Übergriffe im OP, Umkleide: Ärztinnen leiden in OWL unter Diskriminierung

Göttingen/Bielefeld. Die Medizin in Deutschland wird weiblicher, weil die Zahl der Ärztinnen steigt. Trotzdem ist geschlechterbasierte Diskriminierung noch immer ein weitverbreitetes Phänomen in Krankenhäusern. So zeigt eine Studie, dass 75 Prozent der Ärztinnen und Medizinstudentinnen Belästigungen und Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechts erleben. Ärztinnen aus OWL berichten, wie schwerwiegend die Folgen sein können.

Das Ausmaß geschlechterbasierter Diskriminierung in der Medizin ist gewaltig, doch viel Beachtung wird diesem Problem nicht geschenkt. Um das zu ändern, haben Forscherinnen der Georg-August-Universität Göttingen untersucht, welches Ausmaß diese Form der Diskriminierung hat. Befragt wurden dafür etwa 400 Ärztinnen und Studentinnen an fünf Universitätskliniken in Norddeutschland.

Das Ergebnis der Untersuchung: Drei Viertel der Befragten haben geschlechterbasierte Diskriminierung persönlich erlebt, die meisten davon in Form verbaler und körperlicher sexueller Belästigung. Als Probleme benennen sie aber auch strukturelle und verbale Diskriminierung aufgrund einer bestehenden oder möglichen Mutterschaft, unmittelbare Bevorzugung von Männern und Benachteiligung von Frauen sowie Herabwürdigungen aufgrund des Geschlechts.

Nach Angaben der Forscherinnen hat sich geschlechterbasierte Diskriminierung in vielfältigen Formen in der Medizin in Deutschland manifestiert. Mit schweren Folgen für Frauen, denn Diskriminierung beeinträchtige die psychische Gesundheit, führe zu Stress und verringere Karrierechancen. Dadurch entsteht nach Angaben der Forscherinnen gesundheitlicher, ökonomischer und akademischer Schaden. Das bestätigen drei Ärztinnen aus OWL, die sehr persönliche Einblicke in ihren Alltag gewähren. Aus Angst vor Repressalien schildern sie ihre Erlebnisse anonym.

Im Bewerbungsgespräch geht es nur um die Familienplanung Internistin Alexandra B.

Als sich Alexandra B. 2020 in einem Krankenhaus in OWL als Internistin bewirbt, ist sie voller Zuversicht. &bdquo;Das Krankenhaus hat einen sehr guten Ruf. Ich wollte die Stelle unbedingt und ging selbstbewusst in das Bewerbungsgespräch.“ Ihre Fähigkeiten sind jedoch kein Thema. &bdquo;Der Chefarzt und die Mitarbeiterinnen der Personalabteilung stellten mir ausschließlich Fragen zu meinem Kind und den Betreuungsmöglichkeiten. Wie wollen Sie Arbeit und Kinderbetreuung vereinbaren? Gibt es Großeltern, die einspringen können? Welcher Tätigkeit geht Ihr Mann nach?“

B. ist massiv verunsichert. &bdquo;Obwohl ich wusste, dass solche Fragen in einem Bewerbungsgespräch nichts verloren haben, antwortete ich kleinlaut, weil ich die Stelle unbedingt wollte.“ Der Chefarzt fragt B. auch, ob sie sich weitere Kinder wünscht. &bdquo;Als ich mit Nein antworten wollte, fuhr er mir ins Wort und sagte, dass er es leid sei und Frauen mit Kinderwunsch in seinem Team nicht gebrauchen könne.“

Chefarzt erklärt Bewerberin, dass sie nur die zweite Wahl ist Wenige Wochen später erfährt B., dass sich das Krankenhaus für einen anderen Bewerber entschieden hat, einem ehemaligen Kommilitonen. &bdquo;Ich fragte ihn nach seinem Bewerbungsgespräch, in dem sein Kind und seine Familienplanung nicht einmal erwähnt wurden.“ Er nimmt die Stelle an, springt jedoch kurz vor dem Start ab. &bdquo;Dann bekam ich einen Anruf des Chefarztes. Er bot mir die Stelle an, entschuldigte sich aber nicht für seine Entgleisungen, sondern legte noch einen drauf. Er sagte mir, dass ich nur die zweite Wahl bin und mich an mein Versprechen halten soll, nicht noch ein Kind zu bekommen.“

B. ist fassungslos, nimmt die Stelle aber an. &bdquo;Ich habe das alles als junge Ärztin hingenommen, weil ich mir meine Karriere nicht verbauen wollte, doch das Erlebnis belastet mich bis heute sehr.“ Obwohl der Chefarzt inzwischen im Ruhestand ist, leidet B. an Ängsten. &bdquo;Ich denke nach wie vor, dass meine Leistung nicht für den nächsten Aufstieg ausreicht, egal, wie gut ich auch bin. Das behindert mich in meiner Karriere.“

Patienten fragen, wann der richtige Arzt kommt Notärztin Zahra S.

