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Schulangst: Was tun, wenn Kinder plötzlich nicht mehr zur Schule wollen?

Anneke Quasdorf

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Stufe für Stufe: Erstklässler haben in ihrer Schullaufbahn einen langen Weg vor sich. Gerade am Anfang kann es dabei Probleme geben. - © dpa
Stufe für Stufe: Erstklässler haben in ihrer Schullaufbahn einen langen Weg vor sich. Gerade am Anfang kann es dabei Probleme geben. (© dpa)

Frau Fitzner, Sie sind leitende Schulpsychologin des Kreises Paderborn. Was sind die häufigsten Probleme und Ängste von Erstklässlern?

Susanne Fitzner: Die häufigsten Fragen, die sich Erstklässler stellen, sind folgende: Finde ich Freunde? Was wird von mir erwartet? Komme ich mit den Aufgaben zurecht? An wen kann ich mich wenden, wenn ich Streit habe oder es mir nicht gut geht? Neu sind natürlich auch der Schulweg sowie das Zurechtfinden in den Gebäuden und mit den neuen Lehrkräften.

Was ist mit der Trennung von den Eltern?

Fitzner: Dadurch, dass die Kinder in der Regel schon im Kindergarten waren, ist die Trennung von den Eltern nur in seltenen Fällen ein Problem.

Welche neuen Herausforderungen bringt die Schule nach dem Kindergarten mit sich?

Fitzner: Kinder erleben den Tagesablauf zuhause als strenger geregelt durch die Schule. Die Schulzeit mit festen Anfangszeiten und die Hausaufgaben bringen einen neuen Takt in den Alltag. Und anders als in vielen Kindergärten können Schülerinnen und Schüler auch vormittags ihre Zeit nicht mehr selbst gestalten, sondern müssen sich nach den Anforderungen der Lehrkraft richten.

Schulpsychologin: Susanne Fitzner. - © Kreis Paderborn
Schulpsychologin: Susanne Fitzner. (© Kreis Paderborn)

Wie meinen Sie das?

Fitzner: Das beginnt schon mit dem Gang zur Toilette, wobei die Kinder natürlich auch in der Stunde gehen können, wenn es nötig ist. Aber trotzdem: Kinder müssen lernen, ihren individuellen Rhythmus von Essen, Toilettengang, sich bewegen, sprechen etc. auf eine Gruppe abzustimmen. Und sie müssen sich in die Gruppe einfügen und trotzdem ihre eigenen Bedürfnisse zur Geltung bringen. Das ist ein Balanceakt, der bedeutet: abwarten und auf andere eingehen.

Eine große Neuerung stellt wahrscheinlich auch das Stillsitzen dar.

Fitzner: Genau. Kinder wollen sich bewegen. 45 Minuten am Stück am Platz zu sitzen und sich zu konzentrieren, ist eine große Anforderung. Daher bauen die Grundschullehrkräfte immer wieder auch Bewegungspausen ein oder wechseln das Lernsetting, indem die Kinder in Partnerarbeit, im Stuhlkreis oder in Gruppen- oder Einzelarbeit gegebenenfalls auch im Stationenlernen arbeiten. Das Singen von Liedern mit oder ohne Bewegung, kurze Lernpausen mit Essen etc. sorgen dafür, dass die Konzentrationsleistung von zehn bis 15 Minuten bei Kindern im Alter von fünf bis sieben Jahren nicht überstrapaziert wird.

Und angenommen, all das ist zu viel und das Kind sagt morgens immer nur: Ich will da nicht mehr hin – wie sollten Eltern sich verhalten?

Fitzner: Vor allem sollten Eltern genau zuhören, was Kinder von der Schule berichten. Sie sollten das Kind ermutigen, mit der Klassenlehrkraft zu sprechen, wenn etwas schwierig ist. Dann ist es wichtig, Kontakte zu Mitschülern zu ermöglichen – auch außerhalb der Schule. Wenn sie selbst Fragen haben, sollten Eltern den Kontakt zum Klassenlehrer suchen und Angebote für Elternabende nutzen.

Und was sollten Eltern unbedingt vermeiden?

Fitzner: Sorgen aufzubauen beim Kind, zum Beispiel dadurch, dass sie in seinem Beisein schlecht über die Schule sprechen. Auch sollten Probleme nur mit jenen besprochen werden, die sie etwas angehen und die etwas verändern können, nicht mit anderen. Ein wichtiges Thema sind später auch die Hausaufgaben.

Was ist dabei zu beachten?

Fitzner: Dass die Kinder nicht ganze Nachmittage damit zubringen. In der ersten und zweiten Klasse sollten die Hausaufgaben nach rund 30 Minuten erledigt sein. Genauso problematisch: Eltern sollten nicht stellvertretend die Hausaufgaben machen, wenn das Kind sie nicht schafft. Besser ist, der Lehrkraft frühzeitig mitzuteilen, dass das Kind nicht dazu imstande war.

Information
Erwartungsdruck oft zu groß

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Hans-Peter Meidinger, sieht im Erwartungsdruck vieler Eltern einen Grund für zunehmend gestresste Schüler. Wenn Kinder und Jugendliche stressbedingt an Kopf- und Bauchschmerzen oder Schlafproblemen litten, sei das nicht auf steigende Leistungsanforderungen der Schulen zurückzuführen, sagte er. „Die Lehrpläne sind nicht ausgeweitet worden, in NRW werden sogar Hausaufgaben erlassen." Der Stress entstehe oft durch eine zu hohe Erwartungshaltung der Eltern. „Sie geben sich nicht mehr mit einem Abschluss zufrieden, sondern verlangen Top-Abiturnoten, damit bestimmte Studienfächer offenstehen."

Ab wann spricht man denn eigentlich von Schulangst?

Fitzner: Noch nicht bei Problemen nach der Einschulung. Durch die neue Situation können bei dem Kind natürlich in gewissem Maße Ängste und Verunsicherungen aufkommen. Das ist jedoch nicht mit Schulangst gleichzusetzen. Schulangst ist die direkte Angst vor der Schule, den Mitschülern, den Lehrkräften und das damit verbundene Vermeidungsverhalten. Sie kann sich auch psychosomatisch niederschlagen in Bauch- oder Kopfschmerzen und Übelkeit.

Und ab wann sollte man sich Hilfe von außen holen?

Fitzner: Wenn Eltern den Kontakt zur Schule gesucht haben, aber deutlich wird, dass man nicht gemeinsam zu Lösungen kommt. Das kann der Fall sein, wenn die Sichtweise auf das Kind zu weit auseinandergeht und man das Gefühl hat, dass das Kind in der Schule anders wahrgenommen wird als zu Hause. Ein Beispiel: Das Kind langweilt sich und ist unterfordert, aber die Schule glaubt, es sei unerzogen und halte sich nicht an Regeln. Dann kann ein Gespräch, moderiert von einem Berater von außen, helfen, Bedürfnisse des Kindes zu erörtern und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die für Eltern und Schule umsetzbar sind und das Kind stärken.

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