Was die Wahlforschung über Wählergruppen weiß: Warum wählen die so?

Wenn am 23. Februar ein neuer Bundestag gewählt wird, dann dürfen sich rund 59 Millionen Menschen in Deutschland daran beteiligen. Wie sie abstimmen werden, ist naturgemäß nicht bekannt. Schließlich sind Wahlen in Deutschland laut Grundgesetz Artikel 38 frei, gleich und geheim. Und bis zum Urnengang vergeht noch ein Monat. Da kann noch eine Menge passieren. Im Übrigen treffen Bürgerinnen und Bürger ihre Wahlentscheidungen immer kurzfristiger, ja bisweilen erst in der Wahlkabine. Das erschwert die Vorhersagen zusätzlich.

Aus repräsentativen Wahlstatistiken ergäben sich allerdings &bdquo;sehr genaue Informationen“ darüber, wie Menschen zuletzt abgestimmt hätten, sagt der Wahlforscher Thorsten Faas, Professor für Politische Soziologie an der Freien Universität Berlin. Außerdem sind aus den letzten Wahlen gewisse Trends erkennbar. Beide zusammen ermöglichen Ableitungen, was am Wahltag geschehen könnte.

Das betrifft zunächst die Geschlechter. &bdquo;Bei Wahlen werden wachsende Geschlechterunterschiede deutlich“, sagt Faas. &bdquo;Frauen wählen zunehmend progressiv, Männer eher konservativ.“ Eine Erklärung dafür sei sicher, dass bestimmte Gruppen im Zuge gesellschaftlicher Emanzipation mehr Rechte und mehr Einfluss bekommen hätten, darunter eben Frauen. &bdquo;Männer betrachten das als Herausforderung, auf die sie mit der Wahl konservativer Parteien reagieren.“ Dieser &bdquo;New Gender Gap“ zeige sich besonders zwischen jungen Männern und Frauen.

Unterschiedliches Wahlverhalten von Jung und Alt Hinzu kommt ein unterschiedliches Wahlverhalten von jungen und alten Menschen. &bdquo;Die Älteren standen eher hinter den bisherigen Volksparteien“, sagt Faas. &bdquo;Das hat man bei der Europawahl gesehen. Bei den Jungen sieht man dagegen ein extrem heterogenes Wahlverhalten.“ Stammwählerschaften könne es bei jungen Menschen ohnehin noch nicht geben. Aber sie entwickelten sich vermutlich auch kaum mehr.

Auffällig sei, dass die Grünen und die FDP bei der Bundestagswahl 2021 unter Jüngeren noch sehr stark abgeschnitten hätten, die Grünen vorzugsweise bei Frauen, die FDP vorzugsweise bei Männern. Mittlerweile sind zumindest die Grünen in der Wählergunst der Jungen deutlich abgerutscht, die FDP wiederum könnte an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Das spricht für sich. Was 2021 war, ist dreieinhalb Jahre später jedenfalls nicht mehr so. Bei der Europawahl 2024 konnte VOLT in die Lücke stoßen, die die Grünen hinterließen.

Ost- und Westdeutsche: Bindung an Parteien verschieden Unterdessen betont der Wahlforscher, dass vornehmlich die Kombination bestimmter sozialer Merkmale interessante Erkenntnisse zutage fördere, zum Beispiel die Kombination von Alter und Bildung. &bdquo;Bei Menschen mit geringem Alter und geringer Bildung ist die AfD unglaublich stark“, sagt er. &bdquo;Sie erreicht da etwa 50 Prozent. Bei älteren Menschen schneidet die AfD deutlich schwächer ab.“ Bei jungen Menschen mit formal niedriger Bildung sei auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie gar nicht wählen gingen.

Ein dritter Gegensatz tut sich Faas zufolge zwischen Ost- und Westdeutschen auf. Generell sei die Bindung an Parteien seit der Vereinigung 1990 in Ostdeutschland geringer. &bdquo;Grüne und FDP haben es außerdem nie geschafft, im Osten Fuß zu fassen und gesamtdeutsche Parteien zu werden. Umgekehrt konnten neue Parteien wie die AfD und das BSW hier leichter einsteigen.“

Wähler mit Migrationshintergrund Mit Abstrichen gelte das ebenso für die Linke, die einerseits alt ist, weil sie eine Wurzel in der SED/PDS hat, andererseits aber neu, weil sie im Westen aus der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) hervorging und daher insgesamt eher zu den jungen Parteien zählt. &bdquo;Weil die Bindung an Parteien in Ostdeutschland geringer ist, schlägt hier auch die Enttäuschung schneller durch“, sagt der Politikwissenschaftler. Davon hat nach der Linken in erster Linie die AfD profitiert. Die Linke hingegen steht womöglich kurz vor ihrem Ende als Bundespartei – wenn sie es nicht schafft, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen oder mit drei Direktmandaten ins Parlament einzuziehen. Selbst in Ostdeutschland scheint der Niedergang der Linken unaufhaltsam zu sein, von Thüringen einmal abgesehen.

Zu guter Letzt sind da die Wähler mit Migrationshintergrund. Die traditionellen &bdquo;Gastarbeiter“ aus der Türkei wählten tendenziell noch immer eher SPD und Grüne – neben anderen Gründen aus Dankbarkeit dafür, dass diese ihnen das Leben in Deutschland erleichtert hätten, sagt Faas. So hat etwa die Ampelkoalition das Staatsbürgerschaftsrecht liberalisiert und doppelten Staatsbürgerschaften den Weg geebnet. &bdquo;Spätaussiedler zeichnen sich eher durch eine hohe Affinität gegenüber der Union aus – jüngst auch mit einer gewissen Offenheit für die AfD“, sagt er. Generell sei es indes schwierig, Deutsche mit Migrationshintergrund zu mobilisieren und zum Wählen zu motivieren. &bdquo;Das ist eine echte Herausforderung.“

Tatsächlich ist die Frage der Mobilisierung für alle Parteien entscheidend. Wähler müssen nicht bloß konservativ, sozialdemokratisch oder liberal wählen wollen. Sie müssen es bei der kommenden oder darauffolgenden Wahl wirklich tun. Sonst war alle Wahlwerbung vergeblich.

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