„Völlig untragbar“: Unternehmer-Paar nimmt Tochter aus Bielefelder Kita

Bielefeld. &bdquo;Mama, die Kita hat zu?“ Jeden Morgen stellte die zweijährige Emmi (Name geändert) ihrer Mutter im November diese hoffnungsvolle Frage. Wochenlang hatte Leslie Johannmeier zu diesem Zeitpunkt bereits versucht, ihre Tochter in der Bielefelder Einrichtung einzugewöhnen. &bdquo;Aber in einem System, in dem alles nur noch auf Kante genäht ist und das nur noch aus Notbetreuung und Personalmangel besteht, war das für uns einfach nicht möglich.“ Und so traf das Ehepaar, das in Herford lebt, die radikale Entscheidung, die kurze Kitazeit für ihre Tochter gleich wieder zu beenden.

Im September ist zunächst noch alles gut, die Eingewöhnung startet. Die Johannmeiers haben einen Platz in einer Kita in der Nähe ihrer Bielefelder Kommunikationsagentur bekommen. Im November sitzt Leslie Johannmeier aber immer noch im Gruppenraum und versucht, ihre Tochter dazu zu bewegen, allein zu bleiben. Ende November ist die ganze Familie mit den Nerven fertig. Emmi, sonst immer gut gelaunt und zufrieden, weint viel, schläft schlecht, will nicht in die Kita gehen. &bdquo;Der gute Eindruck, den wir anfangs hatten, hielt leider nicht lange“, sagt Jannis Johannmeier. &bdquo;Die Erzieher waren erschöpft und überfordert, denn an allen Ecken und Enden fehlte Personal.“

Leslie Johannmeier, die die Eingewöhnung mit ihrer Tochter macht, findet sich teilweise sogar in der Situation wieder, dass sie einspringt, hier mal eine Brotdose öffnet, da einen Puschen anzieht. &bdquo;In elf Wochen sind wir durch die ganze Unruhe nicht einmal dahin gekommen, dass Emmi dort gegessen hätte“, sagt Jannis Johannmeier.

Großeltern bieten Unternehmer-Paar Hilfe an Im Dezember beschließt das Paar, den Stecker zu ziehen, wie es sagt, und über Weihnachten erst mal eine Kita-Pause einzulegen. Emmi blüht auf, schläft wieder besser, entspannt sich. Und Mutter Leslie verspannt sich, je näher der erste geplante Kita-Tag wieder rückt.

Am ersten Januarwochenende treffen die Eltern deshalb die Entscheidung: Das Kapitel Kita ist für Emmi erst mal zu Ende. &bdquo;Wir haben das lange besprochen und sind am Ende immer wieder bei den gleichen Fragen gelandet“, sagt Leslie Johannmeier. &bdquo;Warum sollten wir das durchziehen, wenn alle dabei unglücklich sind und wir andere Möglichkeiten haben – nur weil es Standard ist und nur, weil der Platz da ist?“

Als dann auch noch die Großeltern der Zweijährigen die Situation kritisch ansprechen und Hilfe anbieten, ist die Sache klar. &bdquo;Emmi musste nicht zur Kita und ich konnte trotzdem zurück in den Job“, sagt Leslie Johannmeier, die mit ihrem Mann die Kommunikationsagentur Trailblazers in Bielefeld betreibt, sich dort um Buchhaltung und Controlling kümmert. &bdquo;Uns ist natürlich klar, dass wir extrem privilegiert sind: Zwei Großelternpaare vor Ort, außerdem können wir Emmi auch einfach mal mit ins Büro nehmen und uns eine Teilzeitstelle leisten“, sagt Jannis Johannmeier. &bdquo;Die meisten haben das so nicht.“

Mittlerweile hat sich alles eingependelt – strukturell und emotional. Montags bis mittwochs bleibt Emmi bei ihren Großeltern, donnerstags geht sie notfalls mit ins Büro, und am Freitag arbeitet Mutter Leslie ohnehin nicht. Auch die Gemüter haben sich beruhigt. &bdquo;Der Druck ist für alle raus und Emmi ist wieder glücklicher und ausgeglichener“, sagt Leslie Johannmeier. Auch sie selbst ist viel entspannter. &bdquo;Mich haben die Monate mit der Eingewöhnung stark belastet und gefordert. Es war furchtbar zu sehen, wie unglücklich mein Kind war und wie sie teilweise schon total resigniert hatte, weil sie wusste: Ich muss da hin.“

Eltern nehmen Bielefelder Kita in Schutz Der Einrichtung macht das Paar keinerlei Vorwurf für die Situation. &bdquo;Die kämpfen da doch alle nur noch“, sagt Jannis Johannmeier. &bdquo;Das System ist völlig untragbar geworden, das kann keine Einrichtung mehr auffangen. Das sind nur noch Verwahranstalten und alle leiden darunter: Erzieher, Eltern und am meisten natürlich die Kinder.“

Für ihn als Unternehmer war die drastische Entscheidung der Familie deshalb nur logisch: &bdquo;Es gab keinerlei Planbarkeit, keine Kontinuität, die Stabilität war gleich null. Und dafür haben wir noch teuer bezahlt. Für uns ist das Leben jetzt, ohne Kita, wieder deutlich planbarer geworden.“

Im Grunde könnte die Familie das Thema jetzt abhaken. Aber so denkt Jannis Johannmeier nicht. &bdquo;Mich als Wirtschaftsmenschen lässt das Ganze nicht los. Die Aufgaben unserer Zeit sind zu groß, um beim Thema Kinderbetreuung und Vereinbarkeit diesen Kollaps hinzunehmen. Das ist ein großer Hemmer für Wachstum und Produktivität. Auf politischer Ebene sehe ich da nur ein einziges Verantwortungsweggeschiebe. Und ich frage mich wirklich, warum Arbeitgeber, Unternehmen und Wirtschaft ihren Einfluss nicht mehr geltend machen, um etwas zu bewirken.“

Dieser Ansicht sind auch die Bielefelder SPD-Politiker Judith Wend und Heiko Hagemann. Sie wurden durch einen wütenden Linked-in-Post von Jannis Johannmeier auf die Entscheidung der Familie aufmerksam und gingen mit dem Unternehmer ins Gespräch. &bdquo;Das Problem ist, dass Kinderbetreuung in Deutschland nach wie vor als Privatangelegenheit betrachtet wird“, so Wend. &bdquo;Dabei ist fehlende Vereinbarkeit ein volkswirtschaftliches Problem. Und das wird sich in den kommenden Jahren noch deutlich verschlimmern.“

Unternehmer überlegt, selbst Kita zu eröffnen Unternehmer Johannmeier ist sich sicher, dass es bei fehlenden politischen Lösungen künftig deutlich mehr private Angebote geben wird – zu stattlichen Preisen. &bdquo;Wenn die Lösung schnell und wirtschaftlich sein muss, dann liegt sie für Wirtschaftsmenschen am ehesten darin, selbst eine Kita aufzumachen oder ein anderes Betreuungsangebot zu schaffen.“

Auch Johannmeier selbst spielt mit dem Gedanken. Kurz umreißt der 37-Jährige die Kosten für Personal, &bdquo;das man dann besser bezahlt als aktuell“, Räume, Essen und kalkuliert die möglichen Beiträge: &bdquo;Für grob überschlagen 1.000 bis 1.200 Euro im Monat hätte man Sicherheit, Planbarkeit, Verlässlichkeit und einen qualitativ guten Ort für sein Kind.“ Angesichts Hunderter Euro, die viele Eltern derzeit monatlich für Notbetreuung und Ausfall bezahlen, dürften viele das sehr attraktiv finden. &bdquo;Darin liegt auch ein Riesengeschäft. Und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich Leute das zunutze machen werden, denn die Abhängigkeit von Eltern für Kinderbetreuung ist brutal.“

In Johannmeiers Augen braucht es deshalb für eine wirkliche soziale Veränderung als allererstes eine Allianz. &bdquo;Im Grunde sind alle die Verlierer: Kinder, Eltern, Erzieher, Träger und Arbeitgeber. Die müssten sich zusammenschließen – und richtig Druck machen.“

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