Spielsucht lässt Frau aus Borchen zur Mörderin ihrer Mutter werden

Borchen. Sie war gefangen in einer Sucht. Der Sucht nach dem Spiel. Oder besser: der Sucht nach dem Gewinn. Ein Laster, dass eine damals 46-jährige Frau aus Borchen zur Mörderin werden lässt. Der Mord aus dem Jahr 2019 hat so manche Randnotiz, die den Fall schon fast filmreif macht.

Borchen ist ein beschaulicher Ort im Süden Paderborns. Einfach die A33 ein paar Kilometer weiter in Richtung Sauerland. Ein schönes Fleckchen Erde, gerade wenn die Sonne im Spätsommer auf die teils alten Gebäude strahlt. So wie an diesem wunderschönen Tag, Ende September 2019.

Es ist Sonntag. Karin N. ist 76, Rentnerin. Sie lebt alleine in ihrer Wohnung im Erdgeschoss des weißen Hauses mit dem roten Dach. Ihr Mann ist bereits vor ein paar Jahren gestorben. Ihre Tochter lebt mit ihrem Schwiegersohn in der Wohnung darüber - im Obergeschoss. Die Tochter pflegt die Mutter, trotz Berufs und der Verpflichtung mit zwei eigenen Hunden.

"Verletzungen, die auf ein Tötungsdelikt hinweisen"

Karin N. hat auch einen Sohn. Der versucht an diesem Tag, die Mutter zu erreichen. Vergeblich. Das ist ungewöhnlich. Der Sohn und dessen Frau fahren zu der 76-Jährigen. Sie haben schließlich einen Schlüssel. Doch von Karin N. fehlt jede Spur, das Schlafzimmer ist verschlossen. Die Jalousien sind heruntergelassen. Die Tochter ist ebenfalls nicht in ihrer Wohnung. Niemand öffnet. Auch von den Hunden der Tochter fehlt jede Spur.

Schließlich wird die 76-Jährige doch gefunden. Karin N. ist tot. Sie liegt leblos in ihrem Bett im Schlafzimmer. "Es wurden Verletzungen festgestellt, die auf ein Tötungsdelikt hinwiesen", schreiben Polizei und Staatsanwaltschaft nüchtern in einer ersten Mitteilung. Erst später wird klar, dass die Rentnerin brutal ermordet wurde. Laut Obduktionsbericht wurde ihr eine hohe Dosis Schlafmittel verabreicht. Mit einem Kissen soll versucht worden sein, sie zu ersticken - und schließlich wurde sie mit einer Lampe erschlagen. Sie verblutete im eigenen Bett.

Als Tierarzt in TV-Sendung

Die Polizei macht schnell einen Verdächtigen ausfindig: den Ehemann von Karin N.s Tochter. Einen Tierarzt. Ihn als Prominenz zu bezeichnen, wäre zu viel des Guten, allerdings flimmerte sein Gesicht mehrmals auf den Fernsehbildschirmen. Er trat bei der Vox -Sendung " -Sendung " -Sendung " HundKatzeMaus" als Veterinär auf. Es habe Spuren gegeben, die darauf hinweisen, dass der damals 53-Jährige etwas mit dem Verbrechen zu tun haben könnte, heißt es. Die Polizei startet eine Fahndung.

Und an diesem Punkt beginnt der Fall so richtig filmreif zu werden. Denn Karin N.s Tochter und ihr Ehemann, der Tierarzt, sind bereits am frühen Morgen des Tattages weggefahren. Angeblich in den Urlaub - auf jeden Fall in Richtung Bayern. Wohl zum malerischen Schliersee.

Innenminister wird Ersthelfer

Auf der A3 bei Nürnberg kommt es jedoch zu einem folgenschweren Unfall. Ein 75-Jähriger ist mit seinem Auto auf einen anderen Wagen aufgefahren. Das Fahrzeug des Rentners gerät ins Schleudern, kommt von der Fahrbahn ab und prallt gegen einen Baum. Der 75-jährige Fahrer stirbt noch am Unfallort. Auch das Borchener Paar muss in den Unfall verwickelt sein, immerhin stoppen sie ihren Wagen auf dem Seitenstreifen. Doch plötzlich - wie aus dem Nichts - steigt plötzlich die Ehefrau aus, läuft über die Straße, klettert über die Mittelleitplanke auf die Gegenfahrbahn und wird dort von einem Auto erfasst. Schwer verletzt wird sie in ein Krankenhaus geflogen. Wollte sie sich umbringen? Oder war sie geschockt von dem Unfall? Oder war die Situation zu viel für sie?

