Windräder, Wohnungen und Naturschutz: NRW streitet um seine Flächen

Düsseldorf. Mit mehr als 18 Millionen Menschen ist NRW das einwohnerstärkste Bundesland. Sie verteilen sich auf 7,22 Prozent der Landesfläche. Seit Jahren gibt es Streit darüber, wie sich Siedlungen, Verkehr, Gewerbe, Industrie und Naturschutz aufteilen sollen. Jetzt zeichnet sich ab, dass Ziele der Politik verfehlt werden dürften.

Die schwarz-grüne Landesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag im Sommer 2022 das Ziel gesetzt, den Flächenverbrauch auf fünf Hektar pro Tag zu begrenzen. Das ist eine Fläche, die so groß ist wie rund 4,5 Fußballfelder. In einem Land mit einer Bevölkerungszunahme, in dem Hunderttausende Wohnungen gebaut und Gewerbeflächen für Industrieunternehmen und Flächen für erneuerbare Energien ausgewiesen werden müssten, sei es &bdquo;eine Herausforderung, das Ziel von fünf Hektar pro Tag zu erreichen“, räumt NRW-Umwelt- und Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) gegenüber dieser Redaktion ein. &bdquo;Aber wir haben es in den letzten Jahren geschafft, dass der Verbrauch tendenziell weniger wird, trotz steigender Bevölkerungszahlen.“

Tatsächlich nimmt der Flächenverbrauch ab. Im Jahr 2022 wurden nach Zahlen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) pro Tag zusätzlich rund 5,6 Hektar für Siedlung und Verkehr in Anspruch genommen. 2021 lag der Verbrauch bei 5,4 Hektar pro Tag, davor bei 5,7 und 8,1 Hektar. Im Mittel waren es in den vergangenen Jahren rund 6,5 Hektar, also 65.000 Quadratmeter Fläche pro Tag für Siedlungs- oder Straßenbau.

NABU vermisst ausreichendes Problembewusstsein der Politik Naturschützer zeigen sich über die Entwicklung dennoch erbost. &bdquo; Wir beobachten eine Weiterführung der über Jahrzehnte fehlgeleiteten Siedlungsentwicklung“, sagt Heike Naderer. Die Vorsitzende des Naturschutzbundes (NABU) in NRW erkennt auch unter der schwarz-grünen Landesregierung keinen &bdquo;Ansatz und Willen“, langfristig darauf zu verzichten, neue Flächen in Anspruch zu nehmen. Naderer vermisst bei den politischen Parteien ein &bdquo;ausreichendes Problembewusstsein“ bei dem Ziel, Natur- und Freiraumflächen zu schützen.

Tatsächlich genießt in NRW derzeit vor allem der Bau weiterer Wohnungen hohe Priorität. &bdquo;NRW benötigt mehr Wohnraum“, heißt es aus dem Bauministerium. Zwar gelte es &bdquo;vorrangig“, aus Brachflächen wieder Bauflächen zu machen, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Es bedürfe aber auch der &bdquo;maßvollen Inanspruchnahme“ von &bdquo;neuen“ Flächen.

Ansprüche stellt auch die Wirtschaft. Um klimaneutral zu werden und Industrieland zu bleiben, bräuchten Unternehmen Gewerbe- und Industrieflächen, auf denen sie wachsen und sich neu ansiedeln könnten, teilt die Industrie- und Handelskammer NRW auf Anfrage mit. &bdquo;Solche Flächen sind allerdings knapp.“ Von 2022 auf 2023 sei ihre landesweite Fläche um über 6.400 Hektar gesunken. &bdquo;Ende 2023 lag ihr Anteil an der Gesamtfläche Nordrhein-Westfalens bei nur noch 1,7 Prozent“, heißt es von der IHK.

Es brauche aber Zeit, ausgewiesene Gewerbe- und Industrieflächen wieder marktfähig zu machen und neue Wirtschaftsflächen auszuweisen. &bdquo;Deshalb muss weiterhin die Möglichkeit bestehen, Freiraum für Wirtschaftsflächen in Anspruch zu nehmen.“ Viele Kommunen scheuten jedoch diese Umwandlung, die auch als Flächenverbrauch bezeichnet werde, so die IHK. &bdquo;Denn auf den Freiraum sind Land- und Forstwirtschaft angewiesen. Zusätzlich werden dort Flächen für Windparks und Freiflächenfotovoltaik ausgewiesen. Schließlich finden sich dort Naturschutz- und Naherholungsgebiete.“ Die Konkurrenz um diese Flächen sei also &bdquo;groß“.

.responsive23-lRtwBdpLSK88FOqj-multimap-windenergie-anlagen-im { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-lRtwBdpLSK88FOqj-multimap-windenergie-anlagen-im { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-lRtwBdpLSK88FOqj-multimap-windenergie-anlagen-im { padding-top: 142.86%; } } NRW will industrielle Basis der Zeitenwende werden Den von der Landesregierung vorgesehenen 5-Hektar-Grundsatz lehnt die IHK in NRW ab. Er werde keine &bdquo; nennenswerte Steuerungswirkung“ zum Schutz von Freiraum entfalten – und könne bei restriktiver Auslegung durch die Kommunen im Zweifel sogar eine angemessene Wirtschaftsentwicklung und damit ein entsprechendes Wachstum verhindern, glaubt die IHK.

Wenn man jüngste Aussagen der Landesregierung ernst nimmt, dann dürften künftig weitere Flächenansprüche gestellt werden. NRW will industrielle Basis der Zeitenwende und zentraler Standort für die Rüstungsindustrie werden, kündigte der Chef der Staatskanzlei, Nathanael Liminski, vor wenigen Wochen an. Das würde nicht nur Auswirkungen auf Unternehmen haben. Je nach politischem Kurs könnte sich bald auch wieder die Frage stellen, welche Rolle Militärgelände und Kasernen im Land künftig spielen sollen.

Bislang sei das Ertüchtigen von Kasernen ein andauernder Prozess – die Infrastruktur werde an vielen Orten in NRW immer mal wieder repariert, erneuert, renoviert oder neu gebaut, teilt die Bundeswehr in NRW auf Anfrage mit. Das geschehe im Normalfall innerhalb der vorhandenen Flächen. Zum jetzigen Zeitpunkt lägen keine Pläne für eine Reaktivierung von Liegenschaften in NRW vor, teilt ein Sprecher des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr auf Anfrage mit.

Die Wirtschaft erkennt in dem Ziel, industrielle Basis der Zeitenwende zu werden, jedenfalls eine &bdquo;riesige Chance“. Im Hintergrund laufen erste Gespräche. Der Kampf um die Flächen im Land dürfte also trotz rückläufiger Zahlen wohl niemals enden.

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