Deutschland hat eine verstörende Weihnachtszeit hinter sich. Anfangs war die Adventszeit durchzogen von alarmistischer Rhetorik. Das Top-Management von Volkswagen etwa erweckte den Eindruck, der wichtigste industrielle Arbeitgeber der Republik sei ein Sanierungsfall und stellte Unerbittliches in Aussicht. Noch-Kanzler Olaf Scholz beleidigte Oppositionsführer Friedrich Merz als verwirrt („Fritze Merz erzählt gern Tünkram“). Der tat es ihm gleich: „Sie blamieren Deutschland.“
Kurz vor dem heiligen Abend dann folgten die Vollbremsung und der Schwenk auf die jahreszeitübliche Sedierung. Bei Volkswagen einigte man sich darauf, dass mehr oder weniger erst einmal fast alles so bleibt wie bisher. Die Parteien stellten ihre Programme für die Bundestagswahl vor, transportierten dabei weitgehend bekannte, sorgsam einbalsamierte Versprechen: Der Staat und dessen große Verteilorganisationen, sie werden es richten.
Sie werden es nicht richten, zumindest nicht alleine. Die Welt wird künftig geprägt sein von Volatilität, Komplexität, Unsicherheit – der rheinische Kapitalismus braucht dafür neue Lösungen und keine Sedierung.
Steinmeier gibt die richtige Richtung vor
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dazu endlich den Auftrag erteilt. Er hat nicht nur den 23. Februar für Neuwahlen angesetzt, sondern in einer kurzen, klaren Rede die richtige Richtung vorgegeben: Die Bewerberinnen und Bewerber um Regierungsämter müssen „schmerzhafte Wahrheiten“ formulieren und dann „beste Lösungen“ dafür anbieten. Zusammen mit „Gemeinsinn und Tatkraft, Ideenreichtum und Fleiß“, die Steinmeier zwei Tage zuvor in seiner Weihnachtsansprache forderte, könnte daraus etwas werden. Es muss allerdings auch.
Dafür ist zweierlei entscheidend. Die Parteien müssen die gleiche Vehemenz, die sie zuletzt an ihre Rhetorik angelegt haben, ihrem Ideenwettbewerb zuteilwerden lassen, also aus den schmerzhaften Wahrheiten Lösungen ableiten, die möglicherweise auch nicht schmerzfrei bleiben. Etwa: Wenn unsere Bevölkerung altert, wir unsere Mitmenschen würdig altern lassen und unseren Lebensstandard halten wollen, wird das bei stagnierender Produktivität kurzfristig nicht ohne Mehrarbeit gehen.
Besser wäre: Wir steigern unsere Produktivität. Dazu braucht es Innovationen, dazu braucht es den Langmut, jetzt in Bildung zu investieren, auch wenn sich das bis zum nächsten Wahltag noch nicht ausgezahlt haben wird. Es braucht die zielgerichtete Integration von Einwanderern, offene Scheunentore für Ideen und mehr Skepsis vor dem Rausch der Regulierung.
Die Bürgerinnen und Bürger, also wir, dürfen ob eines solchen neuen Angebots nicht in zittrige Schockstarre verfallen, sondern es annehmen. Eine Alternative ist nicht in Sicht.