Lage. „Nun sind sie da, die Amerikaner “, notierte der Lagenser Chronist Fritz Geise in seinem Tagebuch. Kurz vor Mitternacht des 3. April 1945 wurde die heutige Kernstadt Lage von US-Truppen besetzt, die aus Richtung Oerlinghausen und Helpup in Richtung Lage vorgestoßen waren. Beim Einmarsch der Amerikaner kam es in der Lagenser Innenstadt zu einem Panzergefecht zwischen der vorrückenden 2. US-Panzer-Division und deutschen Kampfpanzern, die sich in Richtung Lemgo absetzten. Dadurch kam es bei der Besetzung Lages durch die US-Truppen zu weiteren Schäden, nachdem der 8000-Einwohner-Ort bereits im Februar und März 1945 bei drei großen Luftangriffen auf das Eisenbahnnetz schwer getroffen wurde und etwa 80 Tote zu beklagen waren.
80 Jahres ist das jetzt her. Aus diesem Anlass hat Historiker Dr. Hans Jacobs gemeinsam mit Heimatforscher und Stadtführer Konrad Soppa eine Ausstellung und ein Buch unter dem Titel „80 Jahre Kriegsende in Lage“ auf den Weg gebracht. Auch Stadtarchivar Lars Sonnenberg steuerte Materialien bei. Das Besondere: Buch und Ausstellung verbinden Zeitzeugen und modernste Technik mittel KI miteinander. So sind beispielsweise die 16 großformatigen Fotos, die im Technikum hängen, keineswegs schwarz-weiß, sondern wurden mittels Künstlicher Intelligenz nachkoloriert.
Das ist aber noch nicht alles. Die Fotos haben Jacobs und Soppa so animiert, dass sie in einen kleinen Film verwandelt wurden, der eindrücklich zeigen soll, wie die Menschen damals „wie Zombies durch die zerstörte Stadt gelaufen sind“, wie es Dr. Hans Jacobs in einem früheren Interview erklärte. Jacobs und Soppa hoffen, dass diese Form der Darstellung auch Jüngere anspricht. Denn wie sich die Situation damals darstellte, kann sich wohl nur vorstellen, wer selbst dabei war.
Die heutigen Lagenser Ortsteile wurden erst in den Folgetagen vom Frontverlauf überrollt, schreiben Jacobs und Soppa. Dazu lägen eine Reihe von Zeitzeugenberichten vor, wozu auch jener des US-Offiziers Fredrick Brems gehört. Der Ort taucht sowohl in Brems’ eigenen Lebenserinnerungen auf als auch in den offiziellen Militärberichten. Daher könne man sich heute ein gutes Bild davon machen, wie Müssen von den Amerikanern eingenommen wurde.
Kein deutscher Widerstand
Zu Brems’ Aufgaben in der 2. US-Panzerdivision gehörten unter anderem die Auswertung der Ergebnisse der Gefechtsfeldaufklärung und die Vorbereitung der Aktionen des kommenden Tages. Der Tagesbericht des Bataillons für den 4. April 1945 gibt Aufschluss darüber, dass sich die aus Richtung Oerlinghausen vorrückenden US-Truppen wieder zu einer Angriffsformation sammelten, um dann auf Müssen vorzustoßen. Der Angriff startete um 8 Uhr morgens und war um 10 Uhr beendet. Es habe keinen deutschen Widerstand gegeben, dafür 20 Kriegsgefangene.
Brems berichtet: „Wir bereiteten den Angriff auf die Stadt mit einer starken Nebelwand vor, die die aufmunitionierten und einsatzbereiten Panzer dann durchstoßen sollten. Als die Panzer aus der Nebelwand herauskamen, stand dort eine ältere Dame. Sie schaute sich kurz fragend unsere Panzer an und sagte uns dann, dass die Deutschen längst weg wären.“ Im Rückblick erstaune es einigermaßen, mit welcher Kampfkraft die Amerikaner den Ort Müssen einnehmen wollten.
Verständlich werde dies aber vor dem Hintergrund, dass es genau diese US-Truppen waren, die zum Teil erst wenige Stunden vorher in den verlustreichen Häuserkampf in Oerlinghausen involviert waren. Offenbar gingen sie US-Amerikaner davon aus, dass sich auf der Nordseite des Teutoburger Waldes starke deutsche Kräfte zusammengezogen haben, um hier eine neue Verteidigungslinie aufzubauen. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die wenigen in diesem Gebiet noch verbliebenen deutschen Einheiten bereits in starker Auflösung begriffen.
Luftangriffe richten massive Schäden an
Drei große Luftangriffe im Februar und März 1945 richteten im Gebiet der heutigen Kernstadt Lage massive Schäden an. Die Angriffe galten Eisenbahnbrücken und dem Bahnhofsgebäude. Die Bombardierung der Bahnbrücken über die Werre und die direkt daneben vorbeiführende Landstraße nach Pottenhausen waren für die Alliierten von allergrößter strategischer Bedeutung, da sich die Bahnlinie Lage-Bielefeld wegen der Zerstörung der Viadukte bei Altenbeken und bei Bielefeld für die deutsche Wehrmacht zu einer wichtigen Umleitungsstrecke entwickelt hatte.
Nach einem vergeblichen Versuch gelang es den Amerikanern am 19. März 1945 schließlich, beide Brückenbauwerke bei Lage auszuschalten. Dabei gab es auch große Schäden am unmittelbar neben dem Bahndamm liegenden Friedhof, auf dem erst drei Wochen zuvor die Opfer der Angriffe vom 21. und 22. Februar 1945 in einem Massengrab beigesetzt worden waren.
Während der Friedhof verhältnismäßig schnell wieder hergerichtet wurde, bemühten sich Hunderte von Arbeitern der Organisation Todt darum, die Eisenbahnbrücken wieder befahrbar zu machen. Bis zu dem zwei Wochen später erfolgten Einmarsch der US-Truppen in Lage gelang ihnen dieses Vorhaben jedoch nicht mehr. Die Brücken hatten für die Amerikaner indes die gleiche militärstrategische Bedeutung wie zuvor für die Wehrmacht. Es gelang ihnen bis zum 14. April 1945, beide Brücken zumindest provisorisch wieder befahrbar zu machen. Dafür musste der hohe und lange Bahndamm, der nach Geises Tagebucheintrag durch die Bombenabwürfe „in des Wortes wahrsten Sinne hinweggefegt“ war, wiederhergerichtet werden.
Viele Zeitzeugenberichte
Das Buch „Nun sind sie da, die Amerikaner...“ ist im Lippe-Verlag erschienen und unter anderem in der Buchhandlung Brückmann erhältlich. Es führt altbekanntes und neues Material zusammen und bewertet die damaligen Vorgänge ganz neu, beschreiben die beiden Autoren. Breiten Raum nehmen darin zahlreiche Zeitzeugenberichte ein, die bisher in anderen Publikationen keine Berücksichtigung fanden.
Die offizielle Vorstellung der Ausstellung im Technikum und des Buches findet am Freitag, 25. April, von 17 bis 18.30 Uhr statt. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht nötig. Die Fotos sind während der regulären Öffnungszeiten im Erd- und Obergeschoss zu sehen.