Bielefeld/Darmstadt. Fünf Jahre lang hat der Studienrat Horst Arnold zu Unrecht in einem hessischen Gefängnis gesessen. Er sollte eine Kollegin vergewaltigt haben. Das Urteil war ein Justizirrtum. Wie sich Jahre später im Wiederaufnahmeverfahren herausstellte, hatte Heidi K. (48), die einzige Belastungszeugin, die Vergewaltigung frei erfunden. Ab Donnerstag steht sie in Darmstadt vor Gericht.
Arnold kann nicht mehr aussagen - er ist im letzten Jahr im Alter von 53 Jahren an Herzversagen gestorben. Die Anklage gegen Heidi K. lautet auf Freiheitsberaubung. Die Angeklagte, die in Hessen, aber zuletzt auch an einem Gymnasium in Bielefeld unterrichtet hatte, lebt jetzt in Bad Rothenfelde (Niedersachsen). Sie wurde nach langem Hickhack vorläufig aus dem Dienst entfernt, ihre Bezüge um die Hälfte gekürzt. Nun drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft.
Annähernd 50 Zeugen seien geladen und sechs Verhandlungstage vorläufig terminiert, sagte Christa Pfannenschmidt, Sprecherin des Darmstädter Landgerichts, dieser Zeitung. Pfannenschmidt spricht von einem "tragischen Fall". Das ist wohl noch untertrieben. Schließlich ist auch der Ruf des Darmstädter Landgerichts durch die Ereignisse bereits beschädigt. Staatsanwaltschaft und oberste Landesbehörden haben sich ebenfalls wenig rühmlich verhalten.
Horst Arnold war Lehrer für Biologie und Sport. Er hatte an der Gesamtschule Reichelsheim im Odenwald unterrichtet. Im Jahr 2001 behauptete seine Kollegin Heidi K., sie sei von Arnold während einer Pause in einem Klassenraum vergewaltigt worden – bei offenen Fenstern. Zeugen gab es nicht. Obwohl die Beweislage äußerst dünn war, schenkte das Landgericht Darmstadt Heidi K. Glauben und verurteilte Arnold, der immer wieder seine Unschuld beteuert hatte, 2002 zu fünf Jahren Haft. Die verbüßte er vollständig.
Eine Frauenbeauftragte in Hessen schöpfte Verdacht, weil K. auf ihren diversen Arbeitsstellen häufig die Unwahrheit erzählt und Geschichten nachweislich erfunden hatte. Der Bruder der Frauenbeauftragten, der Berliner Anwalt Hartmut Lierow, brachte schließlich das Wiederaufnahmeverfahren in Gang. Es endete im Sommer 2011 am Landgericht Kassel mit einem Freispruch für Horst Arnold wegen erwiesener Unschuld.
Arnold aber war ein gebrochener Mann. Er fand keine Arbeit mehr und musste von Hartz IV leben. Das hessische Schulministerium bestand darauf, dass er sich für den Schuldienst neu bewerben müsse – wie jeder andere auch. Haftentschädigung in Höhe von 25 Euro pro Tag hat Arnold nie erhalten. "Das Geld habe ich erst im Dezember 2012 bekommen. Da war mein Vater schon ein halbes Jahr tot", sagte Arnolds Tochter Christine (23) nun in einem Iinterview.
Die Studentin möchte beim Prozess gegen Heidi K. dabei sein, aber einen Platz könne man ihr aus formalen Gründen "nicht zusichern", so die Gerichtssprecherin. Für Heidi K. gelte die Unschuldsvermutung, das Landgericht sei an das Urteil aus Kassel nicht gebunden.
Rechtsanwalt Lierow glaubt, dass sich K. in Schweigen hüllen wird. "Das hat sie im Wiederaufnahmeverfahren auch getan." Lierow ist der Überzeugung, dass Heidi K. schuldfähig ist. "Ihr Handeln war immer sehr gezielt und von Nützlichkeitserwägungen getragen." Durch die Denunziation gegen Arnold habe K. offenbar dessen Stelle ergattern wollen.
Heidi K. wird vom Dissener Rechtsanwalt Torsten R. verteidigt. Er ließ Anfragen unbeantwortet. Anders die Staatsanwaltschaft Münster. Ihr Sprecher, Oberstaatsanwalt Heribert Beck, bestätigte auf Anfrage dieser Zeitung, dass gegen Torsten R. wegen versuchter Strafvereitelung ermittelt wird. R. soll als Pflichtverteidiger in einem Steuerhinterziehungsverfahren vor der 12. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Münster einem Zeugen Geld für eine Falschaussage geboten haben. Die Ermittlungen stünden "kurz vor dem Abschluss", sagte Beck.