Foltermord-Prozess: Die Nachbarn haben nichts unternommen

Paderborn/Höxter. Manchmal fallen wichtige Sätze in Gesprächen ganz nebenbei. Erst wenn sie schon längst verhallt sind, wird klar, dass da etwas Erhellendes gesagt wurde. So war es auch am neunten Tag des Bosseborn-Prozesses. Erstmals schilderte dem Schwurgericht Paderborn nicht die Angeklagte Angelika W. ihre Sicht der Dinge, sondern die Nachbarn aus dem Saatweg kamen zu Worte.

Und mittendrin und völlig unbeachtet fiel der Satz, der womöglich erklärt, wie es geschehen konnte, dass Angelika W. und ihr Ex-Mann Wilfried W. über fünf Jahre lang immer wieder Frauen in ihr Haus locken, quälen und so sehr misshandeln konnten, dass zwei von ihnen starben. &bdquo;Das interessiert mich nicht. Die können machen, was sie wollen", lautet diese Sentenz.

Gesagt hat sie Uwe R. (alle Namen geändert), der mit seiner Frau und seinen alten Eltern direkt nebenan wohnte und so manches sah. Mit diesem Satz schloss er die Beschreibung der Szene ab, die zu den letzten im Leben von Annika W. gehört, nämlich der Sturz der geschwächten Frau vor der Haustür wenige Tage vor ihrem Tod.

Dass es den vier Bossebornern sehr unangenehm ist, sich hier vor dem Schwurgericht einfinden zu müssen, merkt man schon, als sie den Saal betreten. Fast ein bisschen widerwillig bleiben sie in der Nähe der Saaltür stehen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn ihm und seinen alten, gesundheitlich leicht angeschlagenen Eltern eine Aussage erspart geblieben wäre, wird Uwe R. zum Schluss seiner Vernehmung sagen.

Aber vorher erzählt er offen von Angelika und Wilfried W.. Sofort nach dem Einzug der beiden ins Nachbarhaus habe es &bdquo;Krawall" gegeben und zwar ums Abstellen der Autos. Freimütig berichtet Uwe R. auch von jenem Sonntag, an dem er sich beschwerte, weil im Hause W. noch nach 22 Uhr die Kreissäge in Betrieb war, und daraufhin erst Angelika W. und dann Wilfried W. vor der Tür stand und letzterer sofort handgreiflich wurde.

&bdquo;Wir hatten Angst um Haus und Hof", sagt Uwe R. &bdquo;Was die mit uns gemacht haben, ist nicht normal", sagt seine Mutter (74) und schildert, dass Angelika W. ständig vor der Tür gestanden und sie &bdquo;getriezt" habe. &bdquo;Man suchte den Krach", sagt ihre Schwiegertochter Kerstin R., &bdquo;um die Nachbarn auf Abstand zu halten."

Die Taktik ging auf. Die Mitglieder der Familie R. nahmen vieles wahr, aber taten nichts. Sie hörten immer wieder die vernachlässigten Tiere im Saatweg 6 schreien und die Hunde bellen – ohne zu reagieren. &bdquo;Wir haben das ins Lustige, ins Lächerliche gezogen und gesagt: ,Jetzt dressieren sie wieder’", erinnert sich Uwe R..

Ein Anruf beim Veterinäramt kam nicht infrage. &bdquo;Aus gesundheitlichen Gründen wollte ich mich nicht mit so was anlegen", erklärt seine Mutter. Das habe sie lieber anderen überlassen. Irgendwann hätten Mitarbeiter des Veterinäramtes die Tiere abgeholt, weiß ihr 78-jähriger Mann und findet: &bdquo;Sie hätten die Leute (also die Angeklagten – die Red.) auch wegholen sollen."

Gleichfalls nicht verborgen blieb den Nachbarn, dass im Hause W. immer wieder neue Frauen auftauchten. Ein rechtes Rein und Raus sei das gewesen, sind sich die vier Zeugen einig. Und sie sahen auch, dass Annika W., und Susanne F. immer weniger wurden im Laufe der Zeit. &bdquo;Sie wurden ihrer Weiblichkeit beraubt", sagt Uwe R.. Böses schwante ihm nicht – auch nicht als die Köpfe der vormals attraktiven Frauen plötzlich kahlgeschoren waren. &bdquo;Die haben bestimmt Läuse", habe er damals vermutet.

All dieses sei Thema gewesen – zu Hause in der Familie, aber auch im Dorf, sagt Kerstin R.. &bdquo;Wir haben nichts gemacht, weil wir das Gefühl hatten, es wird noch schlimmer. In der Familie haben wir beschlossen, wir halten uns zurück, um unsere Ruhe zu haben." Diese kehrte ein, als nach dem Tod von Susanne F. Ende April 2016 Wilfried und Angelika W. festgenommen wurden. Ihre ehemaligen Nachbarn sind der Ansicht, dass sie sich das auch verdient haben. &bdquo;Jetzt ist Ruhe", sagt die 74-Jährige im Zeugenstand. &bdquo;Die brauchen wir auch."

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