Damit nicht genug: Unter den Ersthelfern am Unfallort befindet sich ausgerechnet der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Eigentlich war er auf dem Weg zu einem Termin. Jetzt wird er ungewollt Zeuge des tödlichen Unfalls - und hilft an der Stelle der Tragödie. Dass er offenbar auch dem gesuchten Paar hilft, das für den Tod einer alten Frau verantwortlich sein soll; der Politiker hätte es nicht ahnen können.

Gezockt und Schulden angehäuft

Der gesuchte Tierarzt checkt später am Tag in einem Hotel ein, nicht weit entfernt von der Unfallstelle in Nürnberg. Hier wird er schließlich ausfindig gemacht. Und spät in der Nacht verhaftet. Die Handschellen klicken. Mehrere Monate sitzt er in Untersuchungshaft, kommt im Dezember frei. Doch hat er wirklich seine Schwiegermutter getötet? Und wenn ja - wieso? Immerhin wurde am Tatort ein seitenlanges Dokument gefunden, in dem seine Frau den Tierarzt des Mordes bezichtigt. Betrunken, mit einem Overall bekleidet, soll er die Schwiegermutter getötet haben. So zumindest schreibt es seine Frau.

Doch als es knapp ein Jahr später zum Prozess kommt, ist die Lage anders. Denn mittlerweile steht doch die Tochter der Getöteten im Fokus. Sie soll ihre Mutter aus Habgier getötet haben, sitzt mittlerweile seit Mai 2020 sogar in Untersuchungshaft. Doch wieso? Ermittler und Staatsanwaltschaft sind sich sicher: Weil sie der Spielsucht verfallen war, Unmengen Geld bei Sportwetten verloren hatte, sogar Schulden häufte. Bevorzugt wettete sie offenbar auf Tennis. Ja, sogar einen Kredit bei ihrer Mutter habe sie aufgenommen. Laut Ermittlern setzte sie mehr als 200.000 Euro - gewonnen habe sie bei weitem weniger.

Ehe geht in die Brüche

Lange Zeit hatte sie es geschafft, die Sucht für sich zu behalten. Ihr Mann? Der hat keinen blassen Schimmer. Nicht mal, als sie ihn Ende 2017 aufforderte, die Miete für das kommende Jahr zu zahlen, hegte er einen Verdacht. Er zahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. 4.500 Euro. Irgendwann gesteht sie ihm, Sportwetten zu platzieren. Sie hätte alles unter Kontrolle, habe sie ihrem Mann versichert. Doch der findet schließlich heraus, dass sie es nicht unter Kontrolle hat. Ganz im Gegenteil.

Die Ehe der beiden ging damals noch weiter in die Brüche, als sie es ohnehin schon tat. Von einer "Verfremdung" berichtet der Ehemann später vor Gericht, der seine Frau bei ihrem gemeinsamen Arbeitgeber - dem Kreis Paderborn - kennenlernte. Zum Zeitpunkt des Mordes soll das Paar bereits den Entschluss gefasst haben, künftig getrennt leben zu wollen. Der Mann habe sich eine eigene Wohnung suchen wollen. Ein Grund war offenbar auch die Spielsucht. Während der Prozess lief, wurde die Ehe schließlich geschieden.

Lebenslang

Hatte die Frau tatsächlich ihre eigene Mutter getötet? Wegen der Spielsucht? Ja - meint das Gericht, als der Vorsitzende Richter im März vergangenen Jahres nach fast einem halben Jahr Prozess mit 15 Verhandlungstagen das Urteil spricht. Lebenslänglich. Die Frau wollte an das Erbe der Mutter gelangen. Sogar ihr Unfall auf der A3 spielt eine Rolle. Denn der Richter sieht in dem waghalsigen Überquerungsmanöver der Frau über die Autobahn einen Suizidversuch.

Ihr Mann, der ohnehin nicht angeklagt wurde, bleibt frei. Die Anwälte seiner Ex-Frau drängten während des Prozesses immer wieder darauf, weitere Untersuchungen anzustellen, die den Tierarzt belasten könnten. Ohne Erfolg. Denn letztendlich war es die Habgier der eigenen Tochter, die zum Tod der 76-Jährigen führte.

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