Berlin/Bielefeld. Jedes Jahr erkranken allein in Deutschland 57.000 Menschen neu an Lungenkrebs. Oft wird die bösartige Erkrankung jedoch erst spät erkannt und kann nicht mehr effizient behandelt werden. Um das zu ändern, startet ab April 2026 ein neues Früherkennungsprogramm. Die Lungenkrebsfrüherkennung mittels Niedrigdosis-CT wird für starke Raucher und ehemalige Raucher als neue jährliche Untersuchung Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Welche Leistungen die Krankenkassen übernehmen müssen, bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) als oberstes Entscheidungsgremium im deutschen Gesundheitswesen. Studien zeigen nach Angaben von GBA-Mitglied Bernhard van Treeck, dass der Nutzen des Niedrigdosis-CT für Raucher den Schaden überwiegt. „Lungenkrebs wird meistens durch langjähriges und starkes Rauchen von Zigaretten verursacht.“ Bei etwa neun von zehn erkrankten Männern und bei mindestens sechs von zehn erkrankten Frauen sei Lungenkrebs auf aktives Rauchen zurückzuführen, sagt van Treeck. In der aktuellen Diskussion um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung und steigenden Kosten im Gesundheitssystem sieht der GBA Anhaltspunkte für die Wirtschaftlichkeit des Programms, weil Krebs, der früh entdeckt wird, kostengünstiger behandelt werden kann, als Krebs, der spät entdeckt wird. Kritiker verweisen jedoch auf unverhältnismäßig hohe Kosten. „Die Gelder könnten für Präventivmaßnahmen genutzt werden, die deutlich kosteneffektiver die Mortalität und Morbidität durch Tabakkonsum senken könnten“, moniert der Pneumologe Markus Weinmüller in einer Stellungnahme an den GBA. Antworten auf die wichtigsten Fragen: Welchen Nutzen bietet die Früherkennung? Nach Angaben des GBA sterben ohne das Früherkennungsprogramm 23 von 1.000 Menschen an Lungenkrebs und mit dem Programm 18 von 1.000. So könne das Screening fünf von 1.000 Menschen davor bewahren, innerhalb von zehn Jahren an Lungenkrebs zu versterben. Dadurch steigt laut GBA jedoch auch das Risiko für Überdiagnosen: Von 1.000 Menschen erhalten sieben eine Überdiagnose. Nach Angaben des GBA liegt die relative Reduktion der Lungenkrebssterblichkeit durch das Programm bei 20 Prozent. Demgegenüber steht das Strahlenrisiko. Das Bundesamt für Strahlenschutz schätzt das Risiko bei jährlichen Screenings in der verbleibenden Lebenszeit an Krebs zu erkranken auf 0,25 Prozent bei Frauen und 0,1 Prozent bei Männern. „Das Nutzen-Risiko-Verhältnis spricht für die Früherkennung“, sagt van Treeck. Wer kann an der Früherkennung teilnehmen? Anspruch haben nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gesetzliche Krankenversicherte im Alter von 50 bis 75 Jahre, die mindestens 25 Jahre geraucht haben – wobei der Zigarettenkonsum noch andauert oder vor weniger als zehn Jahren beendet wurde. Der Umfang müsse mindestens 15 Packungsjahre ergeben. Die Zahl lässt sich ermitteln, wenn man die pro Tag gerauchten Zigarettenpackungen mit der Zahl der Raucherjahre multipliziert. Geprüft wird der Anspruch von Allgemeinmedizinern, Internisten und Arbeitsmedizinern mit einer entsprechenden Weiterbildung. „Die Hausärzte sind darauf vorbereitet. Wir kennen unsere Patienten und werden sie auf das Angebot aufmerksam machen, wie schon bei anderen Programmen“, erklärt Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe. Für privat Krankenversicherte gilt das Angebot bislang nicht. „Privatversicherte können die Früherkennungsuntersuchung aber in Anspruch nehmen, wenn sie die Kosten selber tragen“, erklärt Thorsten Kaatze, Geschäftsführer des evangelischen Klinikums Bethels (EvKB). „Die Kosten liegen bei etwa 293 Euro.“ Wie läuft die Früherkennung ab? 1. Allgemeinmediziner, Internisten und Arbeitsmediziner mit entsprechender Weiterbildung prüfen, ob ihre Patienten Anspruch haben. 