Weihnachtslieder im Stadion: Warum singen wir so gern im Rudel?

Ausverkaufte Stadien, Riesen-Andrang und Tausende Menschen, die keine Karten kaufen konnten – die Rede ist nicht etwa von Fußball. Sondern vom Weihnachtssingen. In Hannover, Dresden und Dortmund singen Zehntausende, in Paderborn waren es am vergangenen Sonntag 9.000 Menschen, und auch in Bielefeld kommen an diesem Sonntag in der ausverkauften Schüco-Arena die Massen zusammen, um gemeinsam weihnachtliche Klassiker zu schmettern. Doch warum singen wir eigentlich so gern im Rudel und was macht das mit uns? Hier haben Experten unterschiedliche Antworten.

Singen tut dem Körper gut. Studien zeigen: Es wirkt sich positiv auf Nervensystem und Stimmung aus, kann Stress reduzieren, das Immunsystem aktivieren und helfen, dass Menschen sich wieder stärker selbst spüren. Forscher der schwedischen Universität Göteborg fanden heraus, dass das Herz bei Menschen, die im Chor zusammen singen, nach einer gewissen Zeit im gleichen Takt schlägt. Der Herzrhythmus stabilisiert sich – und das hat wiederum einen positiven Effekt auf das Herz-Kreislauf-System. Zudem wird das Hormon Oxytocin während des Singens vermehrt ausgeschüttet. Es ist dafür zuständig, Bindungen zu stärken, Vertrauen zu fördern und Angst zu reduzieren.

Für Franziska Kuba, Professorin für Chorleitung an der Musikhochschule Detmold, steht beim Singen vor allem der körperliche Aspekt im Vordergrund. &bdquo;Singen ist mit eine der körperlichsten Erfahrungen, die man machen kann. Man nimmt sich ganz anders wahr, es werden Endorphine ausgeschüttet und man spürt, wie die Stimme im Körper schwingt. Tut man es dann noch gemeinsam, ist das unglaublich verbindend.“

Hausarzt aus OWL sieht Einsamkeit bei vielen Menschen Es ist diese Verbindung, die in den Augen von Hausarzt Jens Grothues so viele dazu bringt, in die Stadien zu gehen. &bdquo;Man erlebt gemeinsam etwas, erlebt Gemeinschaft, ist Teil eines großen Ganzen, wie man es sonst selten im Leben erfährt. Das suchen sicherlich derzeit viele.“ In seiner Praxis erlebt Grothues oft, wie groß das Thema Einsamkeit bei vielen Menschen ist. &bdquo;Eigentlich müssten sich für die seelische Gesundheit viel mehr Menschen solche Events suchen. Das muss ja nicht singen sein und auch nicht gleich ein Stadion.“

Dass Menschen auf der Suche nach dieser Gemeinschaft sind, erlebt auch Annegret Bokermann, Vorsitzende des Musikvereins der Stadt Bielefeld. Er zählt zu den sieben ältesten Chören im Verband Deutscher Konzertchöre. &bdquo;Wenn neue Mitglieder zu uns kommen, geben sie häufig an, dass sie Menschen kennenlernen möchten. Und Singen verbindet sehr schnell – auch wenn ein Chor sicherlich etwas anderes ist als das Rudelsingen im Stadion.“

&bdquo;Loss mer singe“-Gründer setzt auf Textsicherheit Doch Rudelsingen ist nicht gleich Rudelsingen. Das weiß niemand besser als Georg Hinz, Initiator und Mitbegründer der Kölner Karnevals-Mitsinginitiative &bdquo;Loss mer singe“. Was als kleines Experiment in Hinz’ Küche begann, ist heute Kult. Jedes Jahr singen sich Tausende Menschen in Kneipen gemeinsam für den Karneval ein, längst ist die Tour auch auf Kneipen außerhalb NRWs ausgeweitet. Hinz erlebt bei den gemeinsamen Abenden immer wieder, wie viel Ausgelassenheit, Glück und Freude das gemeinsame Singen Menschen beschert. &bdquo;Das ist ein Moment in Gemeinschaft, nach dem derzeit ganz viele eine starke Sehnsucht verspüren. Das haben wir in der Gesellschaft eben oft nicht mehr.“

Allerdings weiß Hinz auch: Um wirklich dazuzugehören, ist Textsicherheit ein wesentliches Element. &bdquo;Und da sind Weihnachtslieder natürlich sehr gut geeignet. Zumindest eine oder zwei Strophen hat jeder noch in petto, und wenn er die mitschmettert, gehört er so richtig zur Bubble. Außerdem verbindet jeder mit Weihnachtsliedern Geborgenheit und schöne Kindheitserinnerungen. Das verstärkt den Effekt natürlich noch.“

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