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Aufnahme von Geflüchteten: OWL-Kommunen stellen Überlastungsanzeigen

Ingo Kalischek

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Der Zuzug von Aslysuchenden nach NRW nimmt aktuell ab. - © Jonas Walzberg
Der Zuzug von Aslysuchenden nach NRW nimmt aktuell ab. (© Jonas Walzberg)

Düsseldorf. Sind Flucht und Migration aktuell tatsächlich die Hauptthemen in den Städten und Gemeinden – oder werden sie von Politik und Medien hochstilisiert? Exklusive Zahlen zeigen, dass sich Kommunen in OWL zuletzt bei der Aufnahme von Geflüchteten derart überlastet gefühlt haben, dass sie um einen zwischenzeitlichen Aufnahmestopp beim Land gebeten haben. Die Zahlen zeigen aber auch: Die Hilferufe werden eindeutig weniger.

Das Land weist den Städten und Gemeinden Geflüchtete zu. Wenn eine Kommune in NRW jedoch „nachvollziehbare Gründe“ äußert, dann ist es möglich, dass das Land die Zuweisung „vorübergehend“ aussetzt, allerdings maximal für acht Wochen. Zentral zuständig dafür ist die Bezirksregierung Arnsberg.

Die Behörde teilt auf Anfrage mit, dass im Jahr 2022 in OWL 20 Kommunen sogenannte „Überlastungsanzeigen“ gestellt haben. Darunter zum Beispiel Beverungen, Delbrück, Detmold, Extertal, Hille, Langenberg, Lichtenau und Salzkotten. Auch die Gemeinde Stemwede hatte sich mit diesem Hilfegesuch an das Land gewandt.

2022 kamen mehr als 220.000 Ukrainer nach NRW

„Als wir eine Überlastungsanzeige gestellt haben, war der Zuweisungsdruck bei uns vor Ort enorm“, erklärt Bürgermeister Kai Abruszat (FDP) im Gespräch mit dieser Redaktion. „Grundsätzlich ist die gesamte kommunale Infrastruktur nicht so ausgelegt, als dass man auf den Zuzug so vieler Menschen mit unterschiedlichen Bedarfen reagieren könnte.“ Der bunte Strauß an Herausforderungen habe damals dazu geführt, dass man um eine Art „Atempause“ gebeten habe, sagt Abruszat. „Das war nötig und dazu stehe ich auch.“

Zahlen des Landes zeigen, dass im Jahr 2022 mehr als 220.000 Menschen aus der Ukraine nach NRW gezogen sind. Einen Monat nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine – im März 2022 – waren es allein 84.000 Menschen. Bis heute ist diese Zahl auf rund 250.000 angestiegen; so viele Einwohner zählt beispielsweise der Kreis Herford.

Aber: Die Zahlen der Bezirksregierung Arnsberg zeigen auch, dass die Überlastungsanzeigen zurückgehen. Im Jahr 2023 wurden in OWL statt 20 nur noch 7 Überlastungsanzeigen gestellt – und in diesem Jahr waren es bislang erst drei. Diese Entwicklung ist in allen Regionen des Landes ähnlich. Insgesamt wurden in NRW im Jahr 2022 153 Überlastungsanzeigen gestellt; in 2023 waren es noch 88 und in diesem Jahr bislang 48. Zurück geht auch die Zahl der Zuweisungen an die Kommunen. Es werden aktuell sogar weniger Menschen zugewiesen als prognostiziert.

Bielefelds Oberbürgermeister bestätigt weniger Zuweisungen

„Die Zuzugszahlen im Asylbereich sind rückläufig, das stimmt. Das sehen wir auch in Bielefeld“, sagt Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD) im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Stadt habe in diesem Jahr bislang rund 350 Zuweisungen erhalten und rechne mit 450 bis Jahresende. „Das wären rund zehn Prozent weniger als im vergangenen Jahr“, sagt Clausen.

Das bestätigt auch der Städte- und Gemeindebund in NRW. „Die Zahlen sind für uns nicht überraschend“, meint Hauptgeschäftsführer Christof Sommer. Zusätzlich zu den sonstigen Asyl- und Fluchtbewegungen seien 2022 mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland gekommen - und mussten irgendwie untergebracht werden. „Damals haben die Kommunen alle Register gezogen und alles mobilisiert, was kurzfristig greifbar war, angefangen bei der Unterbringung im Hotel bis zur Turnhalle und dem Bürgersaal“, so Sommer. Und gleichzeitig sei allen klar gewesen: „Hätten nicht so viele Privatpersonen spontan Wohnraum zur Verfügung gestellt, wäre die Zahl der Überlastungsanzeigen noch einmal deutlich höher ausgefallen.“

Bürgermeister wie Kai Abruszat aus Stemwede betonen aber, dass trotz der sinkenden Anzahl an Zuweisungen keinesfalls von einer Entspannung die Rede sein könne. Man befinde sich jetzt schlichtweg in einer „anderen Phase“, meint Clausen. „Jetzt geht es vor allem darum, die zugezogenen Menschen zu integrieren. Vor allem unsere Kitas und Schulen sehen sich einem Betreuungsbedarf ausgesetzt, den wir so bislang nicht gekannt haben. Wir machen uns da echt Sorgen.“

In Bielefeld hakt es in puncto Integration

Die Stadt Bielefeld beobachte eine „Herausforderung“, die das bisher Erwartete „deutlich“ übersteige, sagt Clausen. „Es geht jetzt nicht mehr bloß um die Frage, ob es genügend Unterkünfte gibt, sondern vor allem darum, wie die Menschen integriert werden können. Das belastet unser System sehr und wir stoßen da auf erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten.“

Stemwedes Bürgermeister Abruszat stellt inzwischen fest, dass auch das Ehrenamt einen „Erschöpfungszustand“ erreicht hat. Die Folge: „Viele Kommunen fühlen sich wirklich stark überfordert.“ Der Städte- und Gemeindebund erinnert daran, dass im Jahr 2022 viel passiert sei, um zum Beispiel „Turnhallen“ nicht mit Geflüchteten belegen zu müssen. Aber: Das kostet Geld. Die Kommunen fordern daher schon lange, dass das Land ihnen die sogenannten Vorhaltekosten erstattet, also die Kosten für eine Unterbringung, die als Reserve für den Notfall zur Verfügung steht.

Geflüchtete kommen vor allem aus Syrien und Afghanistan

Von Januar bis Juni wurden in NRW bislang 28.500 Asylanträge gestellt (Vorjahr: 36.000). Die meisten Menschen kommen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Irak und Iran. Clausen sieht eine Schieflage in der aktuellen Debatte. „Mir wird aktuell zu viel darüber gesprochen und geschrieben, wie Migration und Zuwanderung begrenzt und verhindert wird – und wie abgeschreckt werden kann. Umgekehrt wäre es richtig: Was ist nötig, um Migration und Zuwanderung ermöglichen und sicherstellen zu können?“

Die Zahlen in Bielefeld zeigten zudem: Der Zuzug von Geflüchteten mache im „Großkomplex Migration“ nur ein Drittel aus. Beim zweiten Drittel handele sich um Menschen außerhalb des EU-Raums, die nach Bielefeld kommen, vor allem aus der Türkei. Und beim dritten Drittel gehe es um Ausländer innerhalb der EU. „Insofern wird verhältnismäßig zu viel über ’die’ Geflüchteten gesprochen“, bilanziert Clausen.

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