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Das Dilemma der SPD

Kristina Dunz

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Kanzler Scholz flankiert von den Parteichefs Lars Klingbeil (l.) und Saskia Esken: Der Umgang der SPD mit ihrem Aushängeschild ist unwürdig, meint unsere Autorin. - © picture alliance/dpa
Kanzler Scholz flankiert von den Parteichefs Lars Klingbeil (l.) und Saskia Esken: Der Umgang der SPD mit ihrem Aushängeschild ist unwürdig, meint unsere Autorin. (© picture alliance/dpa)

Am Abend als der Bundeskanzler seinen Finanzminister aus der Ampel warf, zollte ihm die SPD-Bundestagsfraktion dafür geschlossen Beifall. So etwas Schwerwiegendes wie einen Regierungsbruch zu beklatschen, war für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Inzwischen ist klar, dass es eine spontane Reaktion von Solidarität und Trost für Olaf Scholz – aber kein Freifahrtschein für seine erneute Kanzlerkandidatur war. Denn das Vertrauen in seine Führungsstärke ist in Reihen der SPD erschüttert. Ihr Problem ist nun, dass in dieser Krise auch die Parteispitze in puncto Führung versagt hat.

Anstatt nach der Erschütterung durch das Scheitern der Koalition den kurzen Moment des Zusammenrückens zu nutzen und den enttäuschten wie verärgerten Mitgliedern und Funktionsträgern schnell Mut für einen Neuanfang zu machen, ließen die Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil die Debatte über die Kanzlerkandidatur einfach laufen. Während Union, Grüne, FDP und AfD ihre Personalfragen geklärt haben, laviert ausgerechnet die Kanzlerpartei herum, ob für die Kandidatur ihr Kanzler gegen den in der Bevölkerung viel beliebteren Verteidigungsminister ausgetauscht werden sollte.

Unabhängig von berechtigter Kritik an Scholz ist dieser Umgang mit ihm unwürdig. Noch nie hat eine Partei den Amtsinhaber für die nächste Kanzlerkandidatur aus dem Rennen genommen. Das bedeutet nicht, dass das nicht passieren darf. Aber die Sozialdemokraten sollten nicht in alte Muster des brutalen Absägens ihrer Spitzenleute verfallen.

Union sieht Pistorius als größte Gefahr

Der Schaden ist bereits immens für Scholz und auch für das Land, selbst wenn die Parteigremien sich nun schnell für ihn entscheiden sollten. Beim G20-Gipfel in Rio kämpfte er um die Rettung der Welt, die unter Kriegen, Klimawandel und Attacken auf Demokratien leidet, und geriet zugleich zu Hause in Not. Wer von den anderen mächtigen Staats- und Regierungschefs soll da in diesem Moment auf Deutschland setzen?

Und nun zur Frage, ob Pistorius der bessere Kandidat wäre. Für ihn spricht, dass die Union den hemdsärmeligen und volksnahen Niedersachsen als größte Gefahr für Friedrich Merz sieht, den viele für elitär halten. Pistorius hat es geschafft, vielen Bürgern mit seinem Aufruf zur „Kriegstüchtigkeit“ erst einen großen Schrecken einzujagen, um sie dann hinter sich zu versammeln, weil er seinen Plan erklärt hat: Abschreckung Russlands, Vorsorge, Sicherheit.

Und wenn Scholz die Vertrauensfrage nicht verliert?

Aber könnte er in einem TV-Duell mit Merz Fragen nach der Kalten Progression, der Rente, dem Mindestlohn, dem Bürgergeld, dem Industriestrompreis, den Netzentgelten, dem Tariftreuegesetz parieren? Wiederum hat der US-Wahlkampf gezeigt, dass es in der Politik immer weniger auf Details und mehr auf einfache Botschaften ankommt. Beziehungsweise auf eine einzige: Ich mach’ das für Euch, Deutschland bleibt in Frieden und Wohlstand. Aber was wäre eigentlich mit Esken und Klingbeil und den anderen Scholz-Unterstützern, wenn es Pistorius würde? Könnten sie dann nicht auch gleich einpacken?

Es erscheint gar nicht so sicher, dass Scholz wie geplant die Vertrauensfrage im Bundestag im Dezember verliert, wenn Pistorius antreten sollte. Er und Merz fahren wegen des Ukraine-Kriegs den härteren Kurs gegen Russland. Scholz striktes Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern beruhigt all jene, die Angst vor einer Eskalation des Krieges haben. Am Ende könnte er die Vertrauensfrage gewinnen, weil sich noch die AfD wie einst in Thüringen einen schlechten Spaß daraus macht, jemanden zu wählen, der gar nicht ihr Kandidat ist. Das Chaos wäre perfekt. Die SPD muss sich nun zwischen Scholz und Pistorius entscheiden und dann die Partei versöhnen und vereinen. Und zwar sehr, sehr schnell.

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