Klubs, Konzerte, Kopfhörer: Einer Milliarde Jugendlicher droht Hörverlust

In der Bahn, bei der Arbeit oder in der Freizeit – Kopfhörer sind bei vielen Menschen im Dauereinsatz. Laut neuer Studien kann genau das zum Problem werden: Mehr als einer Milliarde junger Menschen droht permanenter Hörverlust wegen zu lauter Musik aus Kopfhörern und auf Konzerten.

Die Fachzeitschrift &bdquo; BMJ Global Health “ veröffentlichte Mitte November eine Analyse, nach der besonders Teenager viel zu lange und zu laut Musik durch Kopfhörer hören. Dafür analysierten die Wissenschaftler diverse durch Fachleute überprüfte Studien, die zwischen 2000 und 2021 veröffentlicht wurden und die unsichere Hörpraktiken bei Personen im Alter von 12 bis 34 Jahren betrachteten. Die geschätzte Zahl junger Menschen, bei denen das Risiko eines Hörverlusts durch unsichere Hörpraktiken besteht, bezifferten sie danach auf 0,67 bis 1,35 Milliarden.

Schon 2021 schlug die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alarm: Laut dem &bdquo;World Report on Hearing“ sind weltweit über 1,5 Milliarden Menschen in ihrem Hören eingeschränkt, davon 430 Millionen in mittelschwerem bis starken Ausmaß. Bis 2050 könnte diese Zahl auf rund 2,5 Milliarden steigen, wenn der Prävention keine Priorität eingeräumt werde. Das wäre jede vierte Person. Als Grund nennt die Studie zu lautes Musikhören über längere Zeit. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen lebt in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Doch auch in Deutschland nehmen Hörschäden zu.

Kopfhörer sind "stille Gefahr" Wer mehr als acht Stunden am Tag über 80 Dezibel ausgesetzt ist, hat eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass das Ohr geschädigt wird, sagt Roger Trutti, Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde vom medizinischen HNO-Versorgungszentrum am Franziskus Hospital in Bielefeld. Kulturelle Lärmbelästigung kommt noch dazu – also etwa der Besuch von Konzerten, Kneipen oder anderen lauten Veranstaltungen, sowie das laute Musikhören. Das ist nicht unbedingt gefährlich. Aber: "Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene haben ständig Kopfhörer auf", beobachtet der Facharzt, der an der Universität Bielefeld lehrt.

Trutti nennt das die "stille Gefahr": Wer die Kopfhörerlautstärke stets nach oben regelt, sobald die Umgebungsgeräusche zunehmen, gewöhnt sich an den erhöhten Pegel. Die tatsächliche Lautstärke wird nicht mehr wahrgenommen. "Direkt am Ohr, vermehrt ganztägig" führe das zu vorzeitigen Innenohrschäden.

Die Entwicklung sei schon jetzt bemerkbar. So werden etwa an der Universität Oldenburg regelmäßig Hörtests an jungen Menschen durchgeführt. Durch diese langjährigen Messungen könne man gut nachzeichnen, dass sie heutzutage früher Zeichen einer Schwerhörigkeit zeigen.

Wie NC-Kopfhörer schützen können Inzwischen gibt es geräuschunterdrückende Kopfhörer, englisch Noise Cancelling. Aktives Noise Cancelling (ANC) arbeitet mit Antischall oder auch Gegenschall: Der Umgebungslärm wird durch künstlich erzeugten Schall quasi ausgelöscht. Dafür misst der ANC-Kopfhörer die eintreffenden Schallwellen und generiert in Echtzeit Schallwellen, die sozusagen das Gegenteil sind. Treffen diese aufeinander, neutralisieren sie einander, weil je ein Wellenberg auf ein Wellental trifft.

Neben dem Aktiven Noise Cancelling gibt es auch Passives: wenn die Kopfhörer die Ohrmuschel umschließen und damit Schall abhalten. "Kopfhörer mit Noise Cancelling sind immer besser als ohne", sagt Trutti, "und Over-Ear sind besser als In-Ear." Trotzdem empfiehlt der HNO-Arzt, sich beim Kauf beraten zu lassen. "Jede Ohrmuschel ist anders." Ein guter Sitz sei wichtig.

Denn wenn die Außengeräusche reduziert werden, ist eine geringere Lautstärke nötig – und das ist langfristig gut fürs Gehör. Auf die Lautstärke-Anzeigen in Smartphones, die bei zu hoher Lautstärke warnen, dürfe sich niemand verlassen, mahnt Trutti. Lautstärkeempfinden sei sehr individuell und situationsabhängig. Nur als Hilfskontrolle seien sie nützlich. "Auf keinen Fall längere Zeit in den roten Bereich kommen." Wenige Minuten wären kein Problem, eine Stunde schon.

Bloß keine Stille Auch wenn das Gehör nicht übermäßig belastet wird, sollte man dem Ohr regelmäßig Ruhe gönnen, empfiehlt Trutti. Ruhe ja, Stille nein: "Unser Ohr schläft nicht", so der Mediziner. In Stille sensibilisiere sich das Gehör, ähnlich wie sich Augen an Dunkelheit gewöhnen. Die Folge: Wir werden empfindlicher.

Nach einem akustisch anstrengendem Tag empfiehlt Trutti daher eine Pause von der Dauerbeschallung. "Kein Netflix, kein Konzert, auf keinen Fall Stille – sondern ein ruhiger Spaziergang im Wald, vielleicht eine Pause in einem Café mit ruhigen Hintergrundgeräuschen." Das Hirn verlangt ständig Input, sagt Trutti. Stille sei eher kontraproduktiv, eine ruhige Umgebung, die keine hohe Aufmerksamkeit fordert, führe eher zur Entspannung.

Mögliche frühe Anzeichen einer beginnenden Hörstörung sind häufiger Tinnitus und Geräuschempfindlichkeit. Beides sollte von Fachleuten abgeklärt werden.

Klubs, Konzerte, Kopfhörer: Einer Milliarde Jugendlicher droht Hörverlust

Klangfreude und Stille: Sonys Kopfhörer WH-1000XM6 im Test

Over-Ear-Kopfhörer: Die Top-Modelle im Test

Moto Buds Loop: Was für Kopfhörer sind das denn?

Neue Hörwelt im Test: Mit Open-Ears verpasst man nichts

Mit Musik in Marathon: Berliner Lauf mit Premiere

Fernbusranking: München hat die meisten Ziele - wer folgt?

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus