Gütersloh. Emma Watson? Bis vor wenigen Wochen war Sigmund Bothmann die englische Schauspielerin noch kein Begriff. Erst als der Leiter des Gütersloher Knabenchores am Mittagstisch seiner Familie erzählt, dass der Chor an einer internationalen Spielfilmproduktion mit der Darstellerin der Hermine aus den "Harry Potter"-Filmen mitwirken solle, bemerkte Bothmann an der Reaktion, dass er es womöglich mit einem Weltstar zu tun habe. "Meinem Sohn ist die Kinnlade runtergeklappt."
"Colonia" heißt der Film, dessen Dreharbeiten vor wenigen Wochen begonnen haben. Erzählt wird vor dem Hintergrund des Militärputsches in Chile 1973 die Geschichte der "Colonia Dignidad" und ihres Führers Paul Schäfer. Dieser wird von Mikael Nyqvist gespielt, der in Deutschland vor allem als Dirigent in dem Film "Wie im Himmel" bekannt geworden ist. Emma Watson spielt in ihrer ersten Hauptrolle nach "Harry Potter" eine junge Frau, die ihren Freund, dargestellt von Daniel Brühl ("Good bye, Lenin"), aus den Fängen Schäfers befreien will. Im Frühsommer nächsten Jahres soll der Film ins Kino kommen.
Regisseur ist Fabian Gallenberger, der 2001 mit seinem Abschlussfilm an der Münchener Hochschule für Film und Fernsehen, "Quiero Ser" über Straßenkinder in Mexico, den Oscar bekommen hat. Sein Film "John Rabe" mit Ulrich Tukur wurde 2009 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.
Die Rolle, die der Knabenchor Gütersloh in "Colonia" spielt, ist nicht unheikel, geht es doch um Kindesmissbrauch. "Es handelt sich um eine Szene unter der Dusche", erklärt Sigmund Bothmann. "Die Kinder singen Schäfer zum Geburtstag ein Ständchen, was diesen sehr rührt." Der anschließende Missbrauch wird indirekt angedeutet. Die Kinder spielen diese Szene in Badehose. "Wir haben aber vorher Experten der Initiative ,Mein Körper gehört mir’ zu uns gebeten, die mit den Kindern die Szene und den Hintergrund besprechen." Auch die Eltern seien allesamt angesprochen worden, niemand habe die Mitwirkung an diesem Film verweigert.
Gedreht wird die Szene an diesem Sonntagmorgen in Gauting bei München am Starnberger See. Gesungen wird das Chorstück "The Lord is my Shepherd" des englischen Romantikers Charles Villiers Stanford und Johann Sebastian Bachs "O Haupt voll Blut und Wunden". Die Noten seien erst am vergangenen Mittwoch eingetroffen, so Bothmann. Es blieb also nicht viel Zeit zum Proben. "Aber wenn wir die Entwicklung des Knabenchors weiter erfolgreich fortsetzen wollen, dann müssen die Jungen lernen, mit diesem Druck umzugehen. Das ist im Fußball nicht anders." Und weil es eine internationale Produktion ist, wird in englischer Sprache gesungen.
Das ist allerdings nicht die einzige Bedingung, die die Produktionsfirma an den Knabenchor stellt. Denn um der historischen Realität Rechnung zu tragen, dürfen nur "deutsch" aussehende Jungen mitwirken. Sie dürfen zudem keine Spangen tragen. Den in den 70er Jahren üblichen Fassonschnitt haben sie schon bekommen.
Mediale Aufmerksamkeit ist der Knabenchor gewohnt. So war er schon im Radio auf WDR3 zu hören, und sein Auftritt in Florian Silbereisens Show "Adventsfest der Volksmusik", war laut Bothmann die meistgesehene Sendung des Jahres 2007. Die Teilnahme an einem Film ist indes Neuland für den Chor. Sicherheitshalber hat Bothmann alle wichtigen Aspekte im Vertrag, den er Donnerstag unterschrieben hat und erst beim Dreh überreichen wird, festlegen lassen: So dürfe das Drehbuch in dieser Szene nicht mehr verändert werden.
Was die Jungen interessiert: Die Begegnung mit Emma Watson. Doch die könnte gar nicht am Drehort sein. "In der Szene mit uns spielt Watson gar nicht mit." Aber wer weiß: Vielleicht hat Hermine den Zauber des Apparierens doch noch nicht verlernt.
"Colonia" – der Film
Die Geschichte: Chile, 1973. Lena und Daniel geraten während des Militärputsches in die Fänge der Geheimpolizei. Daniel wird verschleppt und Lena findet heraus, dass er in der hermetisch abgeriegelten Colonia Dignidad im Süden Chiles festgehalten wird.
Nach Außen ein deutsches Musterdorf unter der Führung des Laienpredigers Paul Schäfer, kollaboriert die Colonia in Wahrheit mit Diktator Pinochet und lässt ihn dort politische Gefangene foltern und töten. Lena beschließt sich der berüchtigten Sekte anzuschließen, um Daniel zu befreien