„Fühlen uns einfach abgeschoben“: Herforder Kita kündigt zwei Geschwistern

Herford. Dass den eigenen Kindern gekündigt wird, ist eine Erfahrung, die nur wenige Eltern machen. Jana und Markus Stratmann (alle Namen geändert) haben genau das erlebt. Nach vielen Konfrontationen und Streite löste ihre Kita den Betreuungsvertrag mit der Familie auf. Die Stratmanns mussten für Sohn Leon und Tochter Emilia eine neue Einrichtung suchen. Immer noch ist das Ehepaar irritiert und verärgert. Der Träger hat einen vollkommen anderen Blick auf die Vorfälle.

Alles begann aus Sicht der Stratmanns im vergangenen Jahr damit, dass die Kita, eine Einrichtung des Kirchenkreises in Herford, mehrfach das Gespräch suchte, weil der fünfjährige Leon zunehmend Verhaltensauffälligkeiten zeigte. &bdquo;Man sagte uns, Leon sei emotional und sozial schwierig im Umgang, würde um sich schlagen und auch andere Kinder“, so Markus Stratmann.

Die Stratmanns fielen aus allen Wolken. &bdquo;Wir wissen, dass Leon herausfordernd sein kann“, sagt sein Vater. &bdquo;Er hat oft Probleme, sich auf neue Situationen einzustellen, vor allem, wenn er reizüberflutet ist. Aber die Erfahrungen, die die Kita uns schilderte, machen wir mit ihm so nicht. Deshalb will ich die Schilderungen des Personals nicht abstreiten – aber ich kann sie auch bis heute nicht nachvollziehen.“

Kirchenkreis Herford: Auch Beschwerden anderer Eltern Bemüht, eine Veränderung herbeizuführen, suchten die Stratmanns etliche Hilfsangebote mit Leon auf, gingen zu Beratungsstellen, zum Familientherapeuten, organisierten Tests bei der Frühförderstelle, sprachen mit ihrem Kinderarzt. Und begannen eine Therapie beim Ergotherapeuten. &bdquo;Uns war es wichtig, dass wir das Problem in Angriff nehmen.“

Außerdem informierte das Paar sich über die Möglichkeit einer Integrationskraft für Leon in der Kita. &bdquo;Zu der Zeit hatten wir übergangsweise in der Einrichtung keine Leitung, und im Gespräch mit den Erzieherinnen sagten die uns, das sei nicht nötig, das würden sie auch ohne schaffen.“ Also kümmerten sich die Stratmanns um das Thema nicht weiter.

Doch all die Bemühungen halfen in den Augen der Erzieher und der Kita-Leitung nicht. Das geht aus den Protokollen des Kirchenkreises Herford hervor, der auf Anfrage dieser Redaktion bereit war, umfassend Stellung zu dem Fall zu beziehen, solange alle Angaben aus Datenschutzgründen anonym bleiben. So hätten sich zunehmend andere Eltern über den grenzüberschreitenden, verhaltensauffälligen Jungen beschwert, der ihre Kinder wiederholt verletzte. &bdquo;Es war so, dass die anderen Kinder Angst vor dem Kind hatten“, teilt man in dem Schreiben mit. In Elternbeiratssitzungen sei das Thema daraufhin diskutiert und Überlegungen gesammelt worden, wie alle Kinder gestärkt werden könnten.

Erste Suspendierung für Leon Auf diese Sitzungen folgte dann eine Suspendierung von Leon. &bdquo;Da sich das Verhalten des Kindes erneut zuspitzte, habe man den Eltern mitteilen müssen, dass ihr Kind eine Woche aus der Betreuung genommen werden müsste, um wieder Ruhe in alles bringen zu können“, teilt der Kirchenkreis mit. Jana Stratmann ist bis heute fassungslos über das Vorgehen. &bdquo;Wir wurden einfach vor vollendete Tatsachen gestellt und konnten beim Kirchenkreis auch niemanden erreichen, als wir eine Erklärung für die Suspendierung forderten.“

Dann leitete die Kita weitere Schritte ein: verkürzte Betreuungszeiten für Leon. &bdquo;Wir erklärten, dass das Kind häufig am Nachmittag zu vermehrten Gefühlsausbrüchen neige und somit die Betreuung nur bis nach dem Mittagessen erfolgen sollte“, heißt es in der Stellungnahme des Kirchenkreises. Das Kind erfahre zu viele negative Reaktionen auf sein Verhalten, &bdquo;sodass wir es durch verkürzte und enge Begleitung mehr zu positiven Erlebnissen führen wollten.“ Ab dem ersten Februar 2024 sollte die verkürzte Zeit starten.

Für die Stratmanns, die beide Vollzeit arbeiten und zwei 45-Stunden-Plätze für ihre Kinder hatten, war das nicht machbar. Zudem hatten sie die Maßnahme nicht als Anordnung, sondern als Empfehlung verstanden – der sie nicht folgen wollten und konnten. &bdquo;Wie soll das gehen?“, fragt Mutter Jana. &bdquo;Arbeitgeber sagen doch nicht einfach: Klar, dann gehen Sie einfach monatelang früher nach Hause, kein Problem.“ Also holten die Stratmanns Leon am ersten Februar nicht zu der von der Kita geforderten Zeit ab.

Eltern schalten Rechtsanwältin ein Für den Kirchenkreis Herford trug diese Argumentation der Eltern nicht. &bdquo;Die Fachkräfte haben die Eltern am Vortag noch auf die veränderte Zeit angesprochen, weshalb wir die Aussage, es sei eine Empfehlung, als nicht glaubhaft sehen.“ Die Kita sprach daraufhin ein erneutes einwöchiges Besuchsverbot für Leon aus, diesmal wegen &bdquo;Fehlverhaltens der Eltern“. &bdquo;Daraufhin schaltete die Familie eine Rechtsanwältin ein und forderte die Aufhebung des Besuchsverbots und dass endgültig Maßnahmen für das Kind erfolgen sollten.“

Aus Sicht des Kirchenkreises hatte es zu diesem Zeitpunkt aber schon ein umfangreiches Paket aus Maßnahmen gegeben, die der Träger wie folgt auflistet: Überprüfung einer Hochbegabung, besondere Maßnahmen im Alltag wie Materialboxen, Eins-zu-Eins-Betreuung durch Fachkräfte in der Gruppe, Hospitation und Beratung durch einen Familientherapeuten, Elternabend, Empfehlung an die Eltern, eine Zustimmung für einen Integrationsplatz zu erhalten. Hier seien die benötigten Unterlagen aber nur schleppend eingereicht worden.

Für die Stratmanns war zu diesem Zeitpunkt das Maß endgültig voll. &bdquo;Bei uns herrschte zunehmend der Eindruck vor, dass Leon einfach abgeschoben werden sollte“, sagt Jana Stratmann, die selbst lange Zeit Vorsitzende des Elternbeirats der Kita war. &bdquo;Er stellte ein Problem dar, mit dem sich niemand auseinandersetzen wollte und angesichts des Personalmangels auch nicht konnte. Zudem merkten wir ja auch, dass es zunehmend Unstimmigkeiten innerhalb des Teams der Kita gab, mehrfach sagten uns Erzieher, dass in ihren Augen viel zu wenig für Leon getan wurde.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte das Ehepaar auch schon von anderen Eltern gehört, dass sie ihre Kinder wegen schwierigen Verhaltens früher abholen mussten. &bdquo;Da gab es scheinbar ein Grundproblem, wir waren kein Einzelfall.“

Kirchenkreis kündigt auch Geschwisterkind Aussagen anderer Pädagogen, die mit Leon zu tun hatten, bestärkten das Ehepaar. So hatte Leon in der Ferienzeit mehrere Tage eine andere Einrichtung besucht. Auch hier bekamen die Stratmanns am Schluss die Rückmeldung, dass ihr Sohn einige Probleme im sozialen Bereich habe, zum Beispiel schubse oder die Sandburgen anderer Kinder kaputtmache. Man teilte aber auch mit, dass er bei allem gut einzufangen sei über positive Ansprache und insgesamt gut mit ihm zurechtzukommen sei. Ähnliches Feedback kam auch vom Judo-Trainer und vom Trainer aus dem Schwimmkurs. Eine Gutachterin vom Jugendamt, das die Stratmanns ebenfalls einschalteten, äußerte zudem die Beobachtung, dass Leon ein Kind sei, das feste Bezugspersonen und viel Struktur brauche.

Rahmenbedingungen, die in den Augen der Stratmanns in ihrer Kita längst nicht mehr vorhanden waren. &bdquo;Zwei Erzieherinnen haben im vergangenen Jahr gekündigt, drei in diesem Jahr, dann ging noch eine in Rente. Ich vermute im Nachhinein, dass für eine aufwendigere Betreuung einfach keine Zeit war“, sagt Markus Stratmann. &bdquo;Aber es kann doch nicht sein, dass unser Sohn die Konsequenzen tragen muss.“

Im Juli kam es dann zu einem Konfliktgespräch zwischen den Stratmanns, dem Kirchenkreis und dem Jugendamt. Hier teilte man den Stratmanns die Aufhebung des Betreuungsvertrages mit – für beide Kinder. &bdquo;Dabei gab es mit unserer Tochter überhaupt keine Probleme“, sagt Jana Stratmann immer noch fassungslos. &bdquo;Über sie haben wir nie auch nur ein Gespräch geführt.“

Kirchenkreis sieht keine Zusammenarbeit mehr mit Eltern Der Kirchenkreis begründet die Entscheidung für die Kündigung beider Kinder wie folgt: &bdquo;Das Kind (Leon, Anmerkung der Redaktion) zeigte zu seinem auffälligen, grenzverletzenden Verhalten auch zunehmend ablehnendes Verhalten gegenüber den Fachkräften und benutzte unter anderem die für Kinder ungewöhnlichen Äußerungen wie ,Du nervst’ oder ,Ihr seid inkompetent’.“ Die Begleitung des Kindes sei aufgrund dieses Verhaltens und des Verhaltens der Eltern immer unmöglicher für die Fachkräfte geworden. &bdquo;Der Zugang zum Kind war gestört und die Zusammenarbeit mit den Eltern nicht mehr möglich. Wir haben für das Kind keine positive Entwicklung mehr in der Kita gesehen, daher haben wir mit dem Jugendamt einen Wechsel in eine andere Kita eines anderen Trägers besprochen.“

Dieser Wechsel ist mittlerweile erfolgt. Beide Kinder der Stratmanns sind gut in der neuen Kita angekommen, für ein Fazit, wie Leon zurechtkommt, ist es nach Aussage der Erzieher aber noch zu früh. Trotzdem: Langsam kehrt wieder Alltag ein. Trotzdem treibt die Stratmanns das Erlebte noch immer um. &bdquo;Es kann doch nicht sein, dass es in den Kitas nicht mehr möglich ist, den Kindern individuell gerecht zu werden.“ Natürlich kennen auch die Stratmanns die angespannte Situation aufgrund des Personalmangels. &bdquo;Trotzdem ist unser Eindruck, dass es auch sehr von der einzelnen Kita abhängt, wie viel noch möglich gemacht wird oder ob ein Kind einfach abgeschrieben wird.“

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