„Ungerecht“: Wachsender Unmut in OWL über die neue Aktivrente

Düsseldorf. In OWL scheiden in den nächsten fünf Jahren rund 110.000 Beschäftigte altersmäßig aus dem Beruf aus, weil sie das gesetzliche Rentenalter erreichen. Wenn sie aber weiterarbeiten wollen, können sie künftig bis zu 2.000 Euro brutto im Monat steuerfrei dazuverdienen. Möglich macht das die Aktivrente, die ab 2026 eingeführt wird. Was nach einer guten Nachricht klingt, stößt in der Region zunehmend auf Kritik.

Für Handwerker werde das Modell als Art &bdquo;Rente mit 70“ nicht funktionieren, da es in der Branche nach wie vor viele &bdquo;körperlich belastende“ Berufe gebe, teilt die Handwerkskammer in NRW mit. Viele Handwerker seien körperlich gar nicht in der Lage, länger zu arbeiten.

Auch führe die Aktivrente zu einem Gefühl der Ungerechtigkeit. &bdquo;Zu uns kommen Handwerksunternehmer, die eh länger arbeiten müssen, weil sie zum Beispiel keinen Nachfolger finden. Die hätten auch gern 2.000 Euro steuerfrei im Monat“, sagt Jürgen Sievert, Präsident des Steuerberatervereins NRW. Für Selbstständige, Freiberufler, Minijobber, Beamte und Landwirte gilt die Aktivrente nicht. Das sei nicht nur ungerecht, sondern auch ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, so Sievert.

Andere Branchen empfinden das Modell als ungerecht &bdquo;Alle Tätigkeiten müssen gleich versteuert werden. Das ist hier nicht der Fall und deshalb wird die Aktivrente sicher auf dem Wege einer Verfassungsklage angegriffen“, glaubt der Steuerfachmann. &bdquo;Ich denke, das Modell wird am Ende gerichtlich gekippt.“

Im Kreise der Steuerberater sei die Aktivrente aktuell ein &bdquo;riesiges Thema“, sagt die Detmolder Steuerberaterin Sonja Wehning-Jahn. &bdquo;Ich finde die Idee sensationell, aber ich kann nicht verstehen, warum sie nur für sozialversicherungspflichtig Angestellte gelten soll.“ Auch Ärzte und Anwälte würden sich aktuell melden und nachfragen, warum das Modell nicht für sie gelte.

Skeptisch äußert sich auch der Unternehmerverband in NRW. Es sei &bdquo;widersinnig“, auf der einen Seite das frühzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben mit einer &bdquo;abschlagsfreien Frührente“ zu ermöglichen und auf der anderen Seite nun das Weiterarbeiten nach Renteneintritt mit steuerlichen Anreizen zu fördern, sagt Hauptgeschäftsführer Johannes Pöttering.

Pflege: Ruhestand muss wirklich Ruhestand sein Klar sei auch, dass die Aktivrente weder zusätzliche Rentenbeiträge noch geringere Rentenansprüche zur Folge habe. Damit werde sie keinen Beitrag leisten, um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern. Die Handwerkskammer regt an, dass Arbeitnehmer erst nach 45 Jahren Berufstätigkeit die &bdquo;vollen Rentenansprüche“ erwerben sollten. Das sei gerechter. &bdquo;Wer früher im Leben in den Arbeitsmarkt gekommen ist, kann dann auch früher seinen wohlverdienten Ruhestand genießen.“ Auch die Pflegekammer NRW äußert sich &bdquo;kritisch“. Pflege sei Schwerstarbeit und sollte auch als solche anerkannt werden. &bdquo;Ein Ruhestand muss tatsächlich Ruhestand bedeuten.“

Man befürworte aber Modelle, die es ermöglichten, dass bereits berentete Kolleginnen und Kollegen ihr Wissen und ihre Erfahrung auf andere Weise einbringen könnten – beispielsweise als Mentoren, Trainingspartner oder in beratenden Funktionen für junge oder internationale Pflegefachpersonen.

Die Bundesregierung reagiert mit der Aktivrente unter anderem auf den Fachkräftemangel, vor allem im Handwerk, der Pflege und Bildung. Das Modell ist zunächst bewusst als Pilotprojekt angelegt. Nach zweijähriger Laufzeit beginnt eine Evaluierungsphase, die analysieren soll, ob durch das Modell tatsächlich mehr Menschen zum Weiterarbeiten motiviert werden.

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