Wirtschaftsdiplomat Dola Sissé kämpft gegen Perspektivlosigkeit der Jugend

Bielefeld. Seit 1997 lebt der gelernte Elektrotechniker Dola Sissé (58) in Bielefeld. Seit wenigen Jahren hat er als Wirtschaftsdiplomat von Guinea-Bissau den Auftrag, Hilfsorganisationen für einen Einsatz in seinem Heimatland zu gewinnen. Gleichzeitig will er erste Wirtschaftsbeziehungen mit deutschen Unternehmen herstellen. Denn zu Hause in den Dörfern ergreifen die jungen Männer ohne jede Zukunftsperspektive die Flucht: In Sissés Heimatort Djabicunda leben rund 6.000 Menschen. "Fast jeder der Jugendlichen dort trägt den Wunsch nach einer Flucht im Herzen", sagt Sissé. Viele von ihnen sind bereits gegangen. "Von mindestens 20 haben ihre Familien nichts mehr gehört. Sie sind entweder im Mittelmeer oder in Libyen gestorben." Der Bielefelder berichtet, dass sich die meisten der Westafrikaner nach Marokko aufmachen. Weil viele dort nicht weiterkommen, reisen sie nach Libyen. "Viele kommen nie wieder. Andere kehren um und suchen dann ihr Glück in Zentralafrika oder Angola." Diese lebensbedrohliche Gefahr versucht Sissé den jungen Menschen vor Augen zu führen. Aber nur zu warnen reicht nicht. "Wir müssen vorher die Situation im Land verbessern." Deshalb sollen für die Perspektivlosen kleine landwirtschaftliche Kooperationen entwickelt werden. In Eigenregie sollen sie züchten oder Getreide anbauen. "Ein Huhn kostet bei uns acht bis neun Euro", sagt Sissé. Sein Heimatland importiere fast alles. Sogar Wasser aus Europa. "Dabei können wir theoretisch alle Lebensmittel selbst produzieren. Wir brauchen gar nicht viel Hilfe. Männer haben wir genug." Der zweifache Vater hält die aktuelle Flüchtlingsentwicklung für die Folge einer politischen Katastrophe. "Aber Europa kann das - nein, muss das verkraften. Denn Europa hat keine andere Wahl." Die aktuelle Offenherzigkeit der Menschen sei toll, aber nun müsse die Politik aufpassen: "Denn wenn die neuen Gäste bemerken, dass sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, dann gibt es Probleme", prognostiziert Sissé. Die Gefahr bestehe darin, ungewollt Parallelgesellschaften wie in Teilen von Paris oder Marseille zu schaffen. "Denn genau dort entstehen eigene Mentalitäten." Der 58-Jährige ist Moslem: "Der Islam kennt keine Blutfehde, die ist erst in solchen Parallelgesellschaften entstanden." In Deutschland glaube man, Integration ist, deutsch zu sein: "Aber keiner ist bereit, das Deutschsein zu lehren." Werden die Menschen an den Rand gedrängt, dürfte das langfristig große Probleme heraufbeschwören. Sissé nimmt daher seine Aufgabe als Wirtschaftsdiplomat sehr ernst: Er will die Lebensqualität in seiner Heimat dauerhaft verbessern. Doch noch sieht die Realität in Guinea-Bissau anders aus, erklärt der 58-Jährige: "Es ist in den vergangenen zwei Jahren viel passiert, aber wir haben trotzdem große Energieprobleme. Bis heute haben viele Menschen keine Wasserversorgung." Deshalb sucht er in NRW eine nicht-staatliche Hilfsorganisation, die bereit wäre, in Kooperation mit der ortsansässigen Hilfsorganisation "Anadja" tätig zu werden. Leider haben bisher viele abgewunken. Nachdem seine Hilfeersuchen bei den europäischen Stromriesen auf taube Ohren gestoßen waren, hatte der Bielefelder nun den Auftrag seiner Regierung, die Energieprobleme im Land punktuell zu lösen. Für Djabicunda und viele andere Orte sucht er mit dem Verein "Ajuda heißt Hilfe" derzeit nach Solar-Strom-Generatoren, um dort Wasserversorgung zu ermöglichen: "In den Dörfern passiert trotz zahlreicher Zusagen aus der Hauptstadt fast nichts. 109 Millionen Dollar sollen in der Vergangenheit in dunklen Kanälen versickert sein." Um in seiner Heimat die Infrastruktur zu verbessern, hat Sissé persönlich den Transport des ausgedienten "Rettungstransportwagens 5", den die Bielefelder Rettungsdienstgesellschaft von ASB, DRK und JUH gespendet hatte, nach Djabicunda in die Hand genommen. Sogar das staatliche Fernsehen berichtete von der Verbesserung der Gesundheitsversorgung in der Provinz Bafatá. "Vorher hatten viele werdende Mütter ihre Babys verloren, weil das nächste Krankenhaus 24 Kilometer entfernt ist", erklärt der Bielefelder. "Schwebt ein Patient in Lebensgefahr, bringen die Retter ihn sogar 60 Kilometer weit über die Grenze in ein Krankenhaus im Senegal." Sissés nächstes Ziel ist nun der Aufbau einer Gesundheitsstation in der Nähe.

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