &bdquo;Luftkampf“, den der Fluglehrer Paul Kardinal mit einem Schüler zu bestehen hatte. Er saß seinerzeit in einer &bdquo;Kranich II“, als ein amerikanisches Jagdflugzeug vom Typ &bdquo;Mustang“ auftauchte. Kardinal versuchte durch gewagte Flugmanöver, den Jagdflieger abzuschütteln. Doch bei der Landung war er dem US-Jäger schutzlos ausgeliefert.

Wie durch ein Wunder oder aber durch die Fairness des amerikanischen Piloten ließ das Jagdflugzeug vom Segelflugzeug ab und Kardinal konnte mit seinem Flugschüler sicher landen.

Die letzte große militärische Aktion auf dem Segelflugplatz fand in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1944 statt. Etwa 30 JU 52, die letzten noch unzerstörten Transportflugzeuge der Luftwaffe, starteten in der Dunkelheit und nahmen Kurs Südwest – zur Unterstützung der sogenannten Ardennenoffensive.

Die Flugzeuge waren voll mit deutschen Fallschirmjägern in Tarnanzügen, die in Richtung südliches Belgien transportiert wurden. Sie hatten den Auftrag, hinter den Linien der Alliierten abzuspringen und die Front der Amerikaner und Briten von hinten her zu vernichten. Eine katastrophale Fehlplanung, wie es sich zeigen sollte.

Denn die großangelegte Luftlandeaktion endete im Chaos. Nicht einmal die Hälfte der Fallschirmjäger aus Ostwestfalen erreichte die vorgesehene Absprungposition in Südbelgien. Zum großen Teil war – wegen der völligen Überladung der Flugzeuge – die Marschgeschwindigkeit zu gering, und die Leuchtmarkierungen auf dem Boden in den Ardennen waren schon erloschen. Zum anderen Teil flog man falsche Markierungen im Raum Köln-Bonn an.

Für den Oerlinghauser Segelflugplatz bedeutete das Kriegsende im April 1945 ebenfalls ein komplettes Desaster. &bdquo;Auf Befehl der Nazis wurden die Schule und die Hallen beim Herannahen der Amerikaner in Brand gesteckt. Es waren die Deutschen selbst – um Gebäude und Material zu vernichten und den Amerikanern nichts in die Hände fallen zu lassen“, berichtet Uwe Molck in seinem Buch.

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