Magischer Eisbären-Moment: Gütersloherin auf spannender Mission in der Arktis unterwegs

Gütersloh. Noch ist die Arktis eine weite Landschaft aus Himmel, Meer und Eis. Studentin Lena Cardinahl aus Gütersloh hat dort gerade gelebt und geforscht. Denn das &bdquo;ewige Eis“ wird dünner. Welche Folgen hat das für das Klima und die Gesellschaft auf unserem Planeten? Das &bdquo;i2B Arctic Ocean“-Projekt will genau das herausfinden. Fünf Wochen lang hat die 26-Jährige deshalb als Teil einer internationalen Crew von Wissenschaftlern mit dem Forschungseisbrecher Kronprins Haakon die Polarregion bereist. Eine Expedition am Ende der Welt – zwischen Eisbär-Begegnung, Jahrtausende altem Schlamm und dem Genuss von exotischem Essen im T-Shirt.

Lena Cardinahl hat Schnupfen. Erst seit Kurzem ist sie zurück in Bremen, ihrer aktuellen Wahlheimat. Einen Tag ist die gebürtige Gütersloherin dort schon wieder ihrem Nebenjob nachgegangen, als Hilfskraft am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. &bdquo;Da habe ich mich direkt mal erkältet.“ Das würde man nun nicht vermuten von einer Frau, die gerade vom Nordpol kommt. &bdquo;Doch in der Arktis ist es gerade Spätsommer und gar nicht so kalt. Die niedrigste Temperatur, die wir während der Expedition hatten, lag bei minus sieben Grad.“

34 Tage lang verbringt die Gütersloherin mit 23 Kollegen aus aller Welt und fast der gleichen Anzahl an Bordpersonal auf der Kronprins Haakon. Der norwegische Eisbrecher, 100 Meter lang, 21 Meter breit, kann ein Meter dickes Packeis brechen. Ein einziges Mal verlassen sie den Kraftprotz, gekleidet in spezielle Eintauchanzüge, abgesichert durch eine Eisbärenwache mit Gewehr. Am Dienstag, 2. September, um kurz nach sechs, schlägt das Bord-GPS an bei 90 Grad, null Minuten, null Sekunden.

Fünf Wochen zu zweit auf zehn Quadratmetern Der Mittelpunkt der Reise ist erreicht – der nördlichste Punkt der Erde. &bdquo;Am Nordpol zu stehen und dort auf dem gefrorenen Meer zu laufen“, erinnert sich Lena Cardinahl, &bdquo;das ist atemberaubend.“Ein anderer magischer Moment ist die Begegnung mit einem Eisbären. &bdquo;So ein majestätisches Tier. Er ist minutenlang neben unserem Schiff her spaziert.“ Ebenso beeindruckt zeigt sich Lena Cardinahl vom Besuch der nördlichsten Siedlung der Welt, Ny-Ålesund auf Spitzbergen: &bdquo;Dort gibt es nur Forschungsstationen. Es ist spannend, zu sehen, wie die Wissenschaftler leben.“

Eine andere Siedlung auf Spitzbergen, Longyearbyen, ist Ausgangspunkt ihrer eigenen Expedition. Lena Cardinahls’ Leben an Bord spielt sich bei angenehm warmen 21 bis 23 Grad, &bdquo;meist im T-Shirt“ ab zwischen der Zwei-Personen-Kabine mit Stockbett, Nasszelle und TV-Gerät, dem Sportraum oder Aufenthaltsraum und Speisesaal. &bdquo;Zwei Köche haben uns drei Mahlzeiten pro Tag gekocht. Das war herrlich, inklusive Kuchen und Dessert, wie ein Buffet im Hotel. Mein Lieblingsgericht war das vegetarische Curry.“

Mit gutem Essen werden die Expeditionsteilnehmer bei Laune und Kräften gehalten, denn ihr Job verlangt ihnen in harten Zwölf-Stunden-Schichten vieles ab. Lena Cardinahls’ wissenschaftliche Arbeit passiert im Labor oder an Deck, mit Schutzhelm unter Kränen und Winden. Mit Maschinen wie dem Multicorer oder dem Kolbenlot geht es in die Tiefen des arktischen Ozeans. &bdquo;Wir haben mit Rohren hochauflösende Sedimentkerne aus dem Meeresboden gestanzt, je nach Standort in 300 bis 4.000 Metern Tiefe“, erklärt die Gütersloherin. Die Sammlung neuer geologischer Archive dient der Entschlüsselung der Erdgeschichte.

