Hausarzt-Notstand in OWL: Wie eine kleine Gemeinde das Problem selbst löst

Kalletal. 5.000 Hausärzte fehlen bereits bundesweit und der Zugang zur medizinischen Grundversorgung wird sich in den kommenden Jahren weiter verschlechtern. Das zeigt eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung, wonach ein Viertel der Hausärzte bis 2030 den Ruhestand plant. In ländlichen Regionen wie OWL sind die Lücken in der Versorgung bereits heute groß. Im Kampf gegen den Ärztemangel gehen Kommunen deshalb neue Wege. So wie die lippische Gemeinde Kalletal, die in Folge eines Bürgerbegehrens ein medizinisches Versorgungszentrum gegründet hat. Es gilt nach Einschätzung der Bundesregierung als Musterlösung für die Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung auf dem Land.

Medizinische Versorgungszentren, kurz MVZ, sind Einrichtungen zur ambulanten medizinischen Versorgung. Kennzeichnend ist die Trennung zwischen ärztlicher und kaufmännischer Leitung. In Westfalen-Lippe gibt es nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KVWL) 413 MVZ und damit fast 20 Prozent mehr als noch 2022. Eine Entwicklung, die sich in ganz Deutschland beobachten lässt. Bundesweit zählt die Kassenärztliche Bundesvereinigung 5.000 MVZ.

Die Entstehung des MVZ Kalletal beginnt 2022 mit einem kommunalen Entwicklungsbeirat, der zur Sicherung der Gesundheitsversorgung dem Gemeinderat die Gründung eines MVZ in kommunaler Trägerschaft empfiehlt. Es folgen kontroverse politische Debatten. Die Verwaltung legt dem Rat die Empfehlung 2024 vor, doch der lehnt ab. Die Bürger der 13.000-Einwohner-Gemeinde geben sich damit jedoch nicht zufrieden und bringen ein Bürgerbegehren auf den Weg. Die notwendigen 1.023 Unterschriften kommen in wenigen Wochen zusammen und der Rat stimmt zu.

Gemeinde gründet Tochtergesellschaft, um MVZ zu betreiben &bdquo;Die Gemeinde hat daraufhin die MVZ Kalletal GmbH als 100-prozentige Tochtergesellschaft gegründet“, erklärt Bürgermeister Mario Hecker (parteilos). &bdquo;Das MVZ ist so zwar in kommunaler Trägerschaft, doch die Sorge von Bürgern, dass die Gemeinde pleitegeht, wenn das MVZ pleitegeht, ist unbegründet.“

Investiert habe die Gemeinde in das MVZ lediglich 25.000 Euro als Stammkapital für die GmbH, erklärt Hecker. &bdquo;Zudem hat die Gemeinde eine Rückbürgschaft für das MVZ als Sicherheitsleistung gegenüber der KVWL in Höhe von etwa 1,5 Millionen Euro übernommen. Die kommt aber nur zum Tragen, wenn das MVZ dauerhaft mehr verordnen würde, als der Durchschnitt der Praxen in Westfalen-Lippe. Und das ist sehr unwahrscheinlich.“

Mit der Übernahme der Rückbürgschaft habe die Gemeinde dem MVZ ermöglicht, den entsprechenden Kredit von der Volksbank Bad Salzuflen zu Konditionen zu erhalten, die ein wirtschaftliches Arbeiten ermöglichten, ergänzt die Geschäftsführerin des MVZ Kalletal, Gabriele Dostal. &bdquo;Das Risiko für die Gemeinde ist deshalb sehr überschaubar. Gleichzeitig leistet das MVZ langfristig einen Beitrag zur Sicherung der wohnortnahen Hausärzteversorgung“, sagt Hecker.

Kalletal und Lemgo zählen zu den am schlechtesten versorgten Kommunen Offiziell sind für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung nicht Kommunen zuständig, sondern die jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch die Zahl der Mediziner, die sich als Hausärzte niederlassen wollen, geht vor allem in ländlichen Regionen wie OWL zurück.

Das zeigt auch eine Übersicht der KVWL, die für alle sogenannten Mittelbereiche den Versorgungsgrad ausweist: Der Mittelbereich Lemgo, zu dem Kalletal und Lemgo zählen, hat mit 24,75 besetzten und zwölf unbesetzten Hausarztstellen einen Versorgungsgrad von 74,4 Prozent. Damit zählt er zu den vier am schlechtesten versorgten Bereichen in ganz Westfalen-Lippe.

Vor der Gründung des MVZ war die Situation im Kalletal nach dem plötzlichen Tod des Hausarztes Michael Rossknecht nach Angaben Heckers noch angespannter. &bdquo;Seine Patienten haben sich verzweifelt im Rathaus gemeldet, weil sie Angst hatten, nicht mehr versorgt zu werden“, erklärt Hecker. &bdquo;Wir mussten handeln. Auch wenn der Sicherstellungsauftrag der medizinischen Versorgung offiziell nicht bei uns liegt, ist es doch im Interesse der Gemeinde, dass die Daseinsvorsorge funktioniert.“ Zudem drohe durch die Abwanderung für Arztbesuche in Nachbarkommunen auch der Verlust von Kaufkraft, sagt Hecker.

Das MVZ sucht zusätzliche Ärzte für Erwachsene und Kinder Inzwischen haben sich bereits die ersten 370 Patienten im MVZ Kalletal eingeschrieben. Versorgt werden sie von Allgemeinmedizinerin Imola Kalló und Internist Frank Norrenbrock sowie den medizinischen Fachangestellten Ricarda Behr, Heike Fromme, Catharina Hempelmann, Tanja Morscheiser und Katharina Nelle seit dem 14. April. Alle Mitarbeiter sind im MVZ angestellt.

Behr ist als Versorgungsassistentin zertifiziert und kann so im Auftrag der Ärzte auch Hausbesuche übernehmen. Hempelmann hat eine Zusatzqualifikation als Case-Managerin, um Patienten in schweren Zeiten durch das Gesundheitssystem zu lotsen. &bdquo;Wir sind Teil der hausarztzentrierten Versorgung und damit immer erste Anlaufstelle für unsere Patienten“, erklärt Kalló. &bdquo;Die Patienten sind dankbar, dass sie wieder feste Ansprechpartner in der Praxis und bei Hausbesuchen haben.“

Die ärztliche Leiterin hat sich bewusst für den Wechsel in das MVZ entschieden. &bdquo;Ich war zuvor schon als angestellte Ärztin in einer Praxis tätig. Ich wollte wechseln, aber weiter angestellt bleiben, weil mir das Risiko einer Selbstständigkeit zu groß ist“, erklärt Kalló. &bdquo;Auch der Bürokratie, die selbstständigen Ärzte viel abverlangt, wollte ich entgehen, weshalb ich mich für das MVZ entschieden habe, in dem ich durch die Trennung zwischen ärztlicher und kaufmännischer Leitung mehr Zeit für meine Patienten und Weiterbildungen habe.“ Zudem schätze sie die kommunale Trägerschaft – auch als Bürgerin im Kalletal. &bdquo;Das bietet mir Sicherheit, weil die Kommune ein langfristiges Interesse daran hat, die medizinische Grundversorgung im Kalletal zu sichern.“

Private Investoren kaufen Arztpraxen als Renditeobjekte Das steigende Interesse von Ärzten an einer Anstellung sieht das Bundesgesundheitsministerium neben den vermehrten Übernahmen von Arztpraxen durch Private-Equity-Gesellschaften, die Praxen als lukrative Anlagemöglichkeit kaufen, als Hauptgrund für den Trend zum MVZ. &bdquo;Daher rührt der oftmals schlechte Ruf von MVZ“, erklärt Dostal. &bdquo;MVZ sind oft in Trägerschaft privater Investoren, die Arztpraxen als Renditeobjekte betreiben, oder von Krankenhäusern, die jedoch in Folge der finanziellen Schwierigkeiten vieler Kliniken ebenfalls in wirtschaftliche Schieflage geraten können.“

Die Bundesärztekammer kritisiert den zunehmenden Ankauf von Arztpraxen durch fachfremde Investoren, fordert jedoch einen differenzierten Umgang, weil MVZ als sinnvolle Ergänzung der Versorgungslandschaft bereits ihren festen Platz in der Gesundheitsversorgung haben. Nach Angaben von Präsident Klaus Reinhardt betreiben immer mehr Kommunen MVZ, um die Grundversorgung zu sichern.

Ärzte wollen die Gesundheitskompetenz ihrer Patienten stärken Im Kalletal hoffen Kalló und ihr Team in Zukunft auf die Unterstützung weiterer Ärzte und Therapeuten. &bdquo;Eine Ernährungsberaterin hat sich schon bei uns eingemietet und das MVZ ist bereits mit einem Kinderarzt und einem weiteren Hausarzt in Gesprächen.“ Zudem seien Vorträge zu Themen wie Brustkrebs, Patientenverfügung und häusliche Pflege geplant. &bdquo;Unser Ziel ist auch, die Gesundheitskompetenz unserer Patienten zu stärken.“

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