Paris/Verl. Manuel Oesterschlink (32) aus Verl schaute sich das Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Frankreich im Fernsehen an und stutzte über den lauten Knall im Hintergrund. „Da habe ich mich noch gewundert“, erzählt er. Oesterschlink verbringt den Abend mit seiner schwangeren Frau Marie Feuillu (30) in ihrer Wohnung, nur 500 Meter vom Konzertsaal Bataclan entfernt.
Plötzlich ging alles ganz schnell. „Wir haben nur noch Sirenen gehört und überall war Polizei.“ Um Informationen zu erhalten, zappten sich die beiden durch die Nachrichtenkanäle. Langsam bekam das deutsch-französische Paar eine Ahnung davon, was sich vor ihrer Haustür abspielte.
„Und dann platzte auch noch die Fruchtblase von Marie“, sagt Oesterschlink. Pünktlich, denn der errechnete Geburtstermin war der 15. November. Das Paar wusste zunächst nicht, was es tun sollte. „Im Fernsehen sagten sie, wir sollen bloß nicht das Haus verlassen.“ Schließlich rief er im Krankenhaus an und fragte nach einem Krankenwagen. Die seien bereits alle unterwegs, habe man ihm geantwortet. Am besten sollten sie mit dem Auto kommen.
Die Zwillingsschwester seiner Frau war die Lösung. Sie lebt am anderen Ende von Paris und machte sich trotz Absperrungen und Sicherheitswarnungen auf den Weg ins 3. Arrondissement. Gegen 2.30 Uhr kam sie an der Wohnung an und fuhr die werdenden Eltern zum Krankenhaus. „Wir wären beide gar nicht in der Lage gewesen selber zu fahren.“
Niemand außer der Polizei, die nach den Attentätern suchte, sei auf den Straßen gewesen. Eine beängstigende Situation für die drei. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wussten – sie fuhren in Richtung Süden und damit raus aus der Gefahrenzone. Rund 20 Minuten dauerte die Fahrt bis zum Krankenhaus.
»Das war schon eine eigene Welt«
Dort angekommen fühlten sie sich endlich sicher. Da die Klinik auf Geburten spezialisiert ist und sich außerhalb von Paris befindet, wurden dort nur wenige Verletzte des Attentates eingeliefert. Seine Frau wurde untersucht und das Paar verbrachte die Nacht auf der Station – der Nachwuchs ließ noch auf sich warten. „Das war schon eine eigene Welt“, erinnert sich Oesterschlink. Die aktuelle Nachrichtenlage haben die beiden nur sporadisch verfolgt, gedanklich haben sie sich auf die bevorstehende Geburt vorbereitet.
Um Freunde und Familie darüber zu informieren, dass es ihnen gut geht, nutzte das Paar auch den neuen Sicherheitscheck von Facebook. „Fast alle unserer Bekannten haben das gemacht“, so Oesterschlink. „Uns hat es auch beruhigt zu wissen, dass es den anderen gut geht.“
Samstagabend setzten dann die Wehen bei Marie Feuillu ein – am darauffolgenden Morgen um 2.41 Uhr kam die kleine Anna Oesterschlink endlich auf die Welt. „Wir sind wirklich sehr glücklich“, so der junge Vater. Mittlerweile ist die Familie wieder zu Hause und hat die Strapazen der Geburt gut überstanden. „Es ist eine emotionale Achterbahn“, beschreibt Oesterschlink die aktuelle Situation. „Auf der einen Seite sind wir extrem vorsichtig, wenn wir auf die Straße gehen. Auf der anderen Seite aber auch sehr glücklich über die Geburt unserer Tochter.“