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Die Frau, die im Vernichtungslager zur Welt kam

Drei weitere Holocaust-Überlebende sollen am fünften Verhandlungstag aussagen

Silke Buhrmester

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In Auschwitz geboren: Angela Orosz Richt-Bein wird in Detmold aussagen. Das Bild entstand im Lüneburger Gericht im Juni 2015. - © dpa
In Auschwitz geboren: Angela Orosz Richt-Bein wird in Detmold aussagen. Das Bild entstand im Lüneburger Gericht im Juni 2015. (© dpa)

Detmold. Sie hat das Vernichtungslager als Neugebornes überlebt. Angela Orosz Richt-Bein wurde kurz vor Weihnachten 1944 geboren. Ein Kilogramm habe sie bei ihrer Geburt gewogen, berichtete die heute in Kanada lebende Jüdin im Prozess gegen den „Auschwitz-Buchhalter" Oskar Gröning im Frühjahr 2015 in Lüneburg. Am kommenden Freitag soll sie auch vor dem Detmolder Landgericht aussagen.

Dort findet der fünfte Prozesstag gegen den ehemaligen SS-Wachmann Reinhold Hanning aus Lage statt, dem die Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen in Auschwitz zur Last legt.

Detailliert hatte die Jüdin ungarischer Abstammung, die in Montreal lebt, im Juni 2015 in Lüneburg ihre Geschichte erzählt: Wie ihre Mutter – im zweiten Monat schwanger – nach dreitägiger Fahrt im geschlossenen Viehwaggon in Auschwitz ankam, die Schwangere zunächst im Straßenbau eingesetzt worden war und später im Küchendienst, wo sie zumindest Kartoffelschalen essen konnte; und wie Lagerarzt Josef Mengele Sterilisierungsexperimente an ihr vornahm, als sie im siebten Monat schwanger war.

Immer wieder seien ihrer Mutter ätzende Substanzen, auch direkt in den Gebärmutterhals, injiziert worden. „Direkt dahinter war der Fötus, das war ich", wird die Holocaust-Überlebende in einem Artikel der Welt zitiert. Die Mutter überlebte und brachte auf einer Pritsche in der Baracke ihre Tochter Angela zur Welt. Fünf Wochen später wurde das Vernichtungslager befreit, Mutter und Kind waren gerettet.

Angela Orosz Richt-Bein ist eine von drei Nebenklägern, die bei dem Prozess am kommenden Freitag (Beginn: 10 Uhr, Gebäude der Industrie- und Handelskammer, Detmold) im Zeugenstand aussagen sollen. Geladen hat das Gericht unter Vorsitz von Anke Grudda zudem Benjamin Lesser aus den USA und Judith Kalman aus Kanada, deren Halbschwester in Auschwitz umgebracht wurde. Kalman selbst gehört zur zweiten Generation, sie wurde erst nach dem Krieg geboren.

Die Aussage des Chefermittlers vom Landeskriminalamt, Stefan Willms, der seinerzeit den Angeklagten in Lage vernommen hatte, ist für diese Woche nicht geplant.

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