Behörden drohen mit Kindesentzug: Juristen werten Anordnung als Kindeswohlgefährdung

Bielefeld. Gesundheitsämter in mehreren Bundesländern fordern Eltern in Corona-Verdachtsfällen dazu auf, ihre Kinder in häuslicher Quarantäne getrennt von der Familie in einem Raum zu isolieren und auch Mahlzeiten getrennt vom eigenen Kind einzunehmen. Halten sich Eltern nicht an die Vorgaben, droht die Unterbringung des Kindes in einer geschlossenen Einrichtung. Juristen bewerten diese Anordnungen als Kindeswohlgefährdung.

In Deutschland garantiert das Grundgesetz, dass die Erziehung und Pflege des Kindes Elternrecht sind. Gegen den Willen der Eltern dürfen Kinder nur dann getrennt werden, wenn sie als Erziehungsberechtigte versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. &bdquo;Bei Fällen einer Kindeswohlgefährdung dürfen Kinder vom Jugendamt in Obhut genommen werden, wenn andere Mittel nicht helfen.

Deshalb halte ich eine Inobhutnahme aufgrund vermeintlicher Verstöße von fragwürdigen Regeln in der häuslichen Quarantäne für nicht vorstellbar", erklärt die Bielefelder Fachanwältin für Familienrecht, Marion Schmidt, von der Kanzlei Stracke, Bubenzer und Partner.

Jurist: Isolation gefährdet das Kindeswohl Diese Ansicht teilt auch Rechtsanwalt Arndt Kempgens aus Gelsenkirchen: &bdquo;Das Infektionsschutzgesetz sieht zwar die Isolation von Infizierten und Verdachtsfällen vor. Das bedeutet aber nicht, dass Kinder vom Rest der Familie isoliert werden dürfen." Die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung aufgrund einer Isolation des Kindes ist laut Kempgens größer, als die Infektionsgefahr für die Bevölkerung, wenn das Kind weiter Kontakt zu seiner Familie hat. &bdquo;Ich habe große Zweifel daran, dass die Anordnung der Behörden verfassungsgemäß ist. Das Vorgehen ist haarsträubend."

Zudem bestehen laut Schmidt große Zweifel daran, ob Gesundheitsämter überhaupt über Inobhutnahmen entscheiden dürfen. &bdquo;Das Jugendamt hat bei einer Kindeswohlgefährdung die Möglichkeit, ein Kind temporär oder auch dauerhaft aus seiner Familie zu holen, aber keine anderen Ämter." Die Juristin fragt sich zudem, wo betroffene Kinder untergebracht werden sollen: &bdquo;Kinder werden nach Inobhutnahmen entweder in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht. Diese Regelung passt nicht zu der Drohung, Kinder in geschlossene Einrichtungen unterzubringen."

"Vielmehr ist diese Anordnung rechtlich als Kindeswohlgefährdung zu werten." Als befremdlich bezeichnet Schmidt auch die Anordnung selbst Kleinkinder getrennt von der Familie in einem Raum zu isolieren. &bdquo;Das geht gar nicht. Eltern sind dazu verpflichtet für das Wohl ihres Kindes zu sorgen, auch während einer Pandemie. Daher ist diese Anordnung lebensfremd und unverhältnismäßig. Vielmehr ist diese Anordnung rechtlich als Kindeswohlgefährdung zu werten."

Nach Einschätzung Schmidts verstoßen die Behörden mit ihren Anordnungen gegen das Übermaßverbot, das besagt, dass öffentliche Verwaltungen nur solche Maßnahmen ergreifen dürfen, die zur Erreichung eines bestimmten Zwecks erforderlich sind. &bdquo;In diesen Fällen wurde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt, denn Behörden sind dazu verpflichtet immer die mildesten Mittel zu wählen", sagt Schmidt. &bdquo;Doch anstatt einfach das Kind mit einem Elternteil oder der gesamten Familie in die Quarantäne zu schicken, ordnen die Behörden die Isolation von Kindern an. Das ist mehr als fragwürdig."

Laut Kempgens haben es die Behörden versäumt individuelle Ermessensentscheidungen zu treffen. &bdquo;Auch wenn das Infektionsschutzgesetz nicht zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheidet, muss es die Behörde bei der Anordnung häuslicher Quarantäne."

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