Oerlinghausen (nw). Dirk Becker, wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sieht in der Klimaabgabe für alte Kohlemeiler ein schlüssiges Konzept, sagt er im Gespräch mit Alexandra Jacobson. Außerdem verrät Becker, warum er bald Berlin verlassen will.
Herr Becker, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will eine Klimaabgabe für alte Kohlekraftwerke einführen. Ist das richtig?
DIRK BECKER: Sigmar Gabriel geht es vor allem darum, 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid einzusparen. Das ist eine Vereinbarung, die das Kabinett einstimmig im Dezember geschlossen hat. Wir wollen bis 2020 insgesamt 40 Prozent Kohlendioxidausstoß einsparen. Betroffen wären von der Klimaabgabe überwiegend alte Kohlekraftwerke. Das finde ich schlüssig und prüfenswert.
Der Energiekonzern RWE warnt vor dem Abschalten von Braunkohlemeilern. Allein in NRW wären 20.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Ist das übertrieben?
BECKER: Dass eine relativ moderate Abgabe die Braunkohleproduktion in Nordrhein-Westfalen komplett zum Erliegen bringen würde, halte ich für übertrieben. Wenn bei Kohlekraftwerken, die über 20 Jahre alt sind, die Leistung um zehn Prozent gedrosselt werden soll, ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass der Betrieb dadurch unwirtschaftlich wird. Aber ich bin mit RWE im Gespräch. Der Konzern wird konkrete Zahlen vorlegen, und dann reden wir darüber. Nur im Grundsatz gilt, dass das 40-Prozent-Reduktionsziel beim CO2-Ausstoß erreicht werden muss. Da darf es keine Abstriche geben.
Auf politischer Ebene wollten Sie sich mit der Unionsfraktion über die Klimaabgabe verständigen, doch die hat bisher das Gespräch verweigert.
BECKER: Es gibt wohl noch Klärungsbedarf in der CDU/CSU-Fraktion. Ich hoffe auf baldige Vorschläge vom Koalitionspartner. Wir haben nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag Zeit. Die Kraftwerksbetreiber in Deutschland wollen endlich ein klares Signal, wie es weitergehen soll. Es darf nicht wahr sein, dass alte, ineffiziente Kraftwerke die hochmodernen verdrängen. Dass das moderne Gaskraftwerk in Irsching abgestellt werden soll, ist ein Trauerspiel. Wir haben zu viel Kraftwerkskapazität in Deutschland. Und ich möchte, dass die dreckigen Kraftwerke vom Markt gehen und die modernen CO2-armen eine Zukunft haben.
Waren Sie über die Heftigkeit des Widerstands gegen die geplante Klimaabgabe erstaunt?
BECKER: Ich möchte daran erinnern, dass das Klimaziel nicht allein von Sigmar Gabriel kommt. Frau Merkel hat genauso zugestimmt. Gleichzeitig ist es klar, dass wir Gespräche führen mit den Bundesländern, die den Verlust von Arbeitsplätzen befürchten. Das sind Sachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Ich will gar nicht ausschließen, dass wir an der Klimaabgabe noch etwas verändern. Wir sind offen für Alternativen. Vielleicht haben wir uns zu sehr auf die Braunkohle fokussiert. Aber an den Klimaschutzzielen dürfen wir insgesamt nicht rütteln.
Herr Becker, Sie sind ein Lipper mit Leib und Seele. Wollen Sie deshalb im September Bürgermeister von Oerlinghausen werden?
BECKER: Ich mag meine Heimatregion. Seit vielen Generationen ist meine Familie hier verwurzelt. Natürlich ist der Job in Berlin spannend. Seit Dezember bin ich Sprecher für Wirtschaft und Energie in der SPD-Bundestagsfraktion. Gerade das Thema Energiewende hat sich für mich zu einem Herzensanliegen entwickelt. Aber in der Abwägung hat trotzdem die Liebe zur Heimat gesiegt.
Die SPD hat in der Großen Koalition ihre Ziele fast alle durchgesetzt: Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse. Kommt jetzt die schwere zweite Halbzeit mit lauter ungeliebten Themen wie etwa Vorratsdatenspeicherung oder Freihandelsabkommen TTIP?
BECKER: Auch bei diesen Themen muss die SPD Regierungsfähigkeit beweisen. Denn als Politiker sollte man an erster Stelle nicht an die Partei oder an die eigene Wiederwahl denken. Was nützt dem Land? ist die wesentliche Frage. Der letzte große Sozialdemokrat, der in erster Linie an das Land gedacht hat, war einst Bundeskanzler. Hätte Gerhard Schröder nur an seine Wiederwahl gedacht, wäre Deutschland nie reformiert worden und wir hätten immer noch über fünf Millionen Arbeitslose.