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Tourleben

Musikerleben zwischen Traum und Realität in Oerlinghausen

Oerlinghausen. Das muss doch toll sein, so ein Leben als Musikerin und Musiker. Doch in der Realität hat es mit „Sex and drugs and rock’n‘roll“ wenig zu tun. Im Soziokulturellen Zentrum KNUP entzauberten jetzt Musikschaffende aus der Region die oft verbreiteten Mythen.

Den Anlass bot nach Mitteilung des KNUP das neue Buch „Kommst du mit in den Alltag“ von dem ehemaligen Oerlinghauser Andre Jegodka. In den 30 dort versammelten Interviews hat er erfahren: „Die meisten können nicht von ihrer Musik leben und verdienen ihr Geld in anderen Bereichen.“

Eigenes Plattenlabel

Auch Michael Girke (63) aus Herford bekannte selbstironisch: „Ich habe bis heute keine Karriere vorgelegt.“ Dabei waren die ersten Schritte recht vielversprechend. Vom Punk geprägt, gründete er in den Achtzigerjahren gemeinsam mit anderen ein eigenes Plattenlabel, um ihre Musik zu vermarkten. Seine Band „Jetzt!“ war wichtiger Bestandteil der „Hamburger Schule“ der 80er und 90er Jahre. „Doch nur ein Star sein zu wollen und alles dem Ruhm zu opfern, haben wir abgelehnt“, berichtete er.

Bei einem Kurzauftritt machte er dann deutlich, dass ihm die Inhalte seiner deutsch gesungenen Texte viel wichtiger sind. Überhaupt werde in der Kunst der Erfolg allzu sehr an finanziellen Maßstäben gemessen, kritisierte er. Die reine Orientierung am Erfolg „ist zu einer Art Ideologie geworden“. Außerdem habe ihn das Musikerleben nachhaltig desillusioniert. Girke: „Ich empfand eine Leere, tagelang im Auto zu sitzen, um von einem Konzertort zum nächsten zu fahren.“

„Die Band ist meine Familie“

Dagegen erklärte Mina Richman (27) vorbehaltlos: „Ich liebe das Tourleben.“ Glücklicherweise seien ihre drei Begleiter zu guten Freunden geworden. „Die Band ist meine Familie, und das empfinde ich als Privileg“, sagte sie. Unterwegs zu sein und zu spielen, sei sicher eine schöne Erfahrung. „Aber wir sind eine völlig brave Band“, meinten die Bielefelder Sängerin. „Wir können uns gar keine Exzesse erlauben.

Nach dem Konzert gehe ich sofort ins Bett und trinke stilles Wasser.“ Trotz einiger Auszeichnungen und viel Lob von den Medien „möchte ich wirklich kein Popstar sein“, sagte Mina Richman. „Ich genieße vielmehr, dass ich Musik machen darf und anschließend noch mit den Besuchern ins Gespräch kommen kann.“ Ebenso freue sie sich, dass sie jetzt von den Einnahmen der Gema ihre Miete bezahlen kann. Die Musik sei inzwischen mehr als nur ein nettes Hobby. „Ich mache ja auch die Buchhaltung und die Steuererklärung, ich bin also im Beruf angekommen“, argumentierte sie. Und dann müsse sie ihre Tätigkeit auch als Arbeit ansehen. Daraus ergäben sich nun mal gewisse Verpflichtungen. „Ich muss die Verträge erfüllen und auftreten, auch wenn ich krank bin“, sagte sie.

In den 90er-Jahren aktiv

In einer Hinsicht sei die Musik auch für ihn Arbeit, sagte Michael Girke. „Songs zu schreiben, ist unglaublich anstrengend.“ Er tritt gelegentlich auf, ist auch als Publizist, Historiker und Kurator tätig. „Ich bin froh, dass ich nicht von der Musik leben muss“, sagte er. Mina Richman weiß nicht allein die Honorare zu schätzen. „Ich treffe auf Menschen, die mir meinen Beruf ermöglichen“, stellte sie fest.

Autor Andre Jegodka war in den 90er-Jahren im damaligen JZO aktiv. Der jetzige Kulturhistoriker fasste die Erkenntnisse des Abends so zusammen: „Wir sind doch alle Idealisten. Wir unterstützen Strukturen, die kommerzielle Weise nicht funktionieren würden.“

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