Als Frau mit iranischen Eltern erlebt Notärztin Zahra S. nicht nur Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts, sondern auch aufgrund ihrer Herkunft. &bdquo;Ich wusste seit dem Beginn der Schulzeit, dass ich für Anerkennung mehr leisten muss als andere, weil ich immer unterschätzt wurde.“ S. erlaubt sich keine Schwäche, bis heute nicht, obwohl sie seit Jahrzehnten erfolgreich in einem Krankenhaus in OWL tätig ist. &bdquo;Natürlich bin ich inzwischen sehr selbstbewusst, weil ich weiß, was ich kann. Ich lasse mir nichts gefallen, aber Diskriminierung erlebe ich weiterhin.“

Während des Studiums und der Ausbildung zur Fachärztin erlebt S. vor allem Kollegen und Patienten, die sie nicht ernst nehmen. &bdquo;Vorgesetzte und Kollegen ließen mich nicht ausreden, ignorierten meine Einschätzungen und übergingen mich bei Entscheidungen. Patienten erkannten mich als Ärztin nicht an und fragten ständig, wann denn der richtige Arzt kommt.“ Heute kann S. darüber lachen. &bdquo;Das ist Galgenhumor, denn während sich das Verhältnis zu deutschen Vorgesetzten, Kollegen und Patienten deutlich gebessert hat, habe ich inzwischen vor allem Probleme mit Menschen, die ebenfalls muslimisch sind.“

Kollege rastet aus, weil Ärztin nicht fastet Mit der steigenden Zahl von Ausländern im System steigt nach Einschätzung von S. das Konfliktpotenzial. &bdquo;Weil viele Ärzte aus dem arabischen Raum völlig anders sozialisiert wurden, als Menschen wie ich, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.“ So erlebt S. immer wieder verbale Übergriffe von jungen männlichen Assistenzärzten. &bdquo;Sie akzeptieren mich als Frau nicht als Vorgesetzte, ignorieren Anweisungen und greifen mich an, weil ich mich in ihren Augen verschleiern muss und nicht arbeiten sollte, weil ich Kinder habe.“

Während Ramadan, dem Fastenmonat der Muslime, der in diesem Jahr am 30. März zu Ende gegangen ist, wird S. von einem Kollegen im Pausenraum bedroht. &bdquo;Er kam auf mich zugestürmt und schrie mich an, weil ich mittags etwas aß. Ich erklärte ihm, dass ich nicht faste und mit Religion grundsätzlich nichts am Hut habe, aber er ließ nicht von mir ab.“ Erst, als Kollegen den Raum betreten, beruhigt sich der Assistenzarzt. &bdquo;Ich melde solche Übergriffe konsequent, damit jeder weiß, dass ich das nicht dulde, aber das Arbeitsklima hat sich deutlich verschlechtert und das bedaure ich sehr, weil Medizinstudentinnen und Ärztinnen in der Facharztausbildung abgeschreckt werden.“

Arzt bedrängt Kollegin beim Umziehen Allgemeinmedizinerin Mareike F.

Schon vor dem Beginn des Medizinstudiums steht für Mareike F. fest, dass sie Chirurgin werden will. &bdquo;Das war immer klar, weshalb ich nach dem Studium mit der Facharztausbildung begann.“ Damit beginnt für F. jedoch eine Zeit, die sie auch Jahre später tief bewegt. &bdquo;Ich wurde mehrfach von Kollegen sexuell belästigt. Verbal und körperlich.“

Zum Start ihrer Facharztausbildung erklärt ihr der Chefarzt, dass Frauen für die Chirurgie nicht gemacht sind. &bdquo;Er sagte mir, dass jemand, der so aussieht wie ich, es sich doch viel leichter machen könnte. Er gab mir den Tipp, einen Arzt zu heiraten, früh Kinder zu bekommen und mein Leben dann einfach zu genießen.“

In dieser Zeit wird F. zudem mehrfach in der Umkleide, die sich in dem Krankenhaus in OWL Männer und Frauen teilen, von Kollegen bedrängt. &bdquo;Ein Kollege kam auf mich zu und flüsterte mir ins Ohr: Oh, Du trägst heute rote Unterwäsche. Was hast Du mit mir vor?“ Vorfälle dieser Art häufen sich und F. offenbart sich einer Vorgesetzten. &bdquo;Sie gab mir den Rat, mich auf der Toilette umzuziehen und das Erlebte nicht öffentlich zu machen, damit ich meiner Ausbildung nicht schade.“ Aus Angst bleibt F. still. &bdquo;Ich wollte unbedingt Chirurgin werden und hatte große Angst, dass mir dieser Wunsch genommen werden könnte.“

Vorgesetzter fasst Ärztin im OP-Saal an den Po Ein Übergriff im Operationssaal ändert das. &bdquo;Eine Kollegin und ich durften an dem Tag bei einem spannenden Eingriff dabei sein. Ich sagte ihr vor dem Beginn der Operation leise, dass ich friere. Ein Vorgesetzter bekam das mit, umarmte mich, legte seine Hände auf meinen Po und flüsterte: Trägst Du etwa nur Deine rote Unterwäsche unter dem OP-Kittel. Sven hat mir schon davon erzählt.’“ F. verlässt den Operationssaal und offenbart sich unter Tränen einer Vorgesetzten. &bdquo;Sie bestärkte mich darin, den Übergriff zu melden, doch Konsequenzen gab es nicht.“

F. ist nach dem Übergriff so belastet, dass sie nicht mehr arbeiten kann. &bdquo;Ich wusste, dass ich nicht mehr in dem Krankenhaus arbeiten kann und beendete auch meine Facharztausbildung in der Chirurgie.“ F. wechselt das Fachgebiet, absolviert ihre Facharztausbildung und arbeitet heute als Hausärztin in einer Praxis. &bdquo;Anfangs fiel mir der Wechsel schwer, weil ich dachte, dass ich versagt habe. Aber heute weiß ich, dass das System versagt hat, weil mich niemand im Krankenhaus beschützt hat.“

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