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Was bleibt von „What Remains of Edith Finch“? Ein Meisterwerk im Rückblick

In der Spielewelt, die oft von Highscores, Open Worlds oder Live-Services dominiert wird, war „What Remains of Edith Finch“ im Jahr 2017 eine stille Sensation. Entwickelt vom Indie-Studio Giant Sparrow und veröffentlicht von Annapurna Interactive, erzählt das narrative Spiel die Geschichte der Finch-Familie – oder vielmehr die Geschichte ihres Verschwindens.

Als Edith, die letzte Überlebende einer einst so großen Familie, kehren wir in das grotesk verwinkelte Haus der Finchs zurück. Ein realer Ort, der wirkt wie ein architektonischer Erinnerungsapparat.

Information

Für wen ist „What Remains of Edith Finch“ geeignet?

Nicht jedes Spiel ist für jede Art von Spielerin oder Spieler gemacht. Wer hier genau richtig ist – und wer vielleicht besser was anderes spielt – zeigt dieser Überblick:

Eher passend für ...

  • ... Spielerinnen und Spieler, die narrative Spiele wie „Firewtach“ oder „Amerzone“ schätzen.
  • ... Menschen mit Interesse an Literatur, Film und interaktiver Erzählkunst.
  • ... alle, die ein Spiel suchen, das nachwirkt, statt unterhält.

Eher nicht für ...

  • ... Fans von schnellen, mechanisch komplexen Actionspielen.
  • ... Spielerinnen und Spieler, die klare Entscheidungen und klassische Spielziele bevorzugen.
  • ... Menschen, die schwer mit melancholischen Themen umgehen können.

Jeder Raum ein Mikrokosmos, jeder Mikrokosmos eine Geschichte. Was wie ein Walking Simulator beginnt, entfaltet sich bald als poetisches Vexierbild über das Leben, den Tod – und das Erzählen selbst.

Mechaniken als Metaphern

Ein Einblick in das geheimnisvolle Finch-Haus, in dem jede Ecke eine eigene Geschichte erzählt. Viele Türen sind fest verschlossen, und wir müssen Wege finden, die dahinter führen. - © Giant Sparrow/Annapurna Interactive
Ein Einblick in das geheimnisvolle Finch-Haus, in dem jede Ecke eine eigene Geschichte erzählt. Viele Türen sind fest verschlossen, und wir müssen Wege finden, die dahinter führen. (© Giant Sparrow/Annapurna Interactive)

Die Besonderheit von „What Remains of Edith Finch“ liegt nicht allein in seiner Erzählung, sondern in der Art, wie erzählt wird. Jedes Familienmitglied wird sozusagen durch ein spielbares Kapitel „erinnert“ – und jedes dieser Kapitel hat seine eigene Mechanik, Ästhetik und Tonlage.

Wir spielen Molly Finch, die sich nacheinander in verschiedene Tiere verwandelt – in eine Katze, eine Eule, einen Hai, ein Seeungeheuer –, jedes von ihnen mit einer eigenen Steuerung und Perspektive. Wir spielen Lewis Finch, der am Fließband einer Fischkonservenfabrik arbeitet und sich in eine Fantasiewelt träumt, die schließlich die reale Welt ziemlich tödlich überlagert. Und wir spielen Barbara Finch in einem der besten Kapitel, das als illustrierter 70er-Jahre-Horror-Comic mit Voiceover erzählt wird. Darin blättern wir durch Panels und steuern Barbara in stilisierten, halb-animierten Szenen durch eine grandiose Parodie auf Horror-Klischees.

Diese Gameplay-Vignetten sind mehr als Gimmicks: Sie sind Form gewordene Emotion. Spielerisch verdichtet sich das Erleben – mal als tragikomische Groteske, mal als surrealer Horror. Es ist dieser dramaturgische Mut, der „What Remains of Edith Finch“ von anderen narrativen Titeln wie zum Beispiel „Firewatch“ unterscheidet. Wo diese Spiele eher subtil mit ihrer Erzählung umgehen, schreckt Edith Finch nicht vor Pathos zurück – aber auf eine Weise, die nie kitschig wirkt.