2. Liegen die Voraussetzungen vor, erhalten Patienten eine Überweisung zur Radiologie. Der Radiologe klärt über die Untersuchung auf und wertet die CT-Aufnahme aus. 3. Gibt es keine Auffälligkeiten, erhält der Versicherte einen Befundbericht. Die nächste Untersuchung ist nach zwölf Monaten möglich. 4. Bei Auffälligkeiten, veranlasst der Radiologe einen zweiten Befund. 5. Besteht nach gemeinsamer Beurteilung ein kontrollbedürftiger Befund ohne Krankheitsverdacht, wird dem Versicherten die nächste Untersuchung bereits vor Ablauf von zwölf Monaten empfohlen. Besteht ein abklärungsbedürftiger Befund mit Krankheitsverdacht, folgt die klinische Abklärung, zum Beispiel mit einer Probenentnahme. Welche Zentren dürfen die Untersuchung anbieten? Radiologen müssen nach Angaben der KBV für die Teilnahme an dem Programm sowie für erste und zweite Befunde bestimmte Voraussetzungen erfüllen. „Sie müssen eine Fortbildung zur Lungenkrebsfrüherkennung absolviert und im Jahr vor dem Screening mindestens 200 Thorax-CTs durchgeführt haben“, erklärt ein Sprecher „Im ersten Jahr müssen sie dann mindestens 100 Lungenkrebsfrüherkennungen mittels Niedrigdosis-CT durchführen, im zweiten mindestens 200 und die Aufnahmen mit Unterstützung einer KI-Software beurteilen.“ Ist der Befund kontroll- oder abklärungsbedürftig, muss laut KBV ein Radiologe zur Mitbeurteilung für einen zweiten Befund hinzugezogen werden, der in einem auf Lungenkrebs spezialisierten Zentrum tätig ist. „Erst- und Zweitbefunder müssen dann gemeinsamen zu einem einheitlichen Ergebnis kommen und eine Empfehlung für weitere Kontrolle oder Abklärung abgeben“, erklärt der Sprecher. Wo können sich Patienten in OWL untersuchen lassen? Die Zentren benötigen Genehmigungen des Landesamtes für Gesundheit und Arbeitsschutz NRW. Die erste Zulassung für die Nutzung von drei CT hat das ostwestfälische Lungenkrebszentrum des EvKB und des Klinikums Gütersloh am Standort in Bielefeld erhalten. Weitere Zulassungen werden nach Angaben des Landesamtes folgen. „Stellt sich bei der Untersuchung heraus, dass ein Verdacht auf Lungenkrebs besteht, können sich Patienten im EvKB weiter behandeln lassen, weil wir auf Lungenkrebs spezialisiert sind und die Zulassung für Erst- und Zweitbefunde und die danach anschließende Behandlung haben“, erklärt Günther Wittenberg, Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie im EvKB. „In der Praxis bedeutet das für unsere Patienten, dass wir als Team interdisziplinär zusammenarbeiten, um für jeden die bestmögliche Therapie zu finden.“ Wo können sich Patienten mit Lungenkrebs in OWL behandeln lassen? Die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) empfiehlt bei allen Krebsarten, dass sich Betroffene in zertifizierten Zentren behandeln lassen. Eine Studie, die auf Daten der AOK und regionaler Krebsregister basiert, zeigt, dass die Sterblichkeitsrate bei Patienten, die in von der DKG zertifizierten Zentren behandelt werden, niedriger ist als bei Patienten in nicht zertifizierten Kliniken. In OWL hat die DKG neben dem Lungenkrebszentrum Bielefeld/Gütersloh auch das Lungenkrebszentrum des Klinikums Lippe und des christlichen Klinikums Paderborn zertifiziert. Welche Symptome können auf Lungenkrebs hindeuten? Bei Husten, der neu auftritt und länger als drei Wochen andauert, Veränderungen eines chronischen Raucherhustens oder blutigem Auswurf beim Husten, rät Philipp Lepper, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin des EvKB, dringend zu einer Abklärung beim Pneumologen. „Das gilt für Raucher und Passivraucher ebenso wie für alle anderen Menschen, denn auch Nichtraucher können an Lungenkrebs erkranken.“ Grundsätzlich gelte: „Je früher die Diagnose, desto besser die Prognose.“Haben Patienten Schwierigkeiten, einen Termin beim Pneumologen zu bekommen, kann nach Angaben Leppers die Hochschulambulanz des EvKB helfen. „Grundsätzlich ist bei Beschwerden der Hausarzt der erste Ansprechpartner, der zum Pneumologen überweist. Bei Schwierigkeiten können wir aber helfen.“