„Nicht einfach weggenommen“: Wann lippische Jugendämter Kinder in Obhut nehmen

Kreis Lippe. &bdquo;Eine Inobhutnahme ist die letzte Möglichkeit für das Jugendamt, um das Wohl des Kindes zu garantieren“, betont Kyra Venghaus von der Fachstelle Erziehungshilfen beim Bad Salzufler Jugendamt. Denn genau darum geht es: um das Wohl und die Sicherheit des Kindes. So ohne Weiteres werden Kinder nicht aus ihren Familien genommen, &bdquo;davor ist immer schon ganz viel passiert“. Welche Maßnahmen vorangehen, wann es zu einer Inobhutnahme kommt und was genau das heißt, erklären sie, Jugendamtsleiter Fatih Gök sowie die Einrichtungsleiter Mia Dreessen (St. Elisabeth-Stiftung) und Sven Weber (Heidehaus).

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, warum Kinder in Obhut genommen werden. Etwa, wenn das Jugendamt eine Meldung bekommt, ein Kind könnte zu Hause gefährdet sein. Das kann über die Kita oder Schule, einen Arzt oder auch Nachbarn, Freunde und Verwandte geschehen. &bdquo;Jede Meldung wird ernst- und wahrgenommen“, betont Fatih Gök. Lieber einmal zu viel geschaut, wo vielleicht nichts ist, als einem misshandelten oder vernachlässigten Kind nicht zu helfen.

Entscheidung fällt nie einer allein Dann werde im Team geschaut und geprüft, ob an der Meldung etwas dran ist, erklärt Kyra Venghaus weiter. &bdquo;Das macht nie ein Mitarbeiter allein.“ Ist die Situation so, dass das Kind akut gefährdet ist, wird es aus der Familie genommen. Aber auch dann werde geschaut, ob es sich um eine kurzfristige oder eine Dauersituation handelt und wie der Familie geholfen werden kann.

&bdquo;Es gibt auch Eltern, die wollen, dass das Kind das Haus verlässt“, weiß Sven Weber, wenn die Probleme miteinander groß sind. Und es komme auch vor, dass ein Kind von sich aus sagt, es will in Obhut genommen werden. &bdquo;Und dann hat es ein Anrecht darauf“, betont Fatih Gök. Eine weitere Möglichkeit ist, dass Kinder aus einer Einrichtung wie der Kinder- und Jugendpsychiatrie heraus in die Inobhutnahme kommen.

Doch was bedeutet Inobhutnahme genau? &bdquo;Es ist eine kurzfristige Maßnahme“, erklärt Mia Dreessen. Sie dauere maximal zwei bis sechs Wochen. Denn mit der Inobhutnahme fällt das Sorgerecht kurzfristig ans Jugendamt &bdquo;Stimmen die Eltern nicht zu, muss innerhalb von 24 Stunden das Gericht angerufen werden“, ergänzt Kyra Venghaus. Es stehe immer die Frage dahinter, wie die akute Gefährdung für das Kind abgewendet werden kann. Kann das Kind zurück in die Familie, zum Beispiel mit Unterstützung ambulanter Hilfen, oder braucht es eine Anschlussmaßnahme?

Aquarium bringt Ruhe Aber erst einmal stehen Ruhe, Sicherheit und Schutz für das Kind an erster Stelle, wenn es - egal in welchem Alter und aus welchem Grund - in eine Inobhutnahme-Einrichtung kommt. Die St. Elisabeth-Stiftung nimmt Kinder ab dem Säuglingsalter auf, in den Kriseninterventions- und Diagnosegruppen maximal bis 12 Jahre. &bdquo;Bei der Ankunft und in den Folgetagen nehmen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders viel Zeit für dieses Kind, für seine Fragen und Ängste“, weiß Mia Dreessen um die besondere Situation und Belastung. Zum Teil sei die Situation dramatisch, die Kinder seien aus den Familien raus ohne Kleidung, ohne Spielzeug. &bdquo;Wir haben im Eingangsbereich ein Aquarium stehen und beobachten immer wieder, wie die meisten Kinder dort einfach stehen bleiben.“ Das Beobachten der Fische und Schnecken schenke ihnen vermutlich für einen kleinen Moment Ruhe.

Im Heidehaus kommen Kinder ab 12 Jahren an, &bdquo;die fragen meist eher nach einem Handykabel als einem Kuscheltier“, weiß Sven Weber. Aber inhaltlich gehe es um dasselbe: keine Anforderungen stellen, sondern einen sicheren Rahmen schaffen. &bdquo;Grundsätzlich bleiben die Kids bei uns 14 Tage in der Inobhutnahme, bevor es weiter geht“ - also entweder zurück in die Familie oder in eine Regelmaßnahme wie die stationäre Wohngruppe.

Damit soll vermieden werden, dass sich die Kinder und Jugendlichen längere Zeit in einem &bdquo;Schwebezustand“ befinden, nicht wissen, was als Nächstes passiert. Denn das führe zu einer Perspektivlosigkeit. Und nach etwa zwei, drei Wochen werde eine Beziehung aufgebaut - doch bei einer kurzfristigen Maßnahme sei das nicht förderlich. Im Gegensatz zu Regelmaßnahmen, wo Beziehungsarbeit und Vertrauen gewünscht sei.

Herausforderung für Mitarbeiter Auch für die Mitarbeiter eine Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz. Dafür brauchen sie ein gutes Gespür, weiß Sven Weber. Außerdem müssen sie ein hohes Maß an Geduld, Gelassenheit und Verständnis mitbringen, betont Fatih Gök, &bdquo;teilweise bringen die Kids massive Auffälligkeiten mit“. Verhaltensweisen müssen interpretiert und gedeutet werden, es gebe immer auch einen traumapädagogischen Zugang, ergänzt Mia Dreessen. Und trotzdem sei es einfach ein toller Job .

Und auch die Mitarbeiter selbst brauchen ab und zu kollegiale Begleitung, deshalb sei die Supervision wichtig, weiß Kyra Venghaus. &bdquo;Das macht ja auch was mit einem, wenn man mitbekommt, was die Kinder durchlebt haben.“ Denn bei allem steht ihr Wohl, ihre Sicherheit, ihr Schutz im Vordergrund.

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