Drogenbeauftragter Blienert: „Wir haben eine riesige Kokainschwemme“

Herr Blienert, welche Qualifikation braucht man, um Drogenbeauftragter der Bundesregierung zu werden? Wie kommt man zu Ihrem Job?

Burkhard Blienert : Das ist eine schwierige Frage. Es gibt in der Politik keinen Ausbildungsgang, wie man Beauftragter der Bundesregierung wird, geschweige denn Drogenbeauftragter. Im Bundestag bin ich zum ersten Mal mit dem Thema in Kontakt gekommen. Dort habe ich mich in die verschiedenen Aspekte eingearbeitet. Das muss ich ganz gut gemacht haben, sodass mich Anfang 2022 Gesundheitsminister Karl Lauterbach angerufen hat, um zu fragen, ob ich Drogenbeauftragter werden möchte. Schon zuvor hatte ich mich mit ihm in seiner Funktion als stellvertretender Fraktionsvorsitzender über Themen wie Cannabis als Medizin verständigt.

Ist Cannabis als Medizin eher ein Gesundheitsthema oder doch auch ein Suchtthema? Welche Rolle spielt Ideologie?

Die Frage des Umgangs mit psychoaktiven Substanzen ist immer stigmatisierend und damit negativ besetzt. Cannabis gehörte über viele Jahre zu den illegalen Drogen und war dementsprechend ideologisch belastet. Deswegen war es notwendig, eine Debatte zu führen, die sehr auf Wissen und Erfahrungen aufbaute: Wie wirkt Cannabis, wo kann Cannabis helfen? Für viele Patienten bedeutet es zum Beispiel einen Gewinn an Lebensqualität, wenn sie dank Cannabis ohne starke Schmerzmittel auskommen. Ein entsprechendes Gesetz zum medizinischen Einsatz von Cannabis wurde 2017 einstimmig im Bundestag verabschiedet, auch mit den Oppositionsparteien damals, also den Grünen und der Linken. Das war eine gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten.

Was ist von Internetangeboten zu medizinischem Cannabis zu halten? Können Patienten dort bedenkenlos zugreifen?

Ich empfehle immer, das Gespräch mit niedergelassenen Ärzten und Fachärzten zu suchen und auch bei der Abgabe entsprechender Medikamente in Apotheken die Beratung dort in Anspruch zu nehmen. Durch internationale Studien ist jedenfalls die Wirksamkeit von Cannabis unter anderem bei chronischen Schmerzen, Spastiken und Multipler Sklerose belegt.

Über die Teil-Legalisierung von Cannabis wurde heftig gestritten. Eine Rücknahme unter einer neuen, dann vielleicht von der Union geführten Bundesregierung, scheint möglich. Ein Kritikpunkt: mangelnder Jugendschutz. Welchen Stellenwert hat der aus Ihrer Sicht?

Es ist eine Katastrophe, wenn Kinder Drogen nehmen. Denn das Gehirn ist noch nicht vollständig entwickelt. Es wurde deswegen ja auch diskutiert, dass erst 25-Jährige Zugang zu legalem Cannabis erhalten sollten. Das Gegenargument ist aber, dass den Zahlen nach gerade junge Erwachsene Cannabis konsumieren und sie das vermutlich auch weiterhin täten, dann aber mit den deutlich größeren Gesundheitsrisiken, die von Schwarzmarktcannabis ausgehen. Deswegen ist die 18-Jahre-Grenze ein vernünftiger Kompromiss.

Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass wir bei Fragen von Suchtmitteln als Gesellschaft ein klares Signal senden. Das heißt: Keine Drogen für Unter-18-Jährige, egal, ob es sich um legale oder illegale Substanzen handelt. Ein gutes Zeichen ist, dass viele Schulen Interesse an Präventionsprogrammen und Aufklärung zeigen, weil sie jetzt das Gefühl haben, über Cannabis und Drogenkonsum reden zu können.

Was halten Sie von der These, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei?

Die These taucht immer wieder auf, ist aber wissenschaftlich nicht belegt. Wenn man sich die Erfahrungsberichte von Konsumierenden anschaut, die Heroin oder andere harte Drogen nehmen, zeigt sich, dass sie in der Regel mit Alkohol und Zigaretten angefangen haben. Wenn es also Einstiegsdrogen gibt, dann sind es diese. Viele Menschen suchen nach Substanzen, die ihnen vermeintlich bei ihren Problemen und Ängsten helfen könnten. Gerade wenn man unter traumatischen Erlebnissen oder auch ADHS leidet, hilft Alkohol jedoch nicht, weil es aufputscht und aggressiv macht.

Cannabis hingegen beruhigt erst einmal. Deswegen konsumieren es dann auch viele. Der Schwarzmarkt, die Dealer sind zwar die Schnittstellen zu härteren Drogen, aber da besteht keine lineare Entwicklung von Cannabis zu stärkeren Substanzen, in dem Sinne, dass Konsumierende nach Cannabis stets etwas Härteres nehmen möchten. Die verschiedenen Drogen wirken dafür einfach zu unterschiedlich. Dennoch ist es natürlich sinnvoll, den Kontakt zum Dealer zu unterbinden.

Welche Entwicklungen bereiten Ihnen mit Blick auf den Drogenhandel Sorgen?

Das sind vor allem drei große Trends: Zum einen ist Kokain für zu viele Menschen in Deutschland, ja in ganz Europa, inzwischen quasi zu einem Lifestyle-Accessoire geworden. Wir haben eine riesige Kokainschwemme auf dem Markt. Dabei ist es ein teuflisches Zeug, das extrem abhängig machen kann und dessen Produktion und Handel unendlich viel Leid weltweit bringt. Und die Organisierte Kriminalität bedroht durch den immer brutaler werdenden Kokainhandel auch bei uns den Rechtsstaat und die Sicherheit vor Ort. Da müssen wir in den kommenden Jahren anders ran als bisher, mit abgestimmten Strategien von Gesundheits-, Innen-, ja selbst Entwicklungspolitik.

Das zweite Thema ist Crack. Crack ist die billige Kokain-Version auf der Straße, die teilweise sogar günstiger ist als ein Glas Bier in der Kneipe und daher vor allem attraktiv für Suchtkranke oder Menschen mit wenig Geld.

Und dann zeichnet sich am Horizont immer deutlicher eine dritte große Herausforderung ab: die Verbreitung von synthetischen Opioiden. Ich erwarte hier keine Fentanylkrise wie in den USA . Dennoch müssen wir uns ganz schnell auf das vorbereiten, was auf uns zukommen kann. Und damit habe ich gemeinsam mit den Bundesressorts wie Innen, Gesundheit, Auswärtiges Amt und anderen begonnen.

Für kommende Woche habe ich zudem alle Bundesländer eingeladen, um über ein abgestimmtes Vorgehen zu beraten. Die Fachwelt fordert deshalb zu Recht, dass die Bundesregierung in der kommenden Wahlperiode einen drogenpolitischen Koordinierungsrat einrichtet und die Arbeit von Bund und Ländern verzahnt. Hier wird das Amt, das ich gerade innehabe, als Sucht- und Drogenbeauftragter, gefragt sein.

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Bei Alkohol und Tabak spricht man im Jahr deutschlandweit von etwa 200 Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Schäden – für das Gesundheitssystem, durch Behandlungskosten, durch Fehlzeiten für den Arbeitgeber. Zudem werden jährlich 150.000 Tote auf Alkohol- und Tabakkonsum zurückgeführt. Das sind Zahlen, die zeigen, dass man an das Thema rangehen muss.

Welche Hebel sehen Sie, um gegen das Problem vorzugehen?

Gerade mit dem Blick auf den Jugendschutz muss etwas gegen die selbstverständliche und ständige Verfügbarkeit und vor allem die Sichtbarkeit von Alkohol und Tabak getan werden. Solche Maßnahmen finde ich weiterhin absolut sinnvoll und dringend notwendig. Der Instrumentenkasten ist groß und die Dinge funktionieren im Ausland ja auch bestens.

Die Möglichkeiten reichen von Spezialgeschäften für Alkohol bis zu Anpassungen beim Preis und vor allem weniger Werbung für Nikotin- und Alkoholprodukte. Schauen Sie sich mal an, wie in Tankstellen und Spätis nach wie vor für das Rauchen oder Dampfen geworben wird. Das macht gesundheitspolitisch überhaupt keinen Sinn.

Für was würden Sie sich persönlich aussprechen?

Zu den sinnvollsten und wirkungsvollsten Instrumenten, dass Menschen von etwas die Finger lassen, gehören auch, bei der Werbung und der Verfügbarkeit von Alkohol anzusetzen und die Preise zu erhöhen. Alkohol muss weder rund um die Uhr und gefühlt überall verfügbar sein und eine Flasche Schnaps muss mehr kosten als nur drei oder vier Euro. Als Erstes sollte man deshalb zum Beispiel beim Alkohol das begleitende Trinken ab 14 abschaffen und für eine klare Altersregelung sorgen.

Da kann man sich an anderen europäischen Ländern orientieren. Bei vielen ist der Konsum von Alkohol überhaupt erst ab 16, in anderen ab 18 erlaubt. Deutschland nimmt mit der Erlaubnis ab 14, wenn Erziehungsberechtigte dabei sind, eine Sonderrolle ein. Dabei wird Alkohol auch nicht gesünder, nur weil Mama oder Papa daneben sitzen und sie gemeinsam mit ihren Kindern Alkohol trinken. Im Gegenteil, dadurch wird Alkohol verharmlost und zu etwas, was immer dazugehört.

In der politischen Debatte, vor allem im Wahlkampf, scheinen solche Forderungen keine Rolle zu spielen. Woran liegt das?

Letztlich geht es um Themen, die weder neu sind, noch eine große Rolle in den öffentlichen Debatten spielen. Ausnahmen sind, es stirbt eine 13-Jährige an einer Überdosis durch eine bunte Pille oder zig Menschen durch eine Zombiedroge in den USA oder Irland. Dabei ist das Problem aber groß. Wir sprechen hier in Deutschland von zehn Prozent der Bevölkerung, die suchtkrank sind und von mindestens ebenso vielen, die in ihrem Umfeld als Familie oder Freunde darunter leiden. Davon sind allein drei Millionen Kinder.

Dennoch sind Drogen und Sucht eben keine Themen, mit denen man Wahlen gewinnt, weil es oft um komplexe Regulierungen geht, die fast niemand auf den ersten Blick versteht. Weil natürlich die Menschen zu Recht erwarten, dass sich Politik um die großen Probleme und Fragen der Menschen kümmert – um die Sicherheit des Arbeitsplatzes, den Klimawandel und Krieg und Frieden. Denn genau das sind die Ängste und Sorgen, die Menschen dann auch zu Drogen greifen lassen als einen vermeintlichen Ausweg.

Die Themen Politik und Sucht berühren sich auch, wenn es um die Abhängigkeit von sozialen Medien geht. Denn während der Konsum von Alkohol oder anderen Substanzen zunächst relativ unpolitisch ist, transportieren soziale Netzwerke auch problematische politische Inhalte, von rechter Hetze bis hin zu islamistischem Content. Hier kann Sucht also für die Demokratie relevant werden. Wie schätzen Sie diesen Zusammenhang ein?

Das kann man so sagen! Denn wenn eine Gesellschaft immer digitaler wird und die Angebote immer ausgereifter, dann steigen natürlich auch die Suchtgefahren im Netz, bei Sozialen Medien, beim Onlineglücksspiel genauso wie bei anderen Computerspielen.

Klar ist, dass Medienkompetenz eine große Rolle spielen muss. Aber wir brauchen eine viel striktere Regulierung bei den Inhalten im Netz, um vor allem Kinder und Jugendliche besser zu schützen. Es kann nicht sein, dass Kinder von Pornografie über Rapper, die Drogen aller Art preisen, bis hin zu Hassreden alles frei in sozialen Netzen anschauen können. Nicht zu vergessen auch, dass Glücksspiel, das ja aus Gründen für Unter-18-Jährige verboten ist, über viele Lootboxen (virtuelle Kisten in Videospielen, die nach Zufallsprinzip befüllt sind, Anm. der Red.) per Handy oder Gamepad durch die Hintertür ins Kinderzimmer kommt. Hier funktionieren vorhandene Regeln überhaupt nicht. Solange sich eine 12-Jährige mit nur einem Klick als 18-Jährige ausgeben kann, klafft hier eine riesige Lücke im Jugendschutz.

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