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Marta-Kuratorin zu KI und Kunst: "Das autonome Kunstwerk ist nicht tot"

Ann Kristin Kreisel, Kuratorin im Herforder Museum Marta, über die Risiken und Chancen, die künstliche Intelligenz für die Kunst mit sich bringt.

Stefan Brams

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Kuratorin Ann Kristin Kreisel hat die Ausstellung "Shift KI" im Marta mitgestaltet. - © Ralf Bittner
Kuratorin Ann Kristin Kreisel hat die Ausstellung "Shift KI" im Marta mitgestaltet. (© Ralf Bittner)

Frau Kreisel, fragt man ChatGPT selbst, was dieses KI-Programm über das Verhältnis von Kunst und künstlicher Intelligenz sagt, dann kommt es zu dieser Antwort: „Insgesamt hat KI das Potenzial, die Kunstwelt zu bereichern und neue künstlerische Möglichkeiten zu öffnen. Es ist jedoch wichtig, dass die Integration von KI in die Kunst auf eine Weise erfolgt, die sowohl kreative Freiheit als auch ethische Standards respektiert.“ Was sagen Sie als Kuratorin zu dieser doch sehr ausgewogenen Eigenauskunft?

Grundsätzlich kann ich ChatGPT in diesem Punkt recht geben, denn mit der KI haben wir in der Tat gerade mit einer der größten Herausforderungen für unsere Gesellschaft zu tun und damit auch mit großen Herausforderungen für die Künstlerinnen und Künstler, die ja gesellschaftliche Themen nicht nur aufgreifen, sondern auch vor der Frage stehen, wie sie selbst KI für ihre Arbeit nutzen und wie diese ihre Arbeitsweisen, ihre Kunst und die Kunstwelt verändern werden.

Information

Ausstellung im Marta

Die 42-jährige Kunsthistorikerin Ann Kristin Kreisel stammt gebürtig aus Hamm und ist seit 2017 als Kuratorin am Marta Herford tätig.

Die Ausstellung „SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ wurde vom Museum Marta und dem Kunstmuseum Stuttgart gemeinsam entwickelt und ist noch bis zum 15. Oktober im Marta in Herford zu sehen.

Die Künstlerinnen und Künstler Louisa Clement, Heather Dewey-Hagborg, Christoph Faulhaber, kennedy+swan, knowbotiq, Christian Kosmas Mayer, Philippe Parreno, Hito Steyerl und Jenna Sutela fragen in der von Kreisel mitkuratierten Schau wie sich KI zu Konzepten von Vernunft, Freiheit und Verantwortung verhält, ob Menschen, KI-gesteuerte Roboter, Avatare und biologische Mikroorganismen wie Bakterien konstruktiv zusammenarbeiten können und ob KI die Welt möglicherweise sogar menschlicher machen kann?

Zur Ausstellung gibt es ein umfassendes Begleitprogramm. Im Wienand Verlag ist ein 144 Seiten umfassender Katalog (25 Euro) erschienen. Weitere Infos unter www.marta-herford.de

Wie reagieren denn die Künstlerinnen und Künstler bisher?

Ich nehme aktuell eine sehr große Offenheit seitens der Künstlerinnen und Künstler wahr, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und KI als Tool zu nutzen. Gleichzeitig reflektieren sie in ihren Werken Chancen und Risiken, die mit den neuen Technologien verbunden sind. In diesem Punkt hat die Kunst gegenüber der Wissenschaft einen Vorteil. Denn Kunst ist in der Lage, die vielen unsichtbaren Vorgänge, die hinter KI stecken, zu visualisieren und sinnlich erfahrbar zu machen. Zu erleben ist das in unserer aktuellen Ausstellung im Marta, in der sich neun Künstlerinnen und Künstler unter dem Titel „SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ mit dem Thema auseinandersetzen. Die Werke schaffen ebenso sinnliche, spielerische wie auch tiefgründige Zugänge und beleuchten auf unterschiedlichste Weise die Komplexität dieser technologischen Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf unsere Lebensrealität.

