Die Lemgoer Bäckerei Güttge und der alltägliche Bürokratie-Wahnsinn

Lemgo. Die Bäckerei Güttge ist in Lemgo Tradition. Vor über 50 Jahren hat Gerhard Güttge den Betrieb an der Echternstraße gegründet, 1999 übernahm Sohn Oliver das Geschäft. Ein Bäcker mit Leidenschaft. Doch was ihn mitunter zur Verzweiflung bringen kann, das ist die überbordende Bürokratie.

&bdquo;Bürokratieabbau?“, Ehefrau Ann-Kathrin Lüttmann muss lachen und weist auf die bunten Aktenordner auf dem Tisch. &bdquo;Da legen wir doch gleich einen neuen Ordner für an.“ Über 30 Prozent seiner Arbeitszeit verbringe er mittlerweile hinter dem Schreibtisch und am PC, hat Oliver Güttge ausgerechnet. Nachts um 1 Uhr startet er in der Backstube, um dann am Morgen über Statistiken, Genehmigungen und Akten zu brüten. Dabei treibt die Bürokratie mitunter skurrile Blüten, wie die beiden erklären und können sich trotz des stetig wachsenden Mehraufwandes das Lachen nicht verkneifen.

Ordner um Ordner gefüllt

Und dann geht Ann-Kathrin Lüttmann, die zusammen mit ihrem Mann die zwei Bäckereien an der Echternstraße und in Kirchheide führt, die Aktenreiter im Ordner durch: Kameraüberwachung, Gesundheitszeugnisse, Hygieneschulung, Ersthelfer, Brandschutz, Teigmaschine und, und, und. Vorschriften, Regelwerk, Dokumentationen, Schulungen - alles fein säuberlich abgeheftet.

&bdquo;Das fängt doch schon mit den Vorgaben der Genossenschaft an“, erklärt Oliver Güttge die Zeitfresser. Jedes Jahr müsse er die Mitarbeiter erneut in Arbeitsschutz oder auch Hygienemaßnahmen einweisen. &bdquo;Auch, wenn die schon seit Jahren hier arbeiten und das aus dem Effeff kennen.“ Aber nein, alles müsse immer wieder durchgeführt, schriftlich festgehalten und dokumentiert werden - und das gerne analog und digital.

Oder die Vorgaben zu den Spül- und Handwaschbecken: Jeweils zwei müssten vorhanden sein, heißt in der kleinen Küche dürfen sich die Mitarbeiter am handelsüblichen Spülbecken nur die Hände waschen, das Geschirr müssen sie zu einem anderen Becken im hinteren Bereich des Geschäftes tragen, dort aber ist laut Amtsvorgaben Händewaschen verboten.

Schulung für die Leiter

&bdquo;Für alles gibt es ein Regelwerk“, stöhnt Ann-Kathrin Lüttmann auf. So gibt es in dem Betrieb mit 17 Mitarbeitern nicht nur einen Brandschutzbeauftragten, sondern auch einen Mitarbeiter, der explizit für die Leitern zuständig ist. Dank Schulung darf er auf die Leiter steigen, um zum Beispiel die Decken sauber zu fegen. Und dann das Pflasterbuch, ereifert sich Olli Güttge, obwohl als Buch sei es aus Datenschutzgründen ja nicht mehr erlaubt, ein Abreißblock müsse es sein, in dem fein säuberlich vermerkt werde, wer, wann und aus welchem Grund ein Pflaster benötigt. Das Ganze werde dann vom Block abgerissen und abgeheftet, um im Notfall die Ursprünge einer Verletzung nachverfolgen zu können.

&bdquo;Wir wissen mitunter gar nicht mehr, was überhaupt noch erlaubt ist“, sagt der Bäcker dann auch leicht irritiert. Kindergartengruppen, wie sie früher öfter in der Backstube vorbeigekommen seien, sind es jedenfalls nicht. &bdquo;Was passiert, wenn ein Kind ausrutscht, sich das Auge an einem Haken verletzt und blind wird?“, das seien sie von der Berufsgenossenschaft gefragt worden, das könnten sie doch nicht verantworten. Schließlich hafte Geschäftsführer Güttge dann mit seinem Vermögen.

Keksverkauf passt nicht in die Statistik

Keine Frage - die Bürokratie hat sie fest im Griff und doch kann das Paar den vielen Vorlagen durchaus noch mit Galgenhumor begegnen. Etliche Bögen müssen sie jährlich allein für das Statistische Bundesamt ausfüllen. Wie viel Kekse haben sie verkauft, wie viele Brötchen, wie hoch waren die Energiekosten, wie hoch der Personalbedarf? &bdquo;Neulich kam ein Anruf vom Bundesamt, warum wir denn so außergewöhnlich viel Kekse verkauft haben?“, erzählt der 58-Jährige und ist noch immer erstaunt. &bdquo;Weil halt Weihnachten war.“

Ann-Kathrin Lüttmann hat währenddessen die Plastiktüten geholt. Dünn sind die, eigentlich zu dünn, um das Brot darin zu verpacken - doch der neuen EU-Verpackungsverordnung sei dank, muss es irgendwie gelingen. Und die Absonderlichkeiten sprudeln munter weiter, etwa bei der Deklaration der Inhaltsstoffe: Allergene müssen bei Produkten im Regal hinter den Tresen auf dem Etikett angegeben werden, anders bei den Produkten, die erst noch über den Tresen wandern. Doch wenn, dann bitte in vorgegebener Schriftgröße.

Auf ausgeschenktem Kaffee wird 19 Prozent Mehrwertsteuer berechnet, mit hohem Milchanteil hingegen nur 7 Prozent - aber nur, wenn er außer Haus verkauft wird.

Ämter ringen um Kompetenzen

&bdquo;Vieles können wir einfach nicht mehr nachvollziehen und fühlen uns schon gegängelt“, sagt dann auch Olli Güttge und manchmal gerate man da auch ein wenig zwischen die Fronten. Etwa, wenn in der Bäckerei in der Echternstraße, einem Baudenkmal, der Denkmalschutz, Arbeitsschutz und das Gesundheitsamt aufeinandertreffen und jeweils so ganz andere Vorstellungen davon haben, wie ihre jeweiligen Vorgaben umzusetzen sind.

Und doch lässt er nichts auf seinen Job kommen, selbst das frühe Aufstehen mache ihm nichts. &bdquo;Jeden Tag die Produkte zu sehen, die aus der Backstube kommen, das macht schon stolz.“ Und mit eben diesem Gefühl arbeiten auch die weiteren sechs Bäcker und die Mitarbeiterinnen. Ein eingespieltes Team, bei dem sich jeder auf den anderen verlassen könne.

Auch der Nebenjob von Olli Güttge als DJ am Wochenende ist damit drin und manchmal geht es mit der Ehefrau auch in den Urlaub. Fünf Tage haben sie jüngst geschafft und natürlich auch die Schlagerparty im Sauerland. Und spätestens dann können sie den Bürokratie-Wahnsinn zumindest für kurze Zeit vergessen und vielleicht - die Hoffnung stirbt ja zuletzt - werde es doch noch etwas werden mit dem viel versprochenen Bürokratieabbau. &bdquo;Denn viele Selbstständige machen das nicht mehr lange mit.“

Das Bürokratieentlastungsgesetz

Kein großer Wurf scheint das vierte Bürokratieentlastungsgesetz zu sein, das am 1. Januar 2025 in Kraft trat. Es umfasst 60 Maßnahmen. Als wichtige Punkte werden unter anderem genannt: Die Verkürzung der Aufbewahrungspflicht von Steuerbelegen von zehn auf acht Jahre. Arbeitsverträge können per Mail geschlossen, Zeugnisse elektronisch erstellt und die Elternzeit formlos zum Beispiel per Mail geltend gemacht werden. Das BEG IV gilt als eine Maßnahme im Rahmen der bundesweiten Digitalisierungskampagne.

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