Warum nur tut man sich so schwer, den Kniefall des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Markus Söder vor dem Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Warschau so ernst zu nehmen, wie er gedacht war? Tatsächlich gleichen die Bilder von Söders Geste der von Willy Brandt, der fast auf den Tag genau vor 54 Jahren an derselben Stelle den gleichen Kniefall vollzog. Die Symbolik ist enorm, und gerade das irritiert.
Die Parallelität von Datum und Bild mit dem weltbewegenden Ereignis von 1970 war sicher kein Zufall. Die historische Dimension und die politische Bedeutung beider Akte sind allerdings unvergleichbar. Damals tat Kanzler Willy Brandt einen mutigen und unerwarteten Schritt zur Aussöhnung mit dem Nachbarland und zur Anerkennung deutscher Schuld in einem höchst angespannten Umfeld. Heute geriet Söders Nachahmung zur Wahlkampfshow für die (deutschen) Kameras. Jedenfalls fällt es schwer, darin etwas anderes zu sehen.
Wäre es Söder darum gegangen, tief empfundene Achtung vor den Opfern der deutschen Gewaltherrschaft selbstlos zum Ausdruck zu bringen, hätte es andere Möglichkeiten gegeben. Doch er entschied sich bewusst dafür, den historischen Brandt-Kniefall nachzustellen. Mangelnder Sensibilität oder „grotesker Selbstverliebtheit“ („Süddeutsche Zeitung“) gescholten zu werden, nahm er billigend in Kauf. Sicher ist: Nichts, was Söder tut, ist unüberlegt.

Nur wer den CSU-Chef nicht näher kennt, wundert sich über solche Manöver, die andere als dreiste Selbstüberhöhung empfinden würden. Der gelernte Journalist Söder weiß um die Kraft der Bilder und spielt virtuos auf der Klaviatur der Medien. Egal, ob er Bäume umarmt, grelle Weihnachtspullis zur Schau stellt oder Hund „Molly“ in die sozialen Medien einspeist – dem bayerischen Ministerpräsidenten ist kaum eine Selbstdarstellungsform fremd. Auf Instagram zeigt er seine vielfältigen, freilich leicht fleischlastigen Essensgewohnheiten unter dem Hashtag #Söderisst. Und natürlich ist auch schon ein gleichnamiges Kochbuch erschienen – noch ist es kostenfrei als Wahlkampf-Giveaway zu haben.
Der Erfolg – gemessen an Klicks und Bekanntheits- und Beliebtheitswerten – scheint ihm recht zu geben. Einem Forsa-Ranking vom November zufolge steht Söder mit an der Spitze der beliebtesten Politiker in Deutschland und stellt in dieser Hinsicht alle drei Kanzlerkandidaten in den Schatten. Zur Bescheidenheit besteht also kein Grund, wie sich in Warschau wieder gezeigt hat. Diese ist bekanntlich eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr. Ein Söder tut eben, was ein Söder so tut.