Eine Endzeitstimmung in der Kunst sehen Sie also angesichts der KI, die die Kunst womöglich sogar irgendwann ersetzen könnte, eher nicht heraufziehen?

Nein, es wird zwar viel über die Risiken und Herausforderungen für die Kunst debattiert wie in der gesamten Gesellschaft, aber ich glaube nicht, dass KI die Kunst ersetzen kann. Der Mensch ist der KI was Kreativität, Selbstwahrnehmung, Emotionalität und Reflexionsvermögen angeht immer noch weit überlegen und wird damit seine Position auch in der Kunst gegenüber der KI behaupten können. Daher ist das autonome Kunstwerk für mich noch lange nicht tot. Aber ich finde etwas Anderes sehr spannend. In unserer Ausstellung loten Künstlerinnen und Künstler aus, wie KI, der Mensch und andere Daseinsformen womöglich eine neue Gemeinschaft begründen können. Darin stecken viele Chancen jenseits dystopischer Zukunftsszenarien.

Wie wird KI Ihre Museumsarbeit in Zukunft beeinflussen?

Wir werden uns sicherlich ganz andere Gedanken machen müssen, wie wir von der KI geprägte Kunst angemessen ausstellen können. Wie präsentieren wir beispielsweise immersive Werke, in denen sich Bildgrenzen aufzulösen scheinen im Museum? Wie stellen wir Netzkunst, also internetbasierte Werke oder beispielsweise NFTs, die nur online existieren, in unseren Räumen aus? Wie bringen wir Besucherinnen und Besucher dazu, diese wahrzunehmen? Dabei kommt der Kunstvermittlung künftig eine noch größere Bedeutung zu. Es ist eine komplexe, aber enorm wichtige Aufgabe, diese Themen zugänglich zu machen. Daher war es uns sehr wichtig im Rahmen von „SHIFT“ ein umfangreiches Begleitprogramm anzubieten, welches u. a. ein Symposium und einen eigenen Vermittlungsraum im Marta-Atelier umfasst. Aber KI wird unsere wissenschaftliche Forschungsarbeit zur Kunst nicht ersetzen. Dies ist und bleibt unsere Aufgabe als Ausstellungsmacherinnen und -macher. KI kann dabei höchstens ein Hilfsinstrument beispielsweise bei der Recherche oder der Erstellung von Texten sein, mehr aber auch nicht.

Werden Sie künftige Arbeiten, die Sie ausstellen, einem KI-Check unterziehen, um sicherzugehen, dass ein Künstler das Werk geschaffen hat und nicht eine Maschine?

Nein, denn es ist ja seit jeher ein Element der künstlerischen Freiheit, sich verschiedener Medien zu bedienen und diese zu etwas Neuem zusammenzusetzen. Aber gesellschaftlich gesehen ist es natürlich wichtig, dass wir weiterhin beispielsweise zwischen real geschaffenen Fotos und von KI generierten Fakes unterscheiden können. Wir müssen daher Instrumente an die Hand bekommen, um Fakes identifizieren zu können. Darüber hinaus ist die Gesellschaft sicherlich gut beraten, sich ethische Regeln für den Umgang mit der KI zu geben. Ich denke da an den Ethikrat, aber am Ende werden wir auch politische Reglementierungen für die Nutzung der KI brauchen und das weltweit. Ohne wird es nicht gehen.

Was halten Sie von einem Moratorium bei der KI, um besser abschätzen zu können, was da gerade über uns hereinbricht?

Ich habe durchaus Sympathie dafür, denn bei dieser rasanten Entwicklung laufen wir Gefahr, die Kontrolle zu verlieren und dabei ein diktatorisches System entstehen zu lassen. Aus diesem Grund finde ich es sehr beeindruckend, dass kürzlich mehr als 100 Fachleute ein solches Moratorium für sechs Monate gefordert haben. Wir sollten auf sie hören, denn wir dürfen die Schnelligkeit dieser Entwicklung nicht unterschätzen.

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