
Herford. "Wir wollen keine Behinderten (z. B. Mongos, Spastis, Rollis usw.) in unserer Nachbarschaft!!!" Flugblätter mit dieser Aufschrift klebten in den vergangenen Tagen am Gebäude Rennstraße 20 – 24 in Herford und in der näheren Umgebung. Darunter steht: "die Anwohner der Strassen Johannisstrasse, Rennstrasse, Renntorwallstrasse und Lessingstrasse".
Hintergrund der Aktion sind die Pläne der Herforder Lebenshilfe, die im ehemaligen Gebäude von Foto Ilsemann eine Einrichtung plant. Der Vorstandsvorsitzenden der Lebenshilfe, Bärbel Zuhl, sind die Pamphlete erstmals vor knapp zwei Wochen untergekommen.
"Eine Anwohnerin hatte den Zettel an dem Gebäude gefunden, abgerissen und ihn mir gegeben", erzählt sie. Sie habe das Papier zerknüllt und weggeworfen. "Ich wollte das nicht an die große Glocke hängen und diesen Leuten dadurch womöglich noch Aufwind geben", erklärt sie ihre erste Reaktion.
In der Folgezeit seien dann aber noch weitere Zettel aufgetaucht. "Mittlerweile sind schon besorgte Anwohner an mich herangetreten, die mir in aller Deutlichkeit sagen wollten, dass sie sich von der Botschaft distanzieren und dass wir an der Rennstraße herzlich willkommen sind." Zuhl freut sich sehr über diese Art der Solidaritätsbekundung.
Eine Anwohnerin der Johannisstraße – sie möchte aus Angst lieber anonym bleiben – hat bereits mehrere Zettel entfernt, gestern Morgen den bislang letzten. Für die tatsächlichen Urheber der Flugblätter hat sie keinerlei Verständnis. "Die sollen froh sein, dass sie selbst keine behinderten Kinder haben", empört sie sich und schüttelt den Kopf.
"Wir freuen uns jedenfalls darüber, dass die Lebenshilfe hierher kommt."
In dem künftigen "Lebenshilfe-Center" sollen Räume für Vorträge, Kurse und Feiern entstehen. Ein Büro und verschiedene große und kleine Wohnbereiche in den oberen Stockwerken sind ebenfalls geplant. Baubeginn ist im Frühjahr kommenden Jahres.
Kommentar
Von Meiko Haselhorst
Kaum sind die Hansetage mit all ihrer Toleranz und Weltoffenheit vorbei, da tauchen an Rennstraße und Umgebung Flugblätter auf, die sich gegen eine Einrichtung für Behinderte aussprechen.
Hat Herford jetzt ein weiteres Toleranzproblem? Nicht wirklich. Dass es sich bei den Urhebern nicht um die Anwohner der aufgelisteten Straßen handelt, ist klar. Vielmehr werden hier ein oder zwei Einzeltäter am Werk sein. Ewig gestrige, menschenverachtende Zeitgenossen, wie es sie leider immer wieder und allerorten gibt.
Lange haben wir in der Redaktion überlegt, ob wir den Verfassern über die NW überhaupt ein Forum geben sollen. Wir haben uns dafür entschieden – erstens wollen wir den Herrschaften einen Denkzettel verpassen, zweitens möchten wir klarstellen, dass es sich nicht um die Bewohner von Johannisstraße, Rennstraße, Renntorwallstraße und Lessingstraße handelt.
Die zeigen sich nicht nur solidarisch mit der Lebenshilfe – sie hätten im Gegensatz zu den Verfassern vermutlich auch die Namen ihrer eigenen Straße richtig geschrieben.