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Die neue Rolle des Kanzlers

Thomas Seim

US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Treffen im Mai 2023. - © Michael Kappeler
US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Treffen im Mai 2023. (© Michael Kappeler)

Politikfragen sind Machtfragen. Antworten werden häufig über die Macht der Bilder gegeben. In den vergangenen 24 Stunden verdienen zwei Ereignisse besondere Beachtung. Bundeskanzler Scholz etwa zeigt sich bei einer kurzen Stippvisite in Washington an der Seite eines schwächelnden amtierenden Präsidenten Joe Biden. Unmittelbar davor präsentiert sich der russische Präsident Putin im Interview mit einem US-Fernsehjournalisten und Anhänger des Biden-Gegners Trump.

Biden muss aktuell um jede Stimme für die weitere militärische Unterstützung der Ukraine gegen den Angriffskrieger Putin kämpfen. Sein mutmaßlicher Gegenkandidat bei der Wahl im November will den Krieg im Osten Europas möglichst schnell zu einem Ende führen und vor allem die USA dort künftig heraushalten. In dieses Machtvakuum macht Putin ein vergiftetes Angebot. Er sei zum Dialog bereit, wenn der Westen die Waffenlieferungen an die Ukraine einstelle. Er habe außerdem kein Interesse an einem Einmarsch in Lettland oder Polen. Vergiftet daran ist: Ohne Waffenlieferungen ist die Ukraine dem Kreml in sehr kurzer Zeit machtlos ausgeliefert. Dazu schließt die Formulierung „kein Interesse“ die grundsätzliche Bereitschaft nicht aus, den Krieg zu eskalieren.Der Kanzler seinerseits sieht die europäische Macht-Architektur vor einer schweren Herausforderung, sollten die USA als Führungsmacht wegbrechen. Deshalb wirbt er für weitere Waffenlieferungen aus den USA auch bei den Republikanern. Zugleich aber mahnt er zusätzliche Hilfe vor allem von europäischen Nato-Partnern an. Mit seiner Festlegung, Putin dürfe den Krieg „nicht gewinnen“, unterscheidet er sich von härteren Militär-Politik-Strategen, die dessen Niederlage für zwingend geboten halten.

Fragen der politischen Macht

Er setzt Putin aber zugleich Grenzen. Darunter liegt die Analyse, dass die Machttektonik in Europa durch einen Sieg Russlands unsicherer wäre als zu Zeiten des Kalten Krieges. Scholz übernimmt damit eine neue Führungsrolle in Europa. Er tut dies im Gespräch mit Biden, aber auch bei der Wiederbelebung der Kontakte zu den Republikanern.

Der Kampf der Bilder aus Moskau und Washington lässt schließlich auch die Option offen, dass man sich nach der Demonstration der Stärken auf neue Suchen nach nicht-militärischen Lösungen begeben kann. Im April wird Scholz mit einer Wirtschaftsdelegation nach China reisen. Da werden Fragen der Ökonomie sicher auch als Fragen um die politische Macht besprochen – nicht nur, aber vor allem in Europa.

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