Neuer Wendepunkt? Was die Forscher mit ihrer Arbeit aufzeigen wollen &bdquo;Mit den Sedimentproben wollen wir Temperatur, Meereis-Bedingungen, Ozeanographie und das Ökosystem während der warmen Zeiträume vor etwa 130.000 und 400.000 Jahren rekonstruieren“, erklärt Lena Cardinahl. An der Oberfläche nimmt sie die einzelnen Proben. Der Schlamm aus der Tiefe wird gescannt und auf physikalische Parameter gemessen und für die Untersuchungen in Deutschland und Norwegen konserviert. &bdquo;Die Daten werden mit modernen Beobachtungen verglichen.“ Geklärt werden soll, wie die Arktis in vergangenen warmen Zeiten war, Zeiten in denen sie saisonal (also im Sommer) eisfrei war.

Steht die Erde am Rande eines neuen Wendepunkts? &bdquo;Über den Blick in die Vergangenheit sollen wichtige Rückschlüsse für die Zukunft gewonnen werden. Bestenfalls auch darüber, wie sich eine eisfreie Arktis konkret auf unseren Planeten auswirkt. Zukünftige Projektionen zeigen eisfreie Sommer der Meere vor 2050. Es muss gehandelt werden“, erklärt die Frau mit dem Hang zum Abenteuer in der Ferne. Im beschaulichen Gütersloher Stadtteil Spexard, wo sie aufgewachsen ist und ihre Eltern Oliver (56) und Susanne (55) heute noch wohnen, ist ihre Neigung zur Polarforschung bereits in jungen Jahren entbrannt.

&bdquo;Lustigerweise hat die Neue Westfälische etwas damit zu tun“, verrät Lena Cardinahl. Als ihr Vater ihr im Jahr 2009 einen Zeitungsartikel über die Forschungsstation &bdquo;Neumayer III“ zeigt, ist es um sie geschehen. &bdquo;Da wusste ich: Ich will Polarforscherin werden. Meine Freunde haben damals gedacht: Ach komm, lass sie mal erzählen“, sagt die Gütersloherin: &bdquo;Keiner hätte wirklich damit gerechnet, aber jetzt bin ich auf einem guten Weg.“

Forschungsprojekt wird mit 12,5 Millionen Euro gefördert Nach dem Abitur, 2018 an der Janusz Korczak-Gesamtschule, beginnt ihre Studienzeit an der Weser. Im September 2022 schafft die Gütersloherin ihren Bachelor der Geowissenschaften an der Uni Bremen – mit der besten Abschlussarbeit des Jahres. Aktuell bastelt Lena Cardinahl an ihrem Master in Marine Geoscience, den sie voraussichtlich im April 2026 abschließen wird. &bdquo;Dabei studiert man die Prozesse, die auf unserer Erde passieren und dadurch unser Klima und die Umwelt beeinflussen.“

Die jüngste ist bereits die zweite Schiffsexpedition der Gütersloherin, die schon zwischen Dezember 2022 und März 2023 in der Antarktis gewesen ist. Auch die aktuelle Forschungsreise ist ein teures Unterfangen. &bdquo;Sie ist Teil des internationalen Forschungsprojekts i2B Arctic Ocean, das über sechs Jahre mit insgesamt 12,5 Millionen Euro gefördert wird“, erzählt die Studentin. Finanziert wurde die Expedition durch den renommierten European Research Council Synergy Grant.

Die junge Polarforscherin aus Gütersloh hofft, dass sie und ihre wissenschaftlichen Kollegen mit ihrer Arbeit etwas bewegen können. Entscheiden müsse am Ende aber die Politik. &bdquo;Wir hoffen, dass wir Material gefunden haben, das Antworten liefern kann“, erklärt Lena Cardinahl. Bis dahin wird aber noch Zeit vergehen. Die Analyse von Hunderten von Metern Kernproben aus der Tiefe der Arktis wird Monate in Anspruch nehmen.

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