Minden. Es beginnt mit einem Sprung ins schwarze, kalte Nichts. Das Wasser des norwegischen Fjords hat zwölf magere Grad, als Susanne Becker um fünf Uhr morgens von der Fähre springt. 239 Menschen tun es ihr gleich. Die Kälte ist furchtbar, ihre Finger werden taub. "Man hört Flüche in 40 Landessprachen", sagt Becker. "Es war die pure Freude."
Triathleten an sich sind Teil einer elitären Gruppe: 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und anschließend ein Marathon verlangen nach hoher Leidensfähigkeit. Nicht umsonst nennen sie sich Ironmen, zu deutsch Eisenmänner. Doch die Teilnehmer des Norseman toppen diese Leistung noch, denn nach dem Schwimmen geht es ausschließlich bergauf. Das Ziel ist der Gipfel des Gaustatoppen, 1.850 Meter über dem Meeresspiegel.
Wer tut sich so etwas an? Menschen wie Susanne Becker (43) polarisieren: Die einen wenden sich kopfschüttelnd ab und empfehlen ein Gespräch beim Psychiater, andere bekommen Gänsehaut und machen erste Trainingspläne im Kopf. Auf diesem Level existiert keine Grauzone mehr. "Okay, wir sind schon alle etwas verrückt", gibt Becker zu.
Jeder Athlet muss einen Unterstützer mitbringen
Im Video des Norseman 2012 sieht man all diese Verrückten, wie sie strahlen, wie sie leiden und vom Privileg sprechen, dort an den Start gehen zu dürfen. "Der Sprung in den Fjord war einer der magischsten Momente überhaupt", sagt Becker mit leuchtenden Augen.
Der Wettkampf ist auch deswegen besonders, weil jeder Athlet einen Supporter, einen Unterstützer, mitbringen muss. Ab dem Zeitpunkt, an dem der Athlet aus dem Wasser steigt, ist der Supporter immer in der Nähe: Um beim Umziehen zu helfen, Essen zu reichen, anzutreiben. Bei Susanne Becker ist das Gabi Dettmer, Physiotherapeutin und sportlich ebenfalls extrem veranlagt. "Triathlon ist eigentlich eine Einzelsportart", sagt Becker. Beim Norseman kann man den Erfolg jedoch teilen. "Wir haben das geschafft", sagt Becker ganz bewusst.
Ein Jahr lang hat sich die examinierte Krankenschwester auf den Wettkampf vorbereitet. Wobei dieser Zeitraum ins Verhältnis gesetzt werden muss. Becker macht seit 20 Jahren Triathlon. Wer den Blick hat, bemerkt sofort ihre wohlgeformten Wadenmuskeln, die erst nach hunderten Radkilometern so aussehen. Die sehnigen Arme, die Rumpfmuskulatur - alles an Becker ist Ausdauer pur.
Kraulend durchs Steinhuder Meer und zurück
In der Szene wird so jemand Bergziege genannt. "Je steiler, desto besser", sagt sie. Passend zur Veranstaltung, gestaltete Becker auch das Training extrem. "Mut zur Lücke geht beim Norseman nicht." Also stieg sie im März mit Neoprenanzug ins Steinhuder Meer, durchquerte es kraulend und schwamm denselben Weg wieder zurück. Gabi Dettmer begleitete sie.
In diesem Zusammenhang mutet es fast schon grotesk an, dass Becker vor dem 4,50 Meter Sprung von der Fähre Bedenken hatte. "Ich kann mit Höhen nicht so gut umgehen." Im Schwimmbad zwang sie sich, vom Fünf-Meter-Brett zu springen. So lange, bis es kein Problem mehr war.
Die Teilnahme am Norseman war jedoch nur möglich, weil ihre Familie und die Kollegen im Johannes Wesling Klinikum mitspielten. "Alle haben ein Jahr um mich herum geplant. Das ist nicht selbstverständlich. Ich bin immer noch tief bewegt."
INFO: Norseman
- Der Norseman gilt als der härteste Langstrecken-Triathlon der Welt.
- Die Teilnehmerzahl ist auf 240 Athleten begrenzt.
- Es bewerben sich rund 3.000 Menschen, die per Losverfahren ausgewählt werden.
- Rund 55 Prozent der Teilnehmer sind Norweger.
- 15 Prozent aller Starter sind Frauen.
- Nur die ersten 160 Athleten werden zum finalen Aufstieg auf den Gipfel zugelassen.
- Susanne Becker benötigte 14 Stunden, 22 Minuten bis zum Ziel.
- Sie war die sechstbeste Frau im Feld ("Ich hatte einen Sahnetag.").
- Einziger Preis ist ein schwarzes Funktionsshirt.