Bielefeld. „Verlässt du dich auf die Bahn, dann bist du verlassen“, so stöhnte letztens eine Kollegin, als sie bedingt durch einen kurzfristigen Zugausfall wieder einmal zu spät zur Arbeit kam. Ein anderer Kollege berichtete, dass er in der vergangenen Woche in Dortmund gestrandet ist, weil sein Zug verspätet war und es keine Verbindung mehr nach Bielefeld gab. Er musste tatsächlich dort übernachten und konnte erst am nächsten Tag weiterfahren. Um es mit den Worten des ehemaligen Bayern-Trainers Giovanni Trapattoni zu sagen: „Was erlaube Deutsche Bahn?“
So einiges. Ein der Redaktion namentlich bekannter Bahn-Pendler zwischen Herford und Münster ist eigentlich Kummer gewohnt, doch ein Erlebnis am vergangenen Dienstag verbuchte er unter der Kategorie Slapstick. Er saß in Gütersloh gegen 19 Uhr im RE 6 auf dem Weg nach Bielefeld, als folgende sehr bemerkenswerte Durchsage kam: „Die Weiterfahrt des Zuges verzögert sich. Das Stellwerk in Bielefeld ist derzeit nur mit einem Mitarbeiter besetzt, der sich von 19 bis 19.15 Uhr in der Pause befindet. Bitte haben Sie Verständnis.“

Nun, die Pause dauerte wohl etwas länger. „Um 19.25 Uhr ging es dann weiter“, schildert der Berufspendler. Natürlich haben wir die Bahn um Stellungnahme gebeten. Tatsächlich wurde die Durchsage gar nicht bestritten und auch die Kuriosität gar nicht infrage gestellt. Es hieß lediglich: „Zu diesem Zeitpunkt hatten die Kollegen im Stellwerk betrieblich viel zu tun, da unter anderem seit dem Brand im Stellwerk in Soest deutlich mehr Verkehr über Bielefeld geleitet wird. Daher mussten die Kollegen die Zugfolgen priorisieren, sodass es bei der genannten Fahrt zu einer kurzen Wartezeit gekommen ist.“
Bemerkenswerte Definition von kurzer Wartezeit
Die Definition des Bahnsprechers von kurzer Wartezeit ist in diesem Zusammenhang durchaus bemerkenswert: 25 Minuten. Nun, ein sehr guter Läufer legt in dieser Zeit knapp zehn Kilometer zurück, was ungefähr der Hälfte der Strecke zwischen Gütersloh und Bielefeld entspricht.
Immerhin konnte der oben genannte Pendler über die Durchsage noch lachen – eine Abwechslung im täglichen Einerlei von Zugverspätungen und Zugausfällen, die oftmals gar nicht oder nur kurzfristig angekündigt werden. Bis zu zwei Stunden für einen Weg, also täglich vier Stunden, verbringt der Mann im Zug. Immer öfter winkt er dankend ab und fährt mit dem Auto.
Viele Pendler sind längst wieder beim Auto angelangt
Das beobachtet auch Andreas Henkel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Lippe, angesichts der schon länger anhaltenden Probleme beim Schienennahverkehr. Er fürchtet, dass viele Pendler dauerhaft von der Schiene auf die Straße zurückwechseln: „Trotz maroder Brücken, Straßen und Staus sind viele längst wieder beim Auto angelangt – teils gegen ihre Überzeugung.“
In Zeiten der allgemein ausgerufenen Verkehrswende droht auf Bielefeld also eine riesige Blechlawine zuzurollen. In der Stadt wohnen laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit 135.185 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Von ihnen pendeln 43.727 (32,3 Prozent) zur Arbeit in einen anderen Kreis (Auspendler). Gleichzeitig pendeln 77.699 Beschäftigte, die in einem anderen Kreis wohnen, zur Arbeit nach Bielefeld (Einpendler). Ihren Arbeitsort in Bielefeld haben 169.157 Beschäftigte, von ihnen sind 45,9 Prozent Einpendler. Eigentlich ein unermessliches Potenzial für den ÖPNV.
Eurobahn streicht ihre Fahrpläne zusammen
Stattdessen strich die Eurobahn aus Personalmangel und durch hohe Krankenstände im April ihre Fahrpläne in den Netzen OWL und TWN deutlich zusammen. Die „Fahrplananpassung“ war eigentlich nur bis Anfang Juli geplant. Doch jüngst meldete das Unternehmen, dass dies bis mindestens Dezember 2024 fortgeführt werden müsse. Immerhin habe man dank dieser Maßnahme die Zugausfälle durch „spontanen, nicht planbaren Personalmangel“ von über sechs auf 0,5 Prozent aller Fahrten gesenkt. Ungewollt schwingt da eine gehörige Portion Sarkasmus mit – weniger kann halt manchmal mehr sein.
„Der Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe und das Land sollten gemeinsam eine Lösung suchen, um den Schienenpersonennahverkehr in der Region zukunftsfähig aufzustellen. Eine Ausdünnung des Angebots wirkt kontraproduktiv auf die geplante Verkehrswende, führt zu noch volleren Straßen, zu noch mehr Staus und beeinträchtigt die Erreichbarkeit am Wirtschaftsstandort Ostwestfalen insgesamt“, sagt wohlgemerkt nicht eine Grünen-Politikerin, sondern IHK-Hauptgeschäftsführerin Petra Pigerl-Radtke.

Schade, was aus der guten, alten Bundesbahn geworden ist
Oder schauen wir doch mal dem Volke aufs Maul. In diesem Falle auf das von Adrian Schmitz, einer von 21.277 Menschen, die der Bahn im Internetportal „Trustpilot“ nur einen von fünf möglichen Sternen gegeben haben, also die Note ungenügend. Dazu schreibt er: „Es ist unglaublich, wie man Tag für Tag verarscht wird. Man ist auf die Bahn angewiesen und wird in keiner Weise vernünftig über Verspätungen oder Ausfälle informiert. Wer trägt die Konsequenzen für zu spätes Eintreffen auf der Arbeit oder anderen Terminen? Der Kunde! Es ist ein Armutszeugnis für Deutschland. Einfach so schlecht.“
Es ist wirklich schade, was aus der guten, alten Bundesbahn geworden ist. Denn Bahnfahren kann doch eigentlich so schön sein.