„Ich war erschrocken“: Bielefelder Lehrer diskutieren mit Schulministerin

Bielefeld. &bdquo;Das wollte ich jetzt einfach mal raushauen“, sagt Ralf Kampmann – und wirkt befreit. Seinem Alltagsfrust hat der Leiter einer Bielefelder Grundschule soeben an höchster Stelle Luft verschafft. Denn auf dem Stuhl neben ihm hockt Dorothee Feller. &bdquo;Kein Problem, so ist das hier ja auch gedacht“, sagt Feller und lächelt. Die Schulministerin des Landes war jetzt im Bielefelder Osten, um Anliegen von Eltern, Lehrern und Schulleitern zu hören.

&bdquo;Ich war erschrocken“, sagt Matthias Hasse. &bdquo;Erschrocken, wie wenig diese Kinder können.“ Hasse hat zuletzt sieben Jahre lang in Taiwan unterrichtet – jetzt ist er zurück in Bielefeld und leitet dort eine Grundschule. Viele Schülerinnen und Schüler würden kein Deutsch sprechen, könnten teilweise keinen Stift halten und keinen Ball fangen. &bdquo;Da frage ich mich: Was haben eigentlich die Eltern die letzten Jahre gemacht?“, sagt Hasse. Ein Sozialarbeiter ergänzt: &bdquo;Wenn alle Eltern heute hier wären, könnten wir uns gar nicht unterhalten. 95 Prozent haben einen Migrationshintergrund.“

&bdquo;Da müssen wir differenzieren“, entgegnet Feller mit ruhiger Stimme. Korrekt sei, dass es immer mehr Schülern an grundlegenden Fähigkeiten mangle. &bdquo;Wenn ein Viertel der Kinder die Basiskompetenzen beim Lesen, Rechnen und Schreiben nicht erfüllt, müssen wir da den Schwerpunkt setzen – und das tun wir.“ So hat Feller unter anderem eine verbindliche Lesezeit von 3 mal 20 Minuten pro Woche an den Grundschulen eingeführt.

Viele Kinder aus Flüchtlingsfamilien sind Analphabeten Viele der hinzugekommenen Kinder aus geflüchteten Familien seien Analphabeten. NRW will jetzt ein vergleichbares &bdquo;Screening“ auf den Weg bringen, um die sprachlichen Kompetenzen der Kinder zu Beginn der Schulzeit systematisch zu erfassen. Kinder mit Nachholbedarf sollen dann kurzfristig besonders gefördert werden. &bdquo;Wir überlegen uns gerade Konzepte“, sagt Feller – betont aber auch: &bdquo;Wir müssen die Eltern in den Schulen besser einbinden.“

Damit trifft sie einen Nerv, denn unter den knapp 50 Anwesenden in der Hellingskampschule sitzen auch einige Eltern. Eine Mutter will wissen, ob Eltern künftig im Unterricht hospitieren dürften, um einen Einblick zu bekommen – und um als Bindeglied agieren zu können.

Feller weist das zunächst etwas flapsig zurück, indem sie sagt, dass schon jetzt teilweise sehr viele Erwachsene in den Klassenräumen seien. Es werde einfach &bdquo;zu voll“, wenn dort jetzt &bdquo;auch noch“ Eltern sitzen würden. &bdquo;Ich bin gelinde gesagt schockiert“, reagiert ein Elternvertreter. Feller korrigiert sich prompt: &bdquo;Eltern sind an den Schulen natürlich herzlich willkommen; aber nicht im Klassenraum.“ Es ist der einzige richtige Widerspruch aus Teilnehmerkreisen an diesem Abend.

Feller wirkt in Bielefeld ein bisschen bieder, aber sympathisch Dass die Stimmung in der Runde nicht so schlecht ist, wie es die Lage in den Schulen erwarten ließe, hat auch mit dem Gast zu tun. Feller ist seit zweieinhalb Jahren Schulministerin und setzt auf viele persönliche Gespräche. Bis heute hat sie rund 170 Schulen besucht und das Format &bdquo;Ministerin im Dialog“ ins Leben gerufen. Das findet normalerweise fernab der Öffentlichkeit statt. &bdquo;Mir geht es darum, zu erfahren, wo der Schuh vor Ort drückt“, sagt Feller dieser Zeitung. Manchmal unterscheide sich die Kritik der Schulbeteiligten von der der Bildungsverbände und der Opposition in Düsseldorf.

In Bielefeld wirkt Feller nahbar, vielleicht ein bisschen bieder, aber sympathisch. Sie betont mehrfach, dass sie &bdquo;hier nichts versprechen“ werde, was sie nicht halten könne. So sei es zum Beispiel nicht möglich, die Zahl der händeringend gesuchten Schulsozialarbeiter kurzfristig stark zu erhöhen, weil Personal und Geld fehlten. Gleiches gelte für kleinere Klassen, für die sich Schulleiter Ralf Kampmann ausspricht. &bdquo;Auf dem Papier ist unsere Schule zu 100 Prozent mit Lehrkräften versorgt; doch mindestens zwei sind ständig krank.“ Es gehe nicht &bdquo;ums Unterrichten“, sondern &bdquo;ums Betreuen“.

Feller erklärt, dass die Region OWL im Landesvergleich &bdquo;eigentlich“ noch besser mit Lehrern ausgestattet sei als andere. Und: &bdquo;Uns sagen junge Menschen, dass sie in bestimmten Orten nicht unterrichten wollen – und dafür sogar auf eine Verbeamtung verzichten.“ Für kleinere Klassen habe sie &bdquo;schlichtweg die Lehrer nicht“.

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Eine Schulleiterin berichtet Feller, sie tue sich schwer damit, Anträge auf Teilzeit abzulehnen. &bdquo;Man kommt ja als Lehrer unterm Strich mit 42 Stunden pro Woche nicht hin.“ Feller entgegnet, dass NRW die anlasslose Teilzeit nicht abschaffe, wie 11.000 genehmigte Anträge belegten. &bdquo;Wir gucken nur genauer hin.“

Das sei künftig auch bei der Ausbildung der Lehrkräfte geplant. &bdquo;Da müssen wir dringend ran“, sagt Feller. Man überlege gerade, wie man die Studierenden besser auf die wirkliche Situation in den Schulen vorbereiten könne – und ob es möglich sei, das Praxissemester vorzuziehen.

Ministerin kündigt Entlastungen für Schulleitungen an Veränderungen kündigt die Ministerin für Schulleitungen an. In einer Arbeitsgruppe überlegten Experten seit einem Jahr, wie Leitungen zum Beispiel von Verwaltungsaufgaben entlastet werden könnten. Ende Januar werde sie Konzepte vorstellen, sagt Feller – und weckt damit großes Interesse an diesem Abend.

Nach zwei Stunden endet das kurzweilige Format. &bdquo;Danke, dass wir so sachlich reden konnten“, sagt Feller. Große Versprechungen hat die Ministerin wie angekündigt nicht gemacht; einige Anregungen wolle sie aber mitnehmen und prüfen. Dennoch wirken die Teilnehmer nicht unzufrieden. &bdquo;Ich fand es toll, dass sie sich Zeit genommen und uns zugehört hat“, meint eine Schulleiterin anschließend.

Mehr Lob gibt es für Feller an diesem Abend nicht – doch in Ostwestfalen kommen diese Worte wohl einem verdeckten Kompliment gleich, erst recht für eine Schulministerin.

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