Jugendamtsmitarbeiterin zu Missbrauch in Lügde: "Man hat oft wenig in der Hand"

Bielefeld. Als Saskia F. (Name ist der Redaktion bekannt) von den Missbrauchsfällen in Lügde hört, ist ihr erster Gedanke: Warum hat der tatverdächtige 56-Jährige, ein lediger Mann, der seit 30 Jahren auf einem Campingplatz wohnte, ein Pflegekind bekommen? &bdquo;Dass er in einem Wohnwagen lebt, was vielen ungewöhnlich vorkommt, muss nichts Schlechtes sein", sagt die Jugendamtsmitarbeiterin, die anonym bleiben will. Dennoch sei ihr das komisch vorgekommen.

Sie ist mit dieser Einschätzung nicht allein. Der Anwalt des Verdächtigen, der mit zwei weiteren Männern mindestens 29 Kinder in etwa 1.000 Fällen für Kinderpornografie missbraucht haben soll, lässt sich mit derselben Aussage zitieren. Die Polizei spricht von einer krassen Fehlentscheidung, ermittelt gegen Beschäftigte der Jugendämter Hameln-Pyrmont und Lippe – aber auch gegen eigene Beamte. Denn die Anzeige eines Vaters aus dem Jahr 2016 könnte nicht korrekt weitergeleitet worden sein. Er soll Strafanzeige wegen Missbrauchs gestellt haben. Das Jugendamt aber überprüfte den Tatverdächtigen wegen des Verdachts der Verwahrlosung. Und der bestätigte sich nicht.

Saskia F. ist nicht in NRW beschäftigt, sie hat von den Fällen aus den Medien erfahren. Sie selbst arbeitet seit fast sieben Jahren im Jugendamt. So seltsam sie das Vorgehen ihrer Kollegen aus Lippe findet, so wichtig ist ihr auch klarzustellen, dass die Mitarbeiter in solchen Verdachtsfällen vor einer Mammutaufgabe stehen.

Für das Jugendamt ist ihrer Aussage nach wichtiger, ob die Kinder grundsätzlich gut versorgt sind, also ob sie einen eigenen Schlafplatz, genügend zu essen, angemessene Kleidung und Ähnliches haben. Das war laut Jugendamt Lippe gegeben. Weniger stark ins Gewicht fällt überraschenderweise, wenn der – vielleicht zunächst unbestätigte – Verdacht sexueller Übergriffe im Raum steht.

Das erscheint widersprüchlich, wenn für das Jugendamt das Kindeswohl im Vordergrund steht. Doch F. gibt zu bedenken, dass solche Fälle oft schwer nachzuweisen sind. &bdquo;Die Kinder haben ihre Eltern ja lieb", sagt F. Sie entwirft ein Beispiel: &bdquo;Wenn das Kind in der Schule plötzlich ständig ,Pimmel’ und ,ficken’ sagt, und der Vater einem erzählt, er könnte beim Pornos gucken vielleicht mal vergessen haben, die Kopfhörer einzustecken, komme nicht wieder vor, dann hat man erstmal wenig in der Hand. Man sagt ihm, dass das nicht geht, aber alles weitere nachzuweisen wird schwierig." Ob sie glaubt, dass man als Jugendamt von Missbrauch nichts mitbekommt, wenn die Täter das nicht wollen: &bdquo;Ja."

Eine zweite Schwierigkeit: Sobald die Polizei involviert ist, kann es sein, dass die Kinder eine Zeugenaussage machen müssen. &bdquo;Es besteht die Gefahr, dass sie traumatisiert werden. Das ist natürlich nicht im Sinne des Kindeswohls." Deshalb zögen Mitarbeiter häufiger Fachberater hinzu, die anders für Aufarbeitung sorgen können. Die mit Kindern und Eltern sprechen und so versuchen, mehr herauszufinden. &bdquo;Man erkennt es an der Sprache, den Themen, wenn Kinder sagen, Papa macht dies und das." Die entsprechende Fortbildung wird zwar vom Dienstherrn bezahlt, ist aber freiwillig. Das NRW-Familienministerium bestätigt, dass solche Weiterbildungsangebote bisher nicht vorgeschrieben sind.

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