Schüsse auf offener Straße in OWL: „Müssen uns an solche Szenen gewöhnen“

Bielefeld. Zur Mittagszeit, an einem Mittwoch im Februar, fallen vor dem Bielefelder Landgericht plötzlich Schüsse. Mehrere Personen werden getroffen, sind teils schwer verletzt. Hinter den Schüssen auf offener Straße steckt offenbar eine Blutrache für den Mord an dem Ex-Profiboxer Besar Nimani – ebenfalls erschossen auf offener Straße, kaum ein Jahr zuvor. Der Waffen-Experte Lars Winkelsdorf warnt: &bdquo;Wir müssen uns an solche Szenen, bei denen auf offener Straße geschossen wird, gewöhnen.“

Was er meint: Die Zahlen von Straftaten, bei denen eine Schusswaffe eingesetzt oder zumindest mitgeführt wurde, steigen in NRW seit Jahren an. Etwa drei Fälle pro Tag registrierte das Landeskriminalamt (LKA) im Bundesland zuletzt, bei denen mit einer Waffe geschossen wurde. Eine weitere Bilanz der vergangenen Jahre: 187 Menschen wurden in NRW seit 2020 mit einer Schusswaffe getötet. Einer von ihnen ist Besar Nimani.

&bdquo;Der Anteil legaler Waffen an Straftaten, bei denen scharf geschossen wurde, ist verschwindend gering“, berichtet Winkelsdorf, der als Journalist und Sachverständiger tätig ist. &bdquo;Und der Anteil sinkt immer weiter, seit Jahren.“ Die Zahlen geben ihm recht. In den vom LKA erfassten 187 Tötungsdelikten seit 2020 in NRW mit Schusswaffen wurde nur in 24 Fällen eine legale – also registrierte – Waffe eingesetzt. Und: In weniger als 20 Fällen besaß der Tatverdächtige überhaupt eine Waffenerlaubnis.

Wie illegale Waffen nach Deutschland kommen Laut Winkelsdorf gibt es verschiedene illegale Waffen, die in NRW in Umlauf sind. Zum einen solche, die nach dem Tod der Besitzer über Haushaltsauflösungen in den illegalen Umlauf gekommen sein könnten. Zum anderen aber auch Waffen, die aus ehemaligen Kriegsgebieten stammen. &bdquo;Zum Beispiel vom Balkan“, sagt Winkelsdorf. Seine düstere Prognose: &bdquo;Sollte der Konflikt in der Ukraine enden, könnten uns die nächsten Waffen-Schwemmen erwarten.“ Schon 2023 hatte das Bundeskriminalamt vor ähnlichen Szenarien gewarnt.

Doch auch Schreckschusswaffen werden derweil von Kriminellen so umgebaut, dass sie scharf schießen können. &bdquo;Das passiert oft in der Türkei“, sagt der Experte. Auch umgebaute Schreckschusswaffen spielen im Fall Nimani eine zentrale Rolle. Bruder Berat schoss mit einer solchen vor dem Bielefelder Landgericht auf Mitglieder der verfeindeten Familie. Und auch Besar Nimani selbst soll 2023 versucht haben, mehrere umgebaute Schreckschusswaffen über die deutsch-österreichische Grenze ins Land zu bringen.

Scharfe Schusswaffe für ein paar Hundert Euro &bdquo;Solche ehemaligen Schreckschusswaffen, die zu scharfen Pistolen umgebaut wurden, werden auf dem Schwarzmarkt für ein paar Hundert Euro verkauft“, warnt Winkelsdorf. Und auch generell sei die kriminelle Unterwelt deutlich bewaffneter, als bisher bekannt.

Oliver Huth, NRW-Vorsitzender der Kripo-Gewerkschaft Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) und Experte für Organisierte Kriminalität, gibt ihm Recht. &bdquo;Die Ermittlungen der vergangenen Jahre hat das sehr deutlich gezeigt. Kriminelle haben deutlich mehr scharfe Waffen, vornehmlich aber als Schutzbewaffnung.“ Laut Huth mischen immer mehr kriminelle Akteure in NRW mit. &bdquo;Und das führt regelmäßig auch zu Waffengewalt, um beispielsweise andere Gruppen zu verdrängen“, warnt er.

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Das NRW-Innenministerium berichtet derweil von breiten Maßnahmen gegen das Phänomen des illegalen Waffenhandels und -Besitzes. Beim LKA werde beispielsweise gezielt nach der Herkunft illegaler Waffen ermittelt, um Verkaufswege und Verbindungen aufzudecken oder neue Ermittlungsansätze zu generieren. Der Polizei vor Ort werde durch Experten des LKA zudem gezielt Wissen vermittelt, um bei entsprechenden Ermittlungen besser vorbereitet zu sein. Weil Waffenschmuggel laut LKA ein &bdquo;relevantes Betätigungsfeld“ von Gruppen der Organisierten Kriminalität sei, stehe das Thema bei den LKA-Ermittlern ohnehin besonders im Fokus.

Experte warnt: Sicherheitsbehörden nicht passend aufgestellt Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Christina Kampmann aus Bielefeld, warnt: &bdquo;Illegale Waffen in den Händen Krimineller werden zu einem immer größeren Problem in NRW, aber auch in Ostwestfalen-Lippe.“ Die Landesregierung müsse den illegalen Waffenhandel jetzt entschieden bekämpfen und schnell reagieren. Kampmann weiter: &bdquo;Denn Schusswaffen in den Händen von Straftätern sind eine zunehmende Bedrohung für die Sicherheit in NRW.“

Winkelsdorf ist der Meinung, die Strafverfolgungsbehörden seien nicht passend zur Bekämpfung des Phänomens aufgestellt. &bdquo;Da muss sich personell, aber auch materiell einiges ändern – aber auch beim Wissen zu Strukturen beim illegalen Handel“, mahnt er. &bdquo;Konflikte, die mit Schusswaffen in der Öffentlichkeit ausgetragen werden – egal ob Blutrache oder Streit in der Szene –, werden sich häufen. Und die Ermittlungsbehörden kommen nicht hinterher.“

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