Reiselust eines Rotkehlchens lässt Holzmindener Expertin staunen

Kreis Höxter/Holzminden . Rotkehlchen, klein, orangefarbene Brust, etwas "moppelig", wirken nicht gerade wie die Supersportler im Tierreich. Immerhin sind sie relativ zutraulich, fressen auch mal gerne, was anderen aus den Schnäbeln fällt, und zu ihren Lieblingsbeschäftigungen zählen Baden und in der Sonne sitzen.

Ein kleines Rotkehlchen, das in Holzminden gefunden wurde, hat jedoch eine unglaubliche Reise hinter sich. Rund 900 Kilometer hatte das Vögelchen in den Flügeln – bei 17 Gramm Körpergewicht, verteilt auf zwölf bis 14 Zentimeter vom Schnabel bis zur Schwanzfeder.

&bdquo;So viel war ich dieses Jahr nicht unterwegs", sagt Christiane Jenewein-Stille, die in Holzminden eine Auffangstation für Wildvögel betreibt. &bdquo;Vom Goldhähnchen mit vier Gramm bis zum Graureiher, den ich dieses Jahr auch schon im Arm hatte" päppelt sie kranke und verletzte Tiere auf. Manchmal werden auch tote Tiere zu ihr gebracht, wenn es sich um seltene Arten wie die Bekassine handelt zum Beispiel.

80 Prozent der Population sterben

Auch das Rotkehlchen lebte nicht mehr, als Jenewein-Stille von ihm erfuhr. &bdquo;Im Frühjahr hatten die Stadtgärtner beim Säubern eines Beets in Holzminden ein totes Rotkehlchen gefunden", berichtet sie. &bdquo;Das allein hätte nach dem strengen Winter keine Sensation dargestellt."

Denn Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Hälfte einer Rotkehlchenpopulation schon einen &bdquo;normalen" Winter nicht übersteht. Ist es besonders kalt, können sogar 80 Prozent der Tiere sterben. In der Regel nicht wegen der Temperatur, sondern weil die Vögel nicht genügend Nahrung finden.

Flugreise begann im Nachbarland

&bdquo;Doch bei genauerem Hinsehen blinkte an einem Beinchen ein winziger Ring", berichtet die Vogelexpertin weiter. Sechs Millimeter lang, drei im Durchmesser: &bdquo;Winzig" ist dabei in keinem Fall übertrieben. Um das zu veranschaulichen, hat Christiane Jenewein-Stille den Ring neben einer 1-Cent-Münze fotografiert.

Eine der Gärtnerinnen hatte Jenewein-Stille schon häufiger kranke Vögel gebracht, jetzt bringt sie der Fachfrau den Ring. &bdquo;Die Inschrift war darauf nur mit einer Lupe zu erkennen", sagt sie. Was sie entziffert – einen Ort und eine Nummer – meldet sie der zuständigen Beringungszentrale auf Helgoland. Insgesamt gibt es in Deutschland zwei solcher Einrichtungen.

Mehrere Monate und ein Nachhaken dauert es, ehe Jenewein-Stille von dort erfährt, wann und wo das Vögelchen den Ring erhalten hat. &bdquo;Der kleine Vogel war in Frankreich, circa 80 Kilometer nördlich von Paris, in einem kleinen Ort als Jungvogel beringt worden und hatte auf seiner Reise nach Holzminden bis April mindestens 900 Kilometer zurückgelegt."

Darum werden die kleinen Vögel beringt

Jenewein-Stille hat nachgemessen. Zwischen dem französischen Örtchen und der Stadt der Düfte und Aromen liegen 800 Kilometer Luftlinie. Die das Rotkehlchen natürlich nicht in einem durch zurückgelegt habe. So schätzt sie die tatsächlich zurückgelegte Distanz noch höher ein. &bdquo;Eine unglaubliche Leistung", sagt sie.

Aber warum flog das Rotkehlchen so weit? Auch Rotkehlchen ziehen im Winter durchaus in den Süden, wie Jenewein-Stille erklärt. Die Vögel, die wir hier in der kalten Jahreszeit antreffen, seien nordische Vögel, die meist auch etwas stärker seien. Manche blieben auch. &bdquo;Wie Rotkehlchen ziehen, ist eigentlich nur durch die Beringung nachvollziehbar." Jenewein-Stille vermutet, dass der Vogel hier in der Region geschlüpft sein könnte, in Frankreich überwinterte und dann im Frühjahr &bdquo;nach Hause" wollte, um hier einen Partner zu finden. &bdquo;Aber das ist, wie gesagt, nur eine Vermutung."

Oft wird der Mensch den Vögeln zum Verhängnis

Das umtriebige Rotkehlchen ist jetzt tot. Dafür hilft Christiane Jenewein-Stille vielen anderen Vögelchen, die krank oder verletzt sind. Für Leiden von Wildvögeln gibt es viele Gründe. An den häufigsten allerdings ist einer Statistik zufolge der Mensch Schuld. Fensterscheiben, gegen die Vögel fliegen, seien Ursache Nummer eins. Auf Platz zwei: die Hauskatze. &bdquo;Katzen sind ein sehr großes Problem", sagt sie, &bdquo;und die attackierten Vögel auch nur sehr schwer zu retten".

Auch Erkrankungen, die auf Parasitenbefall zurückgingen, seien häufig. &bdquo;Das Blaumeisensterben war eine bakterielle Sache." Und auch vor Viren sind Vögel nicht gefeit. Als Vorsitzende des Geflügelzuchtvereins habe sie auch Vögel aus Höxter gegen das Coronavirus geimpft. Nicht per Spritze, sondern per Tränke. &bdquo;Corona verläuft bei Vögeln genauso wie bei Menschen", erklärt sie. Die Viren könnten erst zu Atemwegsinfektionen und schließlich auch zum Tod führen.

Seit rund 15 Jahren kümmert sich Christiane Jenewein-Stille intensiv um Vögel. &bdquo;Aber man steht ja nicht eines Morgens auf und sagt: Ab jetzt pflege ich 16 Stunden Vögel am Tag", sagt sie. Es fing also noch früher an. &bdquo;Mit dem Fund von neun Stockentenküken", erinnert sie sich. Und eigentlich noch davor mit dem Interesse an Ornithologie. Auch wenn sie mittlerweile Expertin ist und auch mit Instituten wie der Tierärztlichen Hochschule Hannover zusammenarbeitet: &bdquo;Ich lerne immer noch dazu", sagt die Fachfrau.

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