Zwischen Eintauchen und Abschiednehmen

Lewis Finchs Eintönigkeit: Die Arbeit in der Fischfabrik wird zum Ausgangspunkt für traumwandlerische Tagträume, die wesentlich bunter sind als das muffige Grau der Fabrik. - © Giant Sparrow/Annapurna Interactive
Lewis Finchs Eintönigkeit: Die Arbeit in der Fischfabrik wird zum Ausgangspunkt für traumwandlerische Tagträume, die wesentlich bunter sind als das muffige Grau der Fabrik. (© Giant Sparrow/Annapurna Interactive)

Auch technisch war das Spiel 2017 beeindruckend: Die Umgebungsdetails, die fließenden Übergänge zwischen Text und Raum, die gelungene Soundkulisse – all das trug dazu bei, dass sich die Geschichte nicht nur erzählt, sondern erfühlt anfühlt. Und doch ist „What Remains of Edith Finch“ kein Spiel, das man „durchspielt“. Man wohnt ihm bei. Man hört zu. Und erlebt, wie in jedem Kapitel ein Stück Leben geht.

Die melancholische Grundstimmung mag nicht für jeden geeignet sein, aber sie verleiht dem Spiel eine zeitlose Relevanz. Es ist ein digitaler Roman, der zeigt, was Games als Medium leisten können – und vielleicht sogar besser als andere Formen.

Warum „What Remains of Edith Finch“ 2025 wieder relevant ist

Die Geschichte von Barbara Finch entfaltet sich in einem der besten Kapitel dieses Spiels in einem stilisierten Horror-Comic. - © Giant Sparrow/Annapurna Interactive
Die Geschichte von Barbara Finch entfaltet sich in einem der besten Kapitel dieses Spiels in einem stilisierten Horror-Comic. (© Giant Sparrow/Annapurna Interactive)

In einer Ära, in der viele Medien sich verstärkt mit Erinnerungskultur, intergenerationellen Traumata und der Frage beschäftigen, wie wir Geschichten über Verluste, Familien und Identitäten erzählen, wirkt „What Remains of Edith Finch“ fast prophetisch.

Serien aus den vergangenen zwei bis drei Jahren wie „Severance“ (Apple TV+), „1899“ (Netflix) oder „The Fall of the House of Usher“ (Netflix) zeigen ein ganz ähnliches ästhetisches und emotionales Vokabular: fragmentierte Narrative, visuelle Metaphern für innere Zustände, ein Fokus auf familiäre Verstrickungen und den Bruch zwischen äußerer Funktionalität und innerem Chaos. Auch der Film „Past Lives“ verhandelt Erinnerung als emotionalen Raum zwischen Realität und Verklärung – ganz im Geiste der Finch-Erzählweise.

Zudem zeigt der zunehmende Erfolg von introspektiven Spielen wie „Lake“, „Season: A Letter to the Future“ oder „Open Roads“: Das Publikum für feinfühlige Narrative wächst. „What Remains of Edith Finch“ war hier Vorreiter – und ist heute Referenzpunkt.

Rezeption: Zwischen Indie-Hype und Kritikerliebling

Schon zum Release wurde „What Remains of Edith Finch“ mit Lob überhäuft. Es gewann 2018 den BAFTA Games Award für das Spiel des Jahres, zahlreiche Game-of-the-Year-Listen führten es auf. Und doch blieb es für viele ein Geheimtipp – ein Spiel, das eher empfohlen als beworben wurde. Vielleicht, weil man es besser fühlt, als beschreibt. Vielleicht, weil es eine stille Größe ist.

Fazit: Ein Spiel wie ein Gedicht

„What Remains of Edith Finch“ ist mehr als ein Spiel – es ist ein literarischer Spaziergang durch das Verlorene. In einer Branche, die oft auf Spektakel setzt, erinnert dieses Werk daran, dass die leisen Töne oft die stärksten sind. Acht Jahre nach seiner Veröffentlichung steht es nicht nur als Meilenstein der narrativen Spielekunst, sondern als Einladung, sich zu erinnern. An Menschen. An Geschichten. An das, was bleibt.

„What Remains of Edith Finch“ ist seit dem 25. April 2017 erhältlich für PlayStation 5, PlayStation 4, Nintendo Switch, Xbox One, Xbox Series X|S und PC und kostet rund 20 Euro. Das Spiel ist freigegeben ab 12 Jahren.

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