Der verscharrte Ehemann: Als ein Schraubenzieher zur tödlichen Waffe wird

Bielefeld. In der Türkei heiratet 1969 ein Paar: Seher Ka. (32) und Mevlüt Ku. (37). Doch niemand ahnt, welch gruseliges Geheimnis die beiden teilen. In Bielefeld, mehr als 2.000 Kilometer entfernt, liegt der erste Ehemann von Seher Ka. in einem Waldstück vergraben. Mevlüt Ku. hat ihn erstochen.

Kurz nach Weihnachten 1968 hatte sich die Spur des 49-jährigen Ahmet Ka. verloren. 17 Monate lang fahnden Kriminalbeamte in der Bundesrepublik in Zusammenarbeit mit Interpol nach dem türkischen Gastarbeiter. Hauptkommissar Helmut Brandt und Oberkommissar Günther Schröder von der Mordkommission in Bielefeld tragen Beweise zusammen. Doch das Wichtigste fehlt: die Leiche.

Während die Ehefrau des Verschwundenen in der Türkei erneut heiratet, geben in Deutschland die Ermittler nicht auf. Das plötzliche Verschwinden von Ahmet Ka. wollen sie nicht hinnehmen. Die Erklärungen der Ehefrau stellen sie nicht zufrieden. Ihr Mann sei in die Türkei zurückgekehrt, weil es ihm in Deutschland nicht gefallen habe, behauptet sie. Es habe einen herzzerreißenden Abschied gegeben. Das Problem: Die Kinder des Ermordeten (13 und 11) können sich an keinen Abschied erinnern. Würde ein Familienvater einfach so gehen?

&bdquo;Schluchzend warf sich die Frau auf den Boden"

Die Polizisten vernehmen die Ehefrau, erhöhen den Druck. Die Staatsanwaltschaft erlässt aufgrund der erdrückenden Indizien im März wegen des Verdachts eines "gemeinschaftlich begangenen Mordes" Haftbefehl gegen die Ehefrau - und gegen deren Geliebten. Im Mai 1970 schließlich rückt die Frau mit der Wahrheit heraus und führt die Beamten zu der Stelle zwischen Sennestadt und Lämershagen, wo ihr Mann vergraben ist. Einer der Ermittler berichtet: &bdquo;Schluchzend warf sich die Frau auf den Boden und betete für den Toten."

Die Leiche wird obduziert. Sie hat mehrere Stichwunden. Nun legt auch der Geliebte ein Geständnis ab. Er habe Ahmet Ka. in Notwehr erstochen, behauptet er. Folgendes soll sich an jenem Wintertag 1968 abgespielt haben: Ahmet Ka. vermutet seit längerem, dass seine Frau ein Verhältnis mit Mevlüt Ku. hat. Die beiden bestreiten das vehement. Sie seien nie intim gewesen, erklären sie später. Eng befreundet aber schon.

Mevlüt Ku. kam als erster der drei nach Deutschland, hat 1966 in einem Asemisser Sägewerk angefangen. Später arbeitet er in Brackwede. Als 1967 die Familie Ka. nach Bielefeld kommt, hilft er ihnen dabei, Fuß zu fassen. Der Frau kommt er näher, wie er erzählt, als er ihr Fahrunterricht auf dem Betriebsgelände gibt. Später fahren sie gemeinsam in den Urlaub in die Türkei. Insgesamt sei er häufig Gast der Familie und ihr Chauffeur gewesen. So habe man auch Heiligabend 1968 gemeinsam bei einer Familie im Kreis Melle verbracht.

Einen Tag später fordert der eifersüchtige Ehemann den Bekannten zu einer Spazierfahrt auf. Seher ist auch dabei. Zwischen Sennestadt und Lämershagen lässt Ahmet Ka. seinen vermeintlichen Rivalen anhalten. Dann schreit er ihn an, er wolle mit ihm abrechnen und ihn töten. Mevlüt Ku. nimmt einen Schraubenzieher aus dem Handschuhfach. Aus Angst, wie er sagt. Neben dem Auto habe der Ehemann bereits mit gezücktem Rasiermesser auf ihn gewartet.

&bdquo;Ich habe ihn angefleht, doch vernünftig zu sein, aber er ließ nicht mit sich reden", so der Angeklagte. Es habe ein Handgemenge gegeben, er habe sich am Rasiermesser verletzt und sei gewürgt worden. Aus Angst habe er mit dem Schraubenzieher mehrmals zugestochen. In Brust und Rücken seines Gegners, bis dieser zusammensackte. Zeugen für die Notwehrversion gibt es nicht. Die Ehefrau sei, so die Aussage, davongefahren, um die Polizei zu holen. Die Leiche habe er im Wald verscharrt und habe später mit der allein zurückgekehrten Seher den Tatort verlassen.

Die Polizei hält einen geplanten Mord für möglich

Die Aussage widerspricht in Teilen den Angaben der Ehefrau. Die hatte behauptet, den Zweikampf gesehen zu haben. Außerdem habe sie gemeinsam mit Mevlüt Ku. von zu Hause eine Schaufel geholt und die Leiche im Wald vergraben. In einer anderen Version hatten die beiden erklärt, der Ehemann habe nicht den Nebenbuhler, sondern die Frau mit dem Rasiermesser angegriffen. Mevlüt Ku. habe deshalb mit dem Schraubenzieher von hinten auf ihn eingestochen.

Die Polizei hielt es wiederum durchaus für möglich, dass die Ermordung des Ehemanns vorsätzlich geplant und kaltblütig durchgeführt wurde. Beweise dafür gibt es nicht. Es bleibt ebenso offen, ob die Liebesbeziehung zwischen Seher und Mevlüt doch bereits vor der Tat bestand.

Im November 1970 wird Mevlüt Ku. vor dem Schwurgericht angeklagt. Am Ende wird er wegen Totschlags zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Landgerichtsdirektor Franz Krause räumt in der Urteilsbegründung ein, dass man im Prozess den wirklichen Tathergang nicht mehr vollständig aufklären konnte. War es tatsächlich Notwehr? War es unausweichlich, Ahmet Ka. zu töten?

Was bringt die Untersuchung der Leiche?

Letztlich bleiben dem Gericht nur die widersprüchlichen Aussagen der Ehefrau und des Täters. Selbst die Untersuchung der Leiche hilft nicht weiter, denn es lässt sich nicht mehr feststellen, wie genau der Mann zu Tode gekommen ist. Strafmildernd wirkt sich aus, dass Mevlüt Ku. nicht vorbestraft ist und &bdquo;in Wut gehandelt" habe.

Zwei Jahre später bestätigt ein Revisionsgericht das Urteil. Der Verurteilte erklärt, dass er die Tat bereue und sich dazu habe hinreißen lassen. Von seiner neuen Ehefrau Seher wolle er sich nun trennen und nach der Haft zu seiner Familie in der Türkei zurückkehren. Denn zu allem Überfluss war Ku. bereits verheiratet und vierfacher Vater, als er Seher Ka. ehelichte.

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