Richter warnen: Klagen wegen Flugverspätungen belasten Gerichte enorm

Bielefeld. Verspätete oder gestrichene Flüge, Chaos am Flughafen, Streik der Airline-Mitarbeiter: An den deutschen Gerichten, die für die großen Flughafen-Standorte zuständig sind, rechnet man im laufenden Jahr mit einer enormen Belastung durch eine Klage-Welle wegen frustrierender Urlaubs-Erlebnisse am Flughafen. Das ergab eine Umfrage der "Deutschen Richterzeitung" für diese Redaktion.

So sind die Fallzahlen solcher Klagen bei den 20 Amtsgerichten mit Zuständigkeit für größere Flughafenstandorte zuletzt wieder deutlich gestiegen. Das war 2021 anders. Vor gut zwei Jahren wurden die Gesamtzahlen solcher Klagen auf rund 51.000 gedrückt – im Jahr 2022 dagegen stiegen die Klagen um etwa 40 Prozent auf 70.000. "Die Entwicklung im Jahresverlauf sowie aktuelle Aussagen aus den Gerichten lassen darauf schließen, dass sich der Aufwärtstrend 2023 fortsetzen dürfte", sagt ein Sprecher des Deutschen Richterbundes. So sei etwa ein Großteil der Klagen aus 2022 erst im zweiten Halbjahr gemeldet worden.

An der Spitze der Verfahrenszahlen liegt 2022 das Amtsgericht Köln mit knapp 18.000 Fällen. Auf Platz zwei folgt laut Richterbund Frankfurt/Main mit mehr als 11.300 Fällen. Dahinter liegt Düsseldorf (9.000). Das für den Flughafen Berlin-Brandenburg zuständige Amtsgericht Königs Wusterhausen kommt auf mehr als 7.000 Verfahren, das Amtsgericht Hamburg meldet ebenso wie das für den Airport München zuständige Amtsgericht Erding rund 5.000 Fälle.

Streik befreit Airlines nicht Auch Thorsten Fust aus Paderborn, Fachanwalt für Verkehrsrecht, geht von weiter steigenden Klage-Zahlen aus. "Wir verzeichnen wieder deutlich mehr Flüge nach der Pandemie, dadurch ist alleine die Wahrscheinlichkeit für Verspätungen oder Ausfälle höher." Zudem gebe es aktuell viele Fälle, die eine Klage nach sich ziehen können. "Zum Beispiel krankheitsbedingte Ausfälle oder aber chaotische Zustände an Flughäfen – beides ist auch mit zu wenig Personal zu begründen."

Und: Auch Streiks bedeuten seit 2021 nicht mehr, dass die Airline nicht zahlen müsse. Fust erklärt: "Früher galt ein Streik als außergewöhnlicher Umstand, die Airline musste also nicht zahlen. Ähnlich wie bei Verspätungen oder Ausfällen wegen extremer Wetterbedingungen." Doch Gerichtsentscheidungen haben das aufgehoben. Nun gelte: "Hat eine Airline direkten Einfluss auf den Streik, dann gilt der Ausfall nicht mehr als außergewöhnlicher Umstand. Streiken Piloten beispielsweise, weil sie mehr Geld wollen, dann hat die Fluggesellschaft darauf direkten Einfluss."

Auch andere Fälle sorgen für tausende Verfahren Neben Klagen wegen Flug-Verspätungen und -Ausfällen ächzen die Oberlandesgerichte in Deutschland unter den Klagen im Zusammenhang mit dem Dieselverfahren. Und auch in anderen Rechtsgebieten rollen massenhaft Verfahren auf die Gerichte zu, warnt der Richterbund. Denn aktuell häufen sich zum Beispiel die Klagen früherer Wirecard-Aktionäre bei den Gerichten.

Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, sieht die Politik gefordert: "Viele Zivilgerichte werden durch Massenverfahren etwa anlässlich des Dieselskandals oder durch eine Flut gleichförmiger Verbraucherklagen teilweise blockiert." Die Ampel sollte laut Rebehn hier dringend Abhilfe schaffen und das Zivilprozessrecht durch flexiblere Vorschriften an die neue Realität dieser "Fließbandklagen" anpassen, mit denen Anwaltskanzleien und Inkassodienstleister viele Gerichte überhäufen. "Vorschläge der Richterschaft für sinnvolle Rechtsänderungen liegen seit mehr als einem Jahr auf dem Tisch", betont Rebehn.

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