„Korruption ist Teil des Sports“: Klagen und Vorwürfe im deutschen Tanzsport

Bielefeld/Frankfurt. Es rumort im Deutschen Tanzverband (DTV). Vor allem im Leistungsbereich. Tanzpaare, Funktionäre und Vertrauenspersonen beklagen Missstände auf zwei Ebenen. Erstens komme es immer wieder vor, dass sich Trainer den Sportlerinnen und Sportlern gegenüber unangemessen verhalten, zu viel Druck machten und körperliche Schwächen wie zu viel Gewicht öffentlich kritisierten. Zweitens seien die Bewertungsrichter auf internationalem Boden teilweise &bdquo;gekauft“ und nicht ausschließlich auf die Leistung konzentriert. Ein ehemaliger deutscher Vizemeister spricht sogar von &bdquo;Korruption“. Er und seine Tanzpartnerin haben unter anderem deshalb vor knapp drei Jahren ihren Lieblingssport aufgegeben.

&bdquo;Korruption ist definitiv ein Teil des Sports“, sagt Dominik Stöckel gegenüber dieser Redaktion. Er meint damit die Auswahl der Jury. Die Bewertung bei den Leistungsturnieren nehmen als qualifizierte Experten nicht selten Trainer vor. Die Trainer geben gleichzeitig den Paaren Privatstunden. Rund 200 Euro kosten 60 Minuten. Oft sind es mehrere Stunden, die die oft ehrgeizigen Paare buchen, um besser tanzen zu können – und Wettbewerbe zu gewinnen.

Bei wem absolvieren sie die Stunden? Meist bei genau den Trainern, von denen sich wissen, dass sie beim nächsten Turnier die Kreuze vergeben. Da liegt es nahe, dass die Coaches jene Paare besser bewerten, die bei ihnen trainiert haben. Die selbstständigen Trainer lebten von den Jobs und hofften, dass weitere Stunden bei ihnen genommen werden.

Paare wollen ihre Karriere nicht gefährden

Beispielsweise habe man ihm den Hinweis gegeben, dass er mit seiner Partnerin ein Trainingscamp in Tschechien besuchen solle, weil die dortigen Trainer beim nächsten Großturnier werten. Da sei man in ein Abhängigkeitsverhältnis gedrängt worden, sagt der heutige Student der Sozialpädagogik. Tanzen sei ein Leistungssport, der etwas Künstlerisches und Individuelles habe und natürlich in der Bewertung subjektiv sei. Aber so wie derzeit gehe das nicht.

Katja Schlenkermann-Pitt ist offizielle Ansprechpartnerin der Tanzpaare. Sie bestätigt, dass ihr solche Strukturen berichtet worden seien. &bdquo;Das ist eine abgesprochene Sache.“ Viele Paare machte trotzdem schweigend mit, weil sie ihre Karriere nicht gefährden wollten. Drei Paare hätten ihr das System bestätigt, wollten damit aber nicht an die Öffentlichkeit gehen. Schlenkermann-Pitt: &bdquo;Wir können die Augen vor dem Problem nicht mehr schließen.“

Sie sieht allerdings das Bemühen des DTV, diesem Missstand entgegenzuwirken. Zumal der Sportcode vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) korrektes Verhalten verlangt. Der Druck fange allerdings &bdquo;unfassbar früh an“. Eine Bielefelder Tanzfunktionärin, die anonym bleiben möchte, bestätigt das System: &bdquo;Es gibt Trainer, die scharen möglichst viele Paare um sich, um Geld zu verdienen. Und arbeiten anschließend als Wertungsrichter.“

Der Verband sieht das anders

Der Sprecher des Deutschen Tanzsportverbandes räumt im Einzelfall Probleme ein, sieht die aber nicht als flächendeckendes Thema. &bdquo;Es gibt Maßnahmen, die das verhindern sollen.“ Wenn zwölf kurzfristig benannte Kampfrichter bei einem Wettkampf arbeiten, könnten die Paare gar nicht so viele Übungsstunden buchen, dass sich das merklich auf die Wertungen auswirke. Man könne maximal einen oder zwei beeinflussen. Bei engen Entscheidungen entscheidet aber manchmal eine Kleinigkeit über Sieg oder nicht Sieg. &bdquo;Wir wollen nicht, dass der Eindruck entsteht, dass man Erfolg kaufen kann“, so Lars Keller auf Anfrage. Die Kritiker wissen dagegen, dass die Wertungsrichter schon vier Monate oder sogar länger im Voraus feststünden und eben nicht kurzfristig.

Eine Tanzsport-Funktionärin aus Bielefeld bestätigt die Probleme. Sie kennt sich seit vielen Jahren in der Szene aus. Genauso wie zu den nicht passenden Bemerkungen vor allem den Tänzerinnen gegenüber. Da habe ein Trainer einer Sportlerin im Moment des Triumphes bei der Siegerehrung öffentlich gesagt: &bdquo;Glückwunsch, sieben Kilo bis zur WM weniger.“ Das habe die Frau völlig umgehauen.

Kritik könne unter vier Augen geäußert werden, aber nicht so, sagt die Bielefelderin. Ein Trainer habe den Kader sogar mit den Worten begrüßt: &bdquo;Guten Morgen, ihr hässlichen Missgeburten.“ Berichtet die Bielefelderin. Körperlichkeit sei natürlich immer ein Thema, so Ex-Tänzer Stöckel und mache Druck. Ihm und seiner Tanzpartnerin seien ähnliche Sprüche zu Ohren gekommen.

Der Verband sagt, man habe schon gelernt

In seiner aktiven Zeit habe er selbst bei 1,87 Metern Körpergröße nur 69 Kilogramm gewogen. Seine Bachelorarbeit schreibt er derzeit über &bdquo;Emotionale und psychische Gewalt im Leistungssport“. Er sieht auch da Handlungsbedarf. Den Sportlern solle mehr Gehör geschenkt und Wertschätzung entgegengebracht werden. Dem übergriffigen Trainer werde mehr geglaubt als den Betroffenen. Es handele sich dabei nicht um Einzelfälle, sondern jedes Paar habe solche Erfahrungen gemacht.

Dazu sagt DTV-Sprecher Keller: &bdquo;Das geht nicht, und wir sind sensibilisiert.“ Der Verband habe beim Umgang mit interpersoneller Gewalt sowohl geschulte Männer als auch Frauen, die in solchen Fällen vertraulich angesprochen werden könnten. Auch seien bereits Fachtagungen dazu abgehalten worden. Was immerhin zeigt, dass es das Problem gibt. Es sei aber &bdquo;Pflichtprogramm für Trainer und Funktionäre, sich damit zu beschäftigen“.

Viele Sportler hätten in den vergangenen Jahren trotz ihrer Liebe zum Tanzen dem organisierten Sport den Rücken gekehrt, sagt die Bielefelderin. Dominik Stöckel ist nur einer von ihnen.

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