Gravierender Mangel an Therapieplätzen für Systemsprenger in NRW

Bielefeld/Düsseldorf. Minderjährige Systemsprenger ab 12 Jahren haben in NRW kaum eine Chance, einen Therapieplatz zu erhalten. Als &bdquo;dauerhaftes und flächendeckendes Problem“ bezeichnet die nordrhein-westfälische Landesregierung die Situation. In NRW stehen derzeit nach Angaben der Regierung lediglich 66 Plätze zur geschlossenen Unterbringung im Bereich der Jugendhilfe zur Verfügung – allerdings ohne angedockte Therapieplätze.

Wozu die Missstände führen können, erlebte die Region OWL im Sommer dieses Jahres. Eine 13-Jährige hatte mit einem Messer in einer Klinik auf ihre Betreuerin eingestochen. Zuvor war das Mädchen von 50 Einrichtungen abgelehnt worden, weil sie als gefährlich galt.

Doch nicht nur minderjährige Gewalttäter sind von dem Mangel an Therapieplätzen betroffen, sondern auch drogenabhängige Jugendliche, Schulverweigerer, Jugendliche mit Störungsbildern, die mit sexualisierter Gewalt einhergehen und an Autismus leidende Kinder und Jugendliche. &bdquo;Die jeweiligen – teils auch durch das geringe Platzangebot bedingten – engen Aufnahmekriterien oder hohen Zugangsvoraussetzungen verhindern häufig, einen Platz für besonders gefährdete und uneinsichtige Jugendliche mit ausgeprägter dissozialer Persönlichkeitsentwicklung zu finden“, so die Landesregierung in der Antwort auf eine Anfrage der NRW-SPD.

Missstände sind dem Land NRW bereits seit 2018 bekannt Während in kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken meist ausreichend Kurzzeitplätze für Akutfälle vorhanden seien, fehle es an längerfristig ausgerichteten Kliniken. Von 16 Bundesländern halten lediglich NRW, Baden-Württemberg und Bayern in nennenswertem Umfang Plätze zur geschlossenen Unterbringung vor. Diese Länder müssen dann auch Jugendliche aus anderen Bundesländern aufnehmen.

Nach Recherchen dieser Redaktion sind die Missstände den jeweiligen Landesregierungen in NRW bereits seit Jahren bekannt. So teilte das Amtsgericht Bielefeld mit, dass es hierzu bereits 2018 eine Abfrage des Justizministeriums NRW gegeben habe und &bdquo;dass hiesige Familienrichter von einem gravierenden Mangel an geeigneten geschlossenen Unterbringungsplätzen für Minderjährige berichtet hätten“.

Das Justizministerium NRW gab daraufhin an, man habe die Problematik &bdquo;mehrfach gegenüber den zuständigen Ressorts thematisiert und darauf gedrungen, weitere Kapazitäten zu schaffen.“ Das ist nicht geschehen. So antwortete das Familienministerium NRW dieser Redaktion bereits im Februar 2025: &bdquo;Seit 2018 wurden keine weiteren Plätze zur geschlossenen Unterbringung von Minderjährigen in NRW geschaffen.“ Einen derartigen Auftrag formuliere das Sozialgesetzbuch nicht. &bdquo;Weder dem Land noch den Landesjugendämtern Rheinland und Westfalen-Lippe obliegt ein Sicherstellungsauftrag, Plätze für eine geschlossene Unterbringung bereitzustellen.“ Dies sei im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung Aufgabe der Jugendämter.

Große Einrichtung in NRW muss zwei von drei Anfragen ablehnen Das NRW-Gesundheitsministerium hat nach eigenen Angaben aufgrund des stark erhöhten Bedarfs die Prognose für die stationäre und teilstationäre psychiatrische und psychosomatisch Versorgung im Krankenhausplan korrigiert. &bdquo;Die Kliniken können daher seit diesem Jahr bis zu 20 Prozent mehr Behandlungen durchführen.“ Für 2026 sei eine neue Bedarfsprognose geplant.

Dass die Angebote vorn und hinten nicht reichen, erlebt Jörg Marquardt jeden Tag. Er ist Geschäftsführer der Kinder- und Jugendhilfen GmbH der Diakonie Michaelshoven in Köln, einer der größten Einrichtungen in NRW. Dort gibt es auch die begehrten Plätze zur geschlossenen Unterbringung und zur Intensivunterbringung. Rund 50 Anfragen von Jugendämtern hat Marquardt pro Woche, zwei von drei muss er ablehnen. &bdquo;Wir müssten uns hier verdreifachen, um alle unterbringen zu können“, sagte er dieser Redaktion bereits im Oktober 2024. Seit Jahren steige der Bedarf stetig an. 2018 verzeichnete die Einrichtung 587 Anfragen, 2021 waren es bereits 1.004, 2023 schon 1.553. &bdquo;Und 2024 waren wir zur Jahreshälfte bei 1.788.“

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