Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft, Kinder und Jugendliche kopieren, was ihnen vorgelebt wird. Insofern kann es niemanden verwundern, dass all die besorgniserregenden Entwicklungen dieser Zeit auch hier zu finden sind: Verrohung, Respektlosigkeit, Gewalt, Demokratie- und Menschenfeindlichkeit, Frauenhass, Homophobie, Rechtsruck.
Völlig unbedarft sind schon Fünftklässler mit Hitler-Konterfei und Hakenkreuz-Bild im Whatsapp-Klassenchat am Start, weil sie und auch ihre Eltern keine Ahnung davon haben, was sie da posten. Pubertierende Halbstarke nutzen die Tabus Holocaust und Nationalsozialismus hingegen gezielt für die größtmögliche Provokation und Grenzverletzung. Jugendliche, die aus dem Elternhaus heraus rechtsradikal, antisemitisch oder demokratiefeindlich geprägt sind, finden auf Social-Media-Plattformen schnell und leicht Zugang zu passender Propaganda und werden so immer weiter radikalisiert.
Es ist eine gut bekannte Abwärtsspirale, die sich nicht erst seit gestern dreht und die immer weiter an Fahrt aufnimmt. Zwei wesentliche Katalysatoren dafür werden immer und immer wieder in Gesprächen mit allen beteiligten Experten, Pädagogen und Sozialarbeitern benannt: die Elternhäuser und der Medienkonsum.
Eltern immer weniger bereit oder in der Lage zu erziehen
So scheinen Eltern immer weniger bereit oder in der Lage zu sein, ihren Kindern Erziehung, Werte, Bindung, Schutz und Begleitung zukommen zu lassen. Auch prangern Schulleiter jeder Schulform an, dass sie für konsequente Ahndung von Fehlverhalten häufig keinerlei Rückendeckung von Eltern erhalten.
Der grenzenlose Medienkonsum vieler Kinder und Jugendlicher ist eine logische Folge dieses Verhaltens. Denn grundsätzlich haben Messenger-Dienste wie Whatsapp und Plattformen wie Tiktok Altersbeschränkungen. Allerdings hat der Großteil schon junger Kinder trotzdem Zugang dazu, teils mit vollem Wissen und Zustimmung der Eltern. Hier bewegen sich schon Zehnjährige täglich stundenlang und unbeaufsichtigt in einer digitalen Welt, von der ihre Eltern in vielen Fällen nicht die geringste Ahnung haben. Tagelang kursierten vor Kurzem rassistische Memes in einem Klassenchat einer sechsten Klasse eines Bielefelder Gymnasiums. Tagelang bemerkte das von Elternseite aus niemand, weil niemand die Whatsapp-Tätigkeiten der Elfjährigen kontrollierte.
Neu ist all das nicht. Im Gegenteil: Gerade beim Thema Extremismus sind Verfassungsschutz und Innenministerien von Bund und Ländern extrem gut im Bilde, wie groß der Anteil der Sozialen Medien bei der Verbreitung von Propaganda und der Radikalisierung von Jugendlichen ist.
Verpflichtende Elternabende mit Bußgeldandrohung
Und trotzdem passiert nichts. Weder wagt sich die Politik in das hochheilige Privatfeld Kindererziehung, noch gibt es nennenswerte Maßnahmen hinsichtlich des Medienkonsums. Dabei wäre all das nicht schwer. Schulen könnten die Infoabende, die es zum Thema Medienerziehung für Eltern bereits gibt, zum Beispiel als verpflichtend deklarieren. Inklusive Bußgeld bei Nichterscheinen. Wegducken ist bei diesem Thema keine Option.
Beim Thema Social Media macht Australien gerade vor, wie schnell ein Verbot für Kinder unter 16 Jahren zu etablieren ist. Wie weit sich das aufrechterhalten und dauerhaft praktizieren lässt, ist noch unklar. Auch haben Datenschützer und Pädagogen gravierende Zweifel an der Umsetzbarkeit der Alterskontrolle und Altersverifizierung. Mit Sicherheit verhindert ein solches Verbot zudem nicht, dass Kinder weiterhin zu viel Zeit vor digitalen Geräten verbringen.
Dennoch ist mit der reinen Einführung des Verbots ein klares, offizielles Signal erfolgt: Die australische Regierung sieht in den sozialen Medien eine gravierende Gefahr für die Gesundheit und Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen – und ist vor allem nicht mehr bereit, sich auf die inkonsequenten und häufig wirkungslosen Jugendschutz-Maßnahmen der Plattform-Betreiber zu verlassen.
Schutz der Demokratie ist zuallererst Aufgabe des Staates
Und Deutschland? Hier drückt sich der Staat in der für Jugendschutz und Bildungsfragen sehr typischen Manier seit Langem um konsequente Gesetze herum und wälzt die Verantwortung auf die Schulen ab. Doch die Rechnung wird nicht aufgehen.
Denn ganz klar ist Schule ein wichtiger Akteur, um Kinder und Jugendliche politisch und medienkompetent zu bilden, ihnen Toleranz, Respekt und Achtung vor der Menschenwürde zu vermitteln. Beim Thema Social Media geht es aber nicht mehr nur um Medienerziehung. Es geht um den Schutz und die Sicherung der Demokratie – eine Mammutaufgabe, für die zuallererst der Staat mit entsprechender Gesetzgebung in die Bresche springen muss.