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„Blue Prince“ im Test: Dieses Spiel wird Sie paranoid machen

Jan-Henrik Gerdener

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Jeder noch so kleine Hinweis in "Blue Prince" kann entscheidend sein. - © Raw Fury/Dogubomb
Jeder noch so kleine Hinweis in "Blue Prince" kann entscheidend sein. (© Raw Fury/Dogubomb)

Wie sehr „Blue Prince“ mich in seine Welt gesogen hatte, merkte ich spätestens, als ich bei meiner täglichen Vorabendserie instinktiv zum Smartphone griff. Auf dem Fernsehbildschirm hatte eine Schauspielerin gerade die Uhrzeit für ein Treffen auf einen Notizzettel geschrieben. Als die Kamera die Zahlen in Nahaufnahme zeigte, drängte mich mein Gehirn automatisch dazu, mit der Handykamera einen Screenshot von dem vermeintlichen „Zahlencode“ zu machen.

Der Puzzle-Überraschungshit „Blue Prince“ bringt viele solcher Momente – im Spiel und außerhalb – mit sich. Er macht gleichermaßen süchtig und paranoid.

Worum geht’s in „Blue Prince“?

Wir spielen den 14-jährigen Simon P. Jones. Der hat von seinem mysteriösen Onkel Herbert S. Sinclair den ebenso geheimnisvollen Mount Holly Estate geerbt, eine ausschweifende Villa im Cel-Shading-Look. Der Haken an der Sache: Das Erbe wird nur dann rechtskräftig, wenn wir den 46. Raum in der Villa finden.

Nach einer kurzen Videosequenz, die diese Prämisse atmosphärisch darstellt, stehen wir schon in der Eingangshalle. Aus Norden, Westen und Osten blicken uns drei verschlossene Türen entgegen. Und damit sind wir auch schon bei der einfachen, aber einzigartigen zentralen Spielmechanik von „Blue Prince“: Wann immer wir eine Tür öffnen, gibt uns das Spiel drei mögliche Räume zur Auswahl, die dahinter liegen. Dann gibt es keinen Weg mehr zurück, und wir müssen uns permanent für einen der Räume entscheiden. Schritt für Schritt füllen wir so eine 5x9-Blaupause des Hauses aus. So müssen wir den Weg bis ans andere Ende finden, wo mutmaßlich Raum 46 auf uns wartet.

Jetzt gibt es kein Zurück mehr: Wir müssen uns für einen der drei Räume entscheiden. - © Raw Fury/Dogubomb
Jetzt gibt es kein Zurück mehr: Wir müssen uns für einen der drei Räume entscheiden. (© Raw Fury/Dogubomb)

Allerdings müssen wir dabei einige Dinge im Blick behalten. Nicht jeder Raum hat gleich viele Türen. Manche Räume sind großzügig und führen in jede Himmelsrichtung weiter. Andere geben uns nur zwei oder eine weitere Tür. Viele enden in einer Sackgasse.

Wir haben auch nur 50 Schritte zur Verfügung. Zwar kann man die Räume beliebig lange durchsuchen. Doch sobald wir eine Tür durchqueren, verlieren wir einen Schritt. Zusätzlich müssen wir im Auge behalten, wie viele Schlüssel und Juwelen wir haben. Denn je weiter wir in der Villa kommen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich Türen nur mit Schlüsseln öffnen lassen. Und die besten Räume kosten uns Juwelen.

So ist es kein Wunder, dass wir überraschend schnell in einer Sackgasse stecken, weil uns eine oder mehrere dieser Ressourcen ausgehen. Doch keine Sorge: Damit endet nicht das Spiel, sondern nur ein einzelner Tag in der Welt von „Blue Prince“. Wir können jederzeit den Tag beenden und von vorne starten. Über Nacht wechseln dann aber nicht nur alle Räume wieder ihre Position, wir verlieren auch alle Items, die wir bis dahin gesammelt haben.

Was hat uns gefallen?

Hätte „Blue Prince“ nur diese zentrale „Drafting“-Spielmechanik, wäre es ein absolut solides Mobile-Game. Es ist herausfordernd, zu versuchen, sich einen möglichst effektiven Weg durch den Mount Holly Estate zu bahnen. Die Tage im Spiel sind angenehm kurz, sodass man direkt wieder versucht ist, es „nur noch einmal“ zu probieren. Es ist ein unglaublich befriedigender Gameplay-Loop – der aber nur die Grundlage für all das ist, was „Blue Prince“ mit seinen Spielerinnen und Spielern vorhat.

Denn „Blue Prince“ ist nicht nur ein Puzzle, sondern vor allem ein Rätselspiel. Alle Räume sind voller versteckter Hinweise, Briefe, Schalter, Belohnungen und mehr. Manches ist offensichtlich. So gibt es im Billardraum jeden Tag ein neues Matherätsel. Manchmal gibt es in einem Raum Hinweise, wie sich eine Tür in einem anderen Raum öffnen lässt. Und dann sind da die Hinweise, die einen schon nach wenigen Spielstunden eigene Verschwörungstheorien ausformulieren lassen. Was bedeuten all die Gemälde in den Räumen? Warum sind in dem einen Raum so viele Uhren? Ist das Datum auf diesem Brief wichtig? Haben wir dieses Symbol nicht schon mal gesehen? Sind manche Hinweise eventuell gelogen?

Wir starten jeden Tag in der Eingangshalle. - © Raw Fury/Dogubomb
Wir starten jeden Tag in der Eingangshalle. (© Raw Fury/Dogubomb)

Das Beste: Für die allermeisten dieser Fragen hat „Blue Prince“ Antworten. Wer aufmerksam seine Umgebung beobachtet, findet bei so ziemlich jedem Durchlauf etwas Neues, das ihn ein Stück weiter bringt. So umgeht „Blue Prince“ auch das größte Problem von Puzzle-Spielen und Point-and-Click-Adventures: Es gibt kein Rätsel im Spiel, das uns mit einer Vollbremsung in unserer Erkundung stoppt. Können wir ein Rätsel nicht lösen, gehen wir einfach weiter und versuchen unser Glück im nächsten Raum. Vielleicht lauert da ja ein weiterer Hinweis. Oder ein weiteres Stück der Hintergrundgeschichte. So machen wir immer ein bisschen Fortschritt. Vielleicht schalten wir sogar eine mächtige Belohnung frei, die uns einen dauerhaften Bonus beschert.

Die großen Aha-Momente in „Blue Prince“ sind somit befriedigender als in 90 Prozent der Genre-Konkurrenz. Die kleinen und großen Entdeckungen belohnen für die Stunden an Sucherei und Gedankenschmalz. Es gibt wenig, was sich besser anfühlt, als wenn ein Gartentor auf einmal unerwartet für den Rest des Spiels geöffnet wird.

Was hat uns nicht gefallen?

Das größte Problem, das andere Rezensenten an „Blue Prince“ finden können, ist die große Rolle des Zufalls in dem Spiel. Wir können noch so gut vorbereitet sein und kurz vor dem Ziel stehen – wenn wir Pech haben, macht uns eine suboptimale Auswahl an Räumen alles wieder zunichte. Das lässt sich schwer leugnen.

Wer „Blue Prince“ aber nur mit einem konkreten Ziel spielt, spielt es unserer Meinung nach falsch. „Blue Prince“ will, dass wir den Mount Holly Estate entdecken, nicht dass wir Item A mit Schloss B kombinieren wie in einem gewöhnlichen Point-and-Click-Adventure. Die Gelegenheit dazu bekommen wir später noch, aber auf dem Weg dahin stoßen wir vielleicht auf Brief C, der uns zu Raum D führt, und auf einmal haben wir zum Start jedes neuen Tages einen Ressourcen-Bonus zur Verfügung.

Wenn einen „Blue Prince“einmal gepackt hat, lässt es einen nicht mehr los. Das Spiel empfiehlt einem bereits zu Anfang, sich ein Notizbuch anzulegen. Das ist ein guter Rat. Man sollte aber auch regelmäßig Screenshots machen. Es gibt so viele Hinweise, Briefe und Rätsel, dass es unmöglich ist, ohne diese Hilfen durch die vielen Räume des Mount Holly Estate zu navigieren. Aber neben Aufmerksamkeit verlangt „Blue Prince“ von seinen Spielern vor allem eins: Zeit. Vor allem für berufstätige Spieler oder Spieler mit ohnehin knapper Freizeit könnte das ein Deal-Breaker sein. „Blue Prince“ lässt sich nicht einmal so zwischendurch spielen. Es ist kein Open-World-Spiel, bei dem man alle paar Tage mal eine Mission spielen kann. Wer nur hin und wieder zum Videospielen kommt, wird wenig Freude an der geheimnisvollen Villa finden.

Unser Fazit zu „Blue Prince“

„Blue Prince“ ist ein Spiel wie kein anderes – und damit nicht für jedermann etwas. Spielerinnen und Spieler müssen sich darauf einlassen können, dass so manches im Spiel außerhalb ihrer Kontrolle liegt. Und sie müssen vor allem viel Zeit mitbringen. Für die, die sich aber voll auf das Spiel einlassen können, wird es eine Offenbarung sein. „Blue Prince“ ist jetzt schon ein Puzzle- und Rätselspiel-Meisterwerk, das die typischen Frustfallen seines Genres vermeidet. Die größte Gefahr ist wirklich, dass es einen auch außerhalb des Spiels nicht loslässt – und ein bisschen paranoid wirken lässt.

„Blue Prince“ ist seit dem 10. April 2025 für PC (Steam), Playstation 5 und Xbox Series X|S erhältlich. Das Spiel ist freigegeben ab 0 Jahren und kostet rund 30 Euro.

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