Zeugen berichten vom Kugelhagel in Bielefeld: „Sei leise, er ist da!“

Bielefeld. &bdquo;Willst du uns helfen oder willst du uns wehtun?“ Das habe sie den Fremden gefragt, der auf ihr Handzeichen hin mit seinem kleinen blauen Auto tatsächlich anhielt und sie und ihre Schwester aufgefordert habe, einzusteigen. Um Schutz zu finden, nach den Schocksekunden der wilden Schießerei. Der Mann wiederholte sein Hilfsangebot, die völlig verängstigten Frauen fassten Vertrauen und stiegen ein. Währenddessen oder kurz darauf seien auf der Straße abermals Schüsse gefallen, erinnert sich die junge Frau im Zeugenstand, doch auf der Rückbank des Autos habe sie sich erstmals in Sicherheit gefühlt.

Am Mittwochmorgen berichtete sie im Saal 1 des Landgerichts im Prozess gegen die Nimani-Geschwister, wie sie die gefühlt endlosen Minuten um die Mittagszeit des 26. Februars 2025 erlebt hatte: Nach dem dritten Prozesstag gegen ihren Schwager Hüseyin A., der knapp ein Jahr zuvor gemeinsam mit einem Komplizen den Ex-Profiboxer Besar Nimani in der Obernstraße erschossen hatte und für die Tat im April verurteilt wurde, hatten Angehörige und Freunde von A. gemeinsam das Gerichtsgebäude verlassen und waren zu ihren Autos gegangen.

Das Ziel war ein am Anfang der Kreuzstraße geparkter roter Peugeot. Den soll der Bruder des Täters, Ramazan A. angemietet haben, um möglichen Feinden der Familie keine Hinweise zu geben auf den Aufenthaltsort. Das erklärte die Ehefrau des Verurteilten, Gülcan A. ebenfalls am Mittwoch im Zeugenstand. Im Halbkreis sei die Gruppe um den Wagen gestanden, ihre Schwester habe die Hand schon am Türgriff gehabt und wollte einsteigen, als in unmittelbarer Nähe plötzlich Schüsse krachten.

Menschen gingen wie Dominosteine zu Boden Wie Dominosteine seien die Menschen zu Boden gegangen, schilderte ein dritter Zeuge dann am Mittag seine Erinnerungen an den Moment des ersten Kugelhagels. Den Freund von Ramazan A. hatte eine der 9-Millimeter-Kugeln in die linke Schulter getroffen, die Wirbelsäule knapp verfehlt und war in der rechten Schulter stecken geblieben. Ramazan A. erhielt einen Schuss ins Knie, seinen Vater verletzten mehrere Projektile lebensgefährlich. Davon hatten die beiden Männer bereits am Vortag im Zeugenstand berichtet. Gülcan A. und ihre Schwester erzählten, wie das Glas einer Autoscheibe vor ihnen zersplitterte, wie sie in ihrer Todesangst neben dem Auto in Deckung gingen.

Als mutmaßliche Schützen müssen sich Berat Nimani und eine seiner Schwestern vor dem Landgericht für die Tat verantworten. Die Staatsanwälte Christoph Mackel und Claudia Bosse klagen das Duo an wegen vierfachen Mordversuchs. Das Duo soll insgesamt 14 Schüsse abgefeuert haben. Der Vorsitzende Richter Christoph Meiring und sein Schöffen-Team versuchen nun, den Tathergang anhand der Zeugenaussagen detailliert zu rekonstruieren: Wer stand wo und schoss auf wen? Platziert in ihrer Phalanx aus fünf Verteidigern schweigen die Angeklagten bisher zu den Vorwürfen.

Während der Vater und Bruder des Verurteilten A. am Dienstag vom direkten Blickkontakt mit dem mutmaßlichen Schützen berichteten, hatten die beiden Frauen das Geschehen auf der Straße kauernd verfolgt. Gülcan A. erzählte, wie sie versucht habe, ihre vor Angst immer wieder schreiende Schwester zu beruhigen und sie mit sich zum nächsten parkenden Auto zu ziehen, als sich die Schritte des Angreifers näherten: &bdquo;Sei leise, sei leise, er ist da.“ Aus der Bodenperspektive habe sie dann nur noch dessen Füße gesehen – auch, wie sie neben dem niedergestreckten Schwiegervater gestanden haben sollen.

Die Schüsse erfolgten kurz aufeinander in drei Salven Die Schwester des mutmaßlichen Schützen sei nur einmal in ihr Blickfeld gelangt, auf Höhe des Bunker Ulmenwalls, dann aber sofort wieder verschwunden. Die Zeugen berichteten übereinstimmend, dass sie die Schüsse als drei kurz aufeinanderfolgende Salven wahrgenommen hätten. Die letzte Salve erfolgte mutmaßlich, als die Schwester aus einem Auto auf den zu seinem Vater humpelnden Ramazan A. geschossen haben soll. Die fünf Kugeln hatten ihr Ziel verfehlt. Zu dem Zeitpunkt saßen die beiden Frauen im kleinen blauen Auto des hilfsbereiten Fremden in Sicherheit. Der hatte wegen seines Einsatzes noch einen Termin beim Orthopäden gecancelt.

Nach den ersten drei Prozesstagen hat das Gericht die Schilderungen von acht Zeugen gehört. Die nächste Verhandlung ist für den 26. August terminiert. Weil noch weitere Zeugen angehört werden sowie Sachverständige die Ergebnisse ihrer Untersuchungen und Auswertungen präsentieren werden, rechnen die Beteiligten noch mit sechs bis sieben Verhandlungstagen. Somit könnte das Urteil noch im Oktober verkündet werden.

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