Wer sich Rezensionen zum neuen Horror-Videospiel von Supermassive Games ansieht, kann auf den Gedanken kommen, dass „The Casting of Frank Stone“ die Mühe nicht wert ist. Bei Metacritic liegt der Score gerade einmal bei durchwachsenen 68, der Userscore nur bei 6,0. Es gibt Spiel-Kritiken, die von einem „langweiligen Drama“ und „kein bisschen Grusel“ sprechen, die enttäuscht sind und meinen, Supermassive habe es „verlernt, wie man gute Spiele entwickelt“.
Wir sehen das anders. Wir sehen in „The Casting of Frank Stone“ eine Hommage an die Zeit, als sich Amateur-Regisseurinnen und -Regisseure mit Eifer in ihr nächstes Film-Projekt warfen. Als Spannung noch durch lange Kamerafahrten entstand und nicht durch schnelle Schnitte. Als Amateur-Filmer mit der Super-8-Kamera oder ähnlichen Geräten hantierten und hofften, ihr Film würde bald die großen Kinosäle füllen, wenn nur ihr Können und die „Fantasiewelt voller Bösewichte und Helden aus Zelluloid“ entdeckt würden, wie „The Kinks“ das mal so schön besungen haben.
Schon mal vom Film „Super 8“ gehört? Sechs Kinder drehen 1979 für ihren Zombie-Amateurfilm nachts an einem alten Bahnhof eine Szene, als sich ein furchtbarer Zugunfall ereignet, nachdem nichts mehr so ist wie zuvor. Was wirklich passiert ist, fängt nur die Super-8-Kamera ein. „Super 8“ war auch eine Hommage des Regisseurs J. J. Abrams an seine eigene Amateurfilmzeit. Und „The Casting of Frank Stone“ ist die Videospiel gewordene Hommage an diese Zeit. Es braucht Muße, um die Zwischentöne zu hören. Aber es lohnt sich.
Worum geht es?

„The Casting of Frank Stone“ spielt in drei verschiedenen Zeitebenen, die natürlich miteinander verknüpft sind. Alles beginnt 1963, als sich in der kleinen Stadt Cedar Hills im US-Bundesstaat Oregon Entführungsfälle häufen. Im Verdacht steht bald der 36-jährige Stahlwerk-Mechaniker Frank Stone, dessen Fängen niemand entkommt, wenn er erstmal seine blutigen Hände ausgestreckt hat. Einige Morde gehen schon auf Stones Konto, und jetzt hat er sich als buchstäblich jüngstes Opfer ein Baby geholt.
Der ehrgeizige Polizist Sam Green ist dem Killer auf der Spur und verfolgt ihn bis in die Untiefen des Stahlwerks. Es liegt in unserer Hand, ob wir das Baby retten oder nicht. Und was passiert eigentlich mit Frank Stone? Immerhin soll er doch laut Spieltitel ins Casting kommen.
Bei der Beantwortung der Frage hilft der weitere Spielverlauf. Der führt uns nämlich schnurstracks ins Jahr 1980. Immer noch sind wir in Cedar Hills, das sich 17 Jahre nach den Vorfällen um Frank Stone allmählich erholt hat. Das Stahlwerk steht noch, ist aber seit 1967 nicht mehr in Betrieb.
Vier junge Leute zieht es jetzt genau dorthin, wo Frank Stone einst sein Unwesen trieb. An historischer Stätte wollen sie einige Szenen für ihren Amateur-Horrorfilm „Murder Mill“ drehen. Dass das keine besonders gute Idee ist, ist uns ja klar, die vier Filmemacherinnen und -macher glauben jedoch, das verleihe ihrem Film den richtigen Thrill.
Und nochmal ein Zeitsprung, diesmal ins Jahr 2024: Eine Gruppe von Menschen trifft sich in einem dunklen Anwesen, eingeladen von einer suspekten Gastgeberin, die sich auf das Sammeln von verschollenen Filmen spezialisiert hat. „Murder Mill“ ist ein solcher Film. Ihm wird nachgesagt, dass Kinogänger einst in blutige Raserei verfallen sind, als sie diesen Film sahen, dass Kinos sich daraufhin weigerten, diesen Film zu spielen und es jetzt nur noch wenige Kopien davon geben soll. Rein zufällig ist jemand aus dem Filmteam von „Murder Mill“ in der illustren Runde anwesend. Was das wohl zu bedeuten hat? Es ist an uns, die Fäden dieses 60 Jahre überspannenden Rätsels zusammenzuführen.
Was uns gefallen hat

Die Idee, das Spiel über verschiedene Zeitebenen zu ziehen, ist raffiniert und auch gut gelöst. Wir hatten auch keine Probleme damit, uns mit einigen der Personen zu identifizieren, die wir spielen konnten, aber selbstverständlich sind nicht alle unbedingt everybody’s darling. Das ist ja Sinn und Zweck eines Spiels, bei dem es darum geht, dass viele unserer Entscheidungen spürbare Konsequenzen haben. Und da lässt man vielleicht auch mal den unsympathischen Stan eher über die Klinge springen als jemand anderen, den man gerne bis zum Ende des Spiels retten will. Wir schreiben sozusagen das Drehbuch neu.
Die Geschichte von „The Casting of Frank Stone“ hat uns gut gefallen, insbesondere, wir sprachen es ja oben schon an, die vielen Verweise auf die alte Film- und Kinokultur. Die Hintergrundgeschichte von Frank Stone und dem Stahlwerk wird auch nicht nur oberflächlich dafür genutzt, um ein Grundgerüst für das Spiel zu haben, sondern es finden sich immer wieder aufwendig konzipierte Informationshappen, die die Story weiter ausfeilen. Wer sich weniger für die Geschichte interessiert, kann die Zeitungsausschnitte und Hinweise getrost überfliegen, aber wer tief eintauchen will, findet hier eine tiefgehende Geschichte rund um Cedar Hills und einen Mann, der für immer die dunkle Historie der Stadt geprägt hat.
Uns hat auch gefallen, dass es dauert, bis der Horror zuschlägt. „The Casting of Frank Stone“ wird behutsam erzählt, ist an manchen Stellen auch sperrig und zunächst unverständlich, aber die Fragezeichen lösen sich irgendwann auf. Manche einen aber wird das Spiel auf dieser Strecke verlieren, vor allem die, die im Kino auf die actionlastigen Filme abfahren. Die mit den schnellen Schnitten. „The Casting of Frank Stone“ ist ein interaktiver Film, der sich Zeit nimmt. So dauerte es bei unserer Spielzeit von etwas mehr als sechs Stunden alleine drei Stunden, bis sich unsere Gruppe von spielbaren Personen zum ersten Mal trennt, um alleine Entdeckungen zu machen. Oder tödliche. Das muss man wollen.
Schnitt! Nächste Szene, bitte!

Schwer begeistert sind wir von der sogenannten Schnittraum-Etage. Die steht uns nach dem erstmaligen Durchspielen zur Verfügung, mit der Deluxe-Edition haben wir sofortigen Zugriff darauf. Dort können wir, soundtechnisch und visuell toll animiert, die wichtigsten Entscheidungspunkte der Geschichte finden und erneut eintauchen, um andere Wege zu nehmen und neue Szenen der Story zu erleben.
Der Vorteil ist, dass wir wichtige Entscheidungen neu oder anders treffen können, dafür aber nicht das ganze Spiel oder, wie es bei anderen Titeln oft der Fall ist, ganze Kapitel noch einmal neu spielen müssen. Wir haben die Schnittraum-Etage ausgiebig genutzt!
Toll auch, wie sich das Film-Thema durch alle Bereiche zieht. Später im Spielverlauf, das dürfen wir schon verraten, blicken wir selbst durch eine 8-mm-Kamera und haben nur dadurch Überlebenschancen. Wer da versucht, mit einem Smartphone zu hantieren, beißt sicher ins Gras.
Apropos ins Gras beißen: Die Quick Time Events, die für eine gewisse Hast sorgen, sind sinnvoll im Spiel verteilt und teilweise so fies, wie man es oft nicht erwartet. Um Dinge zu reparieren, müssen wir im richtigen Moment die Aktionstaste drücken, das Zeitfenster dafür sieht auch beruhigend groß aus – ist es dann aber fast nie. Das ist bei Reparaturen von Generatoren und ähnlichem Zeug noch verschmerzbar, aber wenn das Leben davon abhängt, ob man das richtige Zeitfenster erwischt, ist das was ganz anderes. Solche Situationen haben wir hinterher über den Schnittraum gerne nochmal gespielt.
Entwickelt worden ist „The Casting of Frank Stone“ übrigens vom britischen Studio Supermassive Games, die 2015 mit „Until Dawn“ berühmt geworden sind (Anfang Oktober erscheint die grafisch wie spielerisch überarbeitete Version für PC und PS5). Von Supermassive sind auch „The Quarry“ und die „Dark Pictures Anthology“, allesamt Horror-Games. Die wissen also, was sie tun. Und auch wenn nicht alle Teile der „Dark Pictures Anthology“ gut sind, so ist Supermassive aus unserer Sicht mit „The Casting of Frank Stone“ wieder Besonderes gelungen.
Muss ich „Dead by Daylight“ gespielt haben?
Ein Hinweis, der uns wichtig ist: Das Spiel trägt den Untertitel „From the World of Dead by Daylight“. Das sollte Unwissende nicht von „Frank Stone“ abhalten. „Dead by Daylight“ ist ein von Behaviour Interactive entwickeltes Multiplayer-Horrorspiel, ähnlich wie „The Texas Chainsaw Massacre“, in dem Horror-Franchises wie „Saw“, „Resident Evil“ oder „Silent Hill“ aufeinander treffen.
Man muss aber nicht „Dead by Daylight“ gespielt haben, um „Frank Stone“ zu verstehen oder spielen zu können. „Frank Stone“ kann man zwar auch als Couch-Koop zu mehreren Leuten spielen (dann wird der Controller jeweils weitergereicht), konzipiert ist es aber als Einzelspieler-Erlebnis. Uns hat es jetzt nicht dazu getrieben, „Dead by Daylight“ spielen zu wollen, es ist aber für Behaviour Interactive sicher eine lohnende Investition, um mehr Spielerinnen und Spieler ins „Dead by Daylight“-Universum zu locken. Im Spiel von „Frank Stone“ sind Hinweise und Sammelbares aus der „Dead by Daylight“-Welt versteckt, sie haben aber außer für Trophäensammler keine Auswirkungen auf das sonstige Spiel.
Was uns nicht gefallen hat

Natürlich haben wir aber auch was zu meckern. Da geht es aber eher um technische Details, die sich vielleicht sogar nachträglich noch patchen lassen. Zum einen ist die Steuerung manchmal etwas hakelig. Unsere Figuren gehen eine Treppe hinauf, obwohl wir vorher noch den Gang daneben inspizieren wollen. Unsere Figur springt nicht über einen Abgrund, obwohl wir direkt davor stehen. Gehen wir zurück und dann erneut auf den Abgrund zu, haben wir endlich die Chance, die richtige Taste zu drücken.
Die deutsche Sprachausgabe ist in der Regel gut, aber nicht immer ganz lippensynchron. An zwei Stellen im Spiel kam die Originalsprache durch, ansonsten war das auch von der Leistung der Synchronsprecherinnen und -sprecher überzeugend.
Manchmal wird im Spielverlauf und auch später im Schnittraum nicht ganz klar, wo sich Entscheidungswege trennen. Wir spielen also eine Szene über den Schnittraum noch einmal, weil in der Übersicht deutlich wurde: Hier gibt es eine Weggabelung. Also muss irgendetwas, was wir tun oder sagen zu einem anderen Ergebnis führen. Wir spielen also alle Optionen durch, landen aber trotzdem immer wieder beim selben Ergebnis, und der andere Weg bleibt für uns versperrt. Hier wäre eine Art zuschaltbare Hilfe super, wenn man überhaupt nicht kapiert, warum alle Entscheidungsmöglichkeiten keinen weiteren Weg öffnen, obwohl er laut Schnittraum-Etage da ist.
Unser Fazit zu „The Casting of Frank Stone“

„The Kinks“ sangen in „Celluloid Heroes“ auch: „Helden aus Zelluloid empfinden niemals Schmerz und sterben niemals wirklich.“ Frank Stone könnte auch so ein Helden-Kandidat aus Zelluloid sein. Empfindet er Schmerz? Ist er jemals wirklich gestorben? Das finden wir heraus in dem Horror-Spiel „The Casting of Frank Stone“, das gut geschrieben ist und mit cineastischen Mitteln eine Geschichte erzählt, die nicht jedem gefallen will, aber gerade auch darin ihren Reiz hat.
Ob man für eine Spielzeit von rund sechs Stunden einen Preis von rund 40 Euro zahlen will, muss man sich natürlich gut überlegen. Der Wiederspielwert ist auf jeden Fall da, entweder dann über den Schnittraum oder vielleicht mit Freunden über die Couch-Koop. Und auch gute Filme kosten Geld, im Kino wie zu Hause. Man sieht sie in der Regel nicht direkt danach noch einmal, aber nach einiger Zeit erinnert man sich gerne an diese Story, an manche Szenen, und dann holt man den Streifen wieder raus. Holt auch „The Casting of Frank Stone“ wieder raus. Es lohnt sich. Denn Helden aus Zelluloid sterben niemals wirklich.
„The Casting of Frank Stone“ ist seit dem 3. September 2024 erhältlich für Playstation 5, Xbox Series X/S sowie PC und kostet rund 40 Euro. Das Spiel ist freigegeben ab 18 Jahren.