Deutschlands dienstältester Hausarzt: Was im Gesundheitssystem schiefläuft

Lügde. Er ist Hausarzt aus Leidenschaft – und das seit 53 Jahren. Damit ist Bertel Berendes aus Lügde (Kreis Lippe) der dienstälteste niedergelassene Mediziner seines Fachs bundesweit. &bdquo;Ich bin 80,7“, sagt Berendes schmunzelnd im Gespräch mit dieser Redaktion. Bis zum Januar, wenn er wieder Geburtstag hat, will er auf jeden Fall seine Praxis weiterführen. &bdquo;Wir wollen die Patienten nicht im Stich lassen“, bekräftigt er stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen. Denn Hausärzte sind rar gesät in dieser Zeit. Und es gibt viele weitere Probleme, die den streitbaren Landarzt umtreiben.

Ein Blick zurück: Im Alter von gerade einmal 24 Jahren macht Bertel Berendes sein Medizinexamen mit der Durchschnittsnote 1,0. Das beste Examen nach Kriegsende, erzählt er. Resultat harter Arbeit. &bdquo;Ich habe 70 Stunden pro Woche gelernt.“ Sein Abitur war nicht ganz so gut, Durchschnitt 2,73. &bdquo;Ich hätte heute keine Chance.“ Doch serienweise Einser-Abiture wie heute üblich gab es damals nicht. In seiner Klasse am Bad Pyrmonter Gymnasium sei eine 2,0 die beste Durchschnittsnote gewesen, erinnert sich der Mediziner. Sein Vater habe ihn überredet, die Hausarztpraxis zu übernehmen.

Als Ausgleich zur anstrengenden Arbeit betreibt er bis heute viel Sport; aktuell am liebsten Golf auf der Anlage in Bad Pyrmont. Die Liebe zum Sport brachte es mit sich, dass Berendes später auch viele Jahre Turnierarzt der Gerry Weber Open in Halle war. Zuvor hat er auch Fußball, Tischtennis, Tennis und Handball gespielt, war Präsident des TuS Lügde. &bdquo;Ich war Vorstopper“, erinnert sich Berendes an seine Zeit als Kicker in der Bezirksliga. Mitunter ging es auch gegen den TuS Talle. &bdquo;Gerhard Schröder war dort Mittelstürmer.“

"Das Anspruchsdenken ist ins Ungeheuere gestiegen" Doch auf die Politik ist Berendes nicht durchgängig gut zusprechen. Vor allem dann nicht, wenn es um den Zustand des Gesundheitswesens in Deutschland geht. Dann sagt er Sätze wie: &bdquo;Das Anspruchsdenken ist ins Ungeheure gestiegen.“ In Norwegen und Schweden gehe jeder Bürger im Durchschnitt sechs Mal pro Jahr zum Arzt, in Deutschland 19 Mal. Pro Jahr würden im Land rund 230.000 Hüft-Operationen durchgeführt. Gemessen an der Einwohnerzahl ein Spitzenwert in der Welt. &bdquo;Aus meiner Sicht ist unser Gesundheitssystem nicht bezahlbar“, stellt Berendes nüchtern fest. Problematisch sei zum Beispiel, wenn jeder kleinere Ort ein Krankenhaus haben wolle.

Eine Folge: 37 Prozent der deutschen Ärzte wanderten ins Ausland aus, etwa nach Norwegen, Schweden oder in die Schweiz, weil sie dort besser bezahlt würden. Das sei absolut kontraproduktiv. &bdquo;Es braucht eine hausarztorientierte Versorgung.“ Zu viele Patienten gingen wegen Bagatellsachen gleich zum Facharzt oder gar in die Notaufnahmen.

Auch zwischen den Bundesländern gibt es Unterschiede. In den neuen Bundesländern bekämen Hausärzte rund 20 Prozent mehr für ihre Leistungen. &bdquo;Das liegt daran, weil wir in Westfalen-Lippe so viele Kliniken haben“, weiß der Mediziner, der 25 Jahre lang die Kreise Lippe und Höxter im Landesvorstand der Kassenärztlichen Vereinigung vertreten hat. Da sei im Topf für die Hausärzte nicht mehr übrig. In Niedersachsen bekämen Hausärzte auch 17 Prozent mehr Geld. Und die niedersächsische Nachbarstadt Bad Pyrmont liegt gerade einmal 2,5 Kilometer von Lügde entfernt. So sei es kein Wunder, dass es in der Stadt Probleme gebe, Nachfolger für Praxen zu finden. Die meisten seiner Kollegen seien 70 oder älter.

"Das konnte ich nicht gutheißen" Es müsse insgesamt gespart werden im Gesundheitssektor, appelliert Berendes, der sich im Jahr 2004 vor Gericht dafür einsetzte, dass teure Medikamente, etwa zur Krebsbehandlung, auch bei einem anderen Patienten angewendet werden dürfen als dem, der sie verschrieben bekommen hat. Denn mitunter würden die Präparate nach kurzer Zeit nicht mehr gebraucht, weil der Patient gestorben sei oder er sie aus einem anderen Grund nicht weiter nehmen könne. &bdquo;Das schmeißen wir alles weg, das konnte ich nicht gutheißen“, erinnert sich Berendes. Der Arzt erreichte durch seine Klage, dass das Arzneimittelgesetz im Nachhinein angepasst wurde.

Es sei kein Wunder, dass der Beitrag für die Krankenversicherung von 9,7 Prozent im Jahr 1970 auf 16,2 Prozent im Jahr 2022 gestiegen sei. Dennoch habe der Staat zuletzt 17 Milliarden Euro zusätzlich in den Gesundheitssektor pumpen müssen. Berendes scheut sich nicht, auch provokante Thesen zu vertreten. So fordert er eine Männerquote bei der Besetzung von Medizinstudienplätzen. Frauen seien natürlich keinesfalls schlechtere Mediziner. Doch sie behandelten aufgrund der Familienzeiten über das gesamte Berufsleben betrachtet etwa 30 Prozent weniger Patienten. Es sei also besser, wenn etwa gleich viele Männer und Frauen Medizin studierten. Aktuell sind Frauen bei den Studienanfängern in der Überzahl.

Und noch etwas: &bdquo;Lehrer sollten länger arbeiten als bis 62.“ Alle Berufe müssten künftig länger ausgeübt werden als bisher, damit die Sozialsysteme weiter funktionieren könnten. Berendes selbst macht es vor. 17.000 verschiedene Patienten hat er im Verlauf der vergangenen 53 Jahre in seiner Landarztpraxis behandelt. &bdquo;Ich bereue meinen Weg in keiner Weise“, sagt er